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Suizidpräventionstag: Experten im Interview: Was können Angehörige bei Suizidgefahr tun?

Suizidpräventionstag

Experten im Interview: Was können Angehörige bei Suizidgefahr tun?

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    Wie können Angehörige helfen, wenn ein Mensch suizidgefährdet ist?
    Wie können Angehörige helfen, wenn ein Mensch suizidgefährdet ist? Foto: Stephanie Pilick, dpa (Symbolbild)

    Herr Schmidt, wie reagieren Betroffene in der Regel auf den Suizid eines nahestehenden Menschen?

    Jörg Schmidt: Es gibt ganz unterschiedliche Reaktionen: Wut, Verzweiflung, Schuldgefühle - das hängt davon ab, wen man verliert. Wenn sich Kinder suizidieren, haben Eltern häufig riesige Schuldgefühle, sie wollen teilweise ihrem Kind regelrecht nachsterben. Im Gegensatz dazu sind Betroffene häufig wütend, wenn sich der Partner suizidiert. 

    Herr Djukic, was sind die häufigsten Gründe für einen Suizid?

    Herr Djukic: Ursache für einen Suizid ist in 90 Prozent der Fälle eine psychiatrische Erkrankung, meist eine Depression. Auslöser sind häufig familiäre oder berufliche Konflikte. 

    Gibt es Warnzeichen, dass eine nahestehende Person über einen Suizid nachdenkt?

    Schmidt: Sozialer Rückzug ist eine Tendenz, die selten gut ist. Es gibt auch Menschen, die ankündigen, sich das Leben zu nehmen. Dann ist es als Angehöriger wichtig, das ernst zu nehmen: Einfache Fragen wie "was meinst du damit?" oder "was belastet dich?" können helfen. "Wer es ankündigt, macht es eh nicht", ist ein Irrglaube.

    Djukic: Signale können sein:Eine Depression, also eine Stimmungsverschlechterung, sozialer Rückzug, Austauschen in Suizidforen, Hoffnungslosigkeit, Verzweiflung, Überforderung.

    Wie sollte man als Betroffener auf diese Warnzeichen reagieren?

    Schmidt: Der erste Schritt sind Gespräche. Angehörige sollten herausfinden, was gerade der belastendste Aspekt für die Suizidgefährdeten ist. Das ganze Problem kann man so schnell nicht lösen. Wichtig ist Zeitgewinn, um so den Impuls, sich das Leben zu nehmen, nach hinten zu drängen. Eine Zwangseinweisung ist immer die allerletzte Option. Oft senden Menschen, die sich das Leben nehmen wollen, Signale an ihren Gegenüber: "Ich kann so nicht mehr weiter machen!" Die Suizidgefährdeten wünschen sich eine Reaktion. Das Schlimmste, was man als Angehöriger tun kann: nicht auf die Situation reagieren.

    Djukic: Angehörige sollten herausfinden, ob der Betroffene Lebensüberdrussgedanken hat, beziehungsweise konkrete Suizidgedanken. Für viele Patienten ist es schwer, dieses Thema von sich aus anzusprechen. Deshalb ist es wichtig, als Angehöriger eine Brücke zu bauen. Der nächste Schritt ist dann der Besuch bei einem Fachmann. Die Angabe von Suizidgedanken führt nicht automatisch dazu, dass wir den Betroffenen auf eine geschlossene Station schicken. Ein Großteil der Patienten mit Suizidgedanken werden auf offenen Stationen behandelt.

    Was würden Sie den Hinterbliebenen von Suizidenten empfehlen?

    Schmidt: Es gibt Menschen, die können mit der Situation nach einem Suizid alleine umgehen, aber das sind die Allerwenigsten. Unsere Erfahrung hat gezeigt, dass vor allem der Austausch mit anderen Betroffenen hilft. Hier können Angehörige offen reden und müssen sich nicht verstellen. Für Hinterbliebene ist es wichtig Gesprächspartner zu haben, sozusagen als eine Art Notknopf. Das muss nicht immer eine professionelle Anlaufstelle sein, auch Freunde können helfen. Wir wollen niemandem vorschreiben, sich Hilfe zu holen. Uns ist es wichtig, dass Suizidbetroffene von unserem Angebot wissen. Selbsthilfegruppen sind keine therapeutischen Gruppen. Die Situation nach einem Suizid kann man mit einem Marathon vergleichen. Die Leiterinnen und Leiter der Selbsthilfegruppen und wir in der AGUS-Bundesgeschäftsstelle (Angehörige um Suizid e.V., Anm. d. Red.) sind die Streckenposten, die ab und an Wasser reichen. Das heißt: Wir unterstützen, aber den Weg an sich muss jeder alleine gehen.

    Das sind die beiden Ansprechpartner

    Jörg Schmidt ist seit Anfang 2017 Geschäftsführer bei AGUS. Durch AGUS soll bundesweit eine Gesprächsmöglichkeit zwischen Angehörigen von Suizidenten geschaffen werden. Auch in Augsburg gibt es eine offene Selbsthilfegruppe, um Betroffenen möglichst wohnortnah einen Austausch zu ermöglichen.

    Igor Djukic ist Oberarzt am Bezirkskrankenhaus Augsburg und dort für die Stationen Depression, Psychotherapie und Psychosomatik zuständig.

    Infos über Selbsthilfegruppen

    Die Selbsthilfe für Angehörige nach Suizid in Augsburg trifft sich jeweils am zweiten Mittwoch des Monats im Haus Tobias in der Stenglinstraße 7.

    Kreisen Ihre Gedanken darum, sich das Leben zu nehmen? Sprechen Sie darüber! Es gibt eine Vielzahl von Hilfsangeboten - per Telefon, Chat, E-Mail oder im persönlichen Gespräch, auch anonym. Hier finden Sie Hilfe

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