Der Abriss in Stuttgart geht weiter - der Protest gegen Stuttgart 21 auch: Begleitet von nur schwachen Protesten hat der Abbruch des Südflügels des Stuttgarter Hauptbahnhofes begonnen. Etwa 200 Polizisten schützten die Arbeiten an dem denkmalgeschützten Gebäude, dessen Fundamente mit dem geplanten Tiefbahnhof Stuttgart 21 kollidieren würden. Rund 150 Menschen demonstrierten gegen die nach Ansicht der Parkschützer "sinnlose Zerstörung".
In der Nacht hatten sich laut Polizei bis zu 250 Projektgegner an der Baustelle eingefunden. Das über 270 Meter lange Bauwerk soll nach zweiwöchiger Entkernung innerhalb der nächsten acht Wochen verschwunden sein.
Stuttgart 21: Eilantrag abgewiesen
Der baden-württembergische Verwaltungsgerichtshof (VGH) in Mannheim hatte am Montagmorgen einen Eilantrag gegen den Abriss abgewiesen. Mit dem Antrag hatte Peter Dübbers, Enkel des Bahnhofs-Architekten Paul Bonatz, den Abriss des urheberrechtlich geschützten Werkes seines Großvaters untersagen wollen.
Jedoch erfüllte er nach Ansicht des VGH nicht die nötigen Voraussetzungen für die Klage. Der VGH warf dem Kläger zudem vor, mit seinem Antrag bis zuletzt gewartet zu haben.
Vor Abrissarbeiten: 30 Projektgegner weggetragen
Gegen 14 Uhr begann der Bagger am Montagnachmittag mit den Arbeiten. Um den Baubeginn zu ermöglichen, traf die Polizei am Montagmorgen die letzten Vorbereitungen. Rund 30 Projektgegner wurden von der Baustelle beim Grundwassermanagement teils weggetragen. Gut 100 weitere gingen laut Polizei freiwillig. Zudem sperrten Polizisten die Straße zum Schlossgarten komplett ab. Rund 250 Polizisten waren im Einsatz. Die Polizei zählte in der Nacht 200 Demonstranten; rund 100 Projektgegner blockierten den Angaben zufolge am Morgen die Straße zum Schlossgarten.
Polizei auf Facebook: Keine Baumfällungen bis Dienstag
Der Sprecher der "Parkschützer", Matthias von Herrmann, sagte, zeitweise hätten bis zu 500 Demonstranten an der Baustelle ausgeharrt. Das Polizeipräsidium Stuttgart hatte am Sonntagabend auf Facebook bekanntgegeben, dass bis einschließlich Dienstag keine Bäume im Schlossgarten gefällt werden sollen. Die Transparenz kommt teilweise gut an. Ein Nutzer bedankte sich gar für die "Entwarnung", bis einschließlich Dienstag keine Bäume zu fällen.
Nordflügel 2010 abgerissen
Der Nordflügel des Hauptbahnhofs war bereits im Jahr 2010 unter massivem Protest abgerissen worden. Das Hauptgebäude samt Bahnhofsturm bleibt stehen. In den kommenden zwei Wochen sollen auch Baumfällarbeiten im Schlossgarten der Landeshauptstadt beginnen. Dafür muss das Protestcamp im Park weichen. Es wird mit massiverem Widerstand gegen das Fällen der Bäume gerechnet als gegen den Abbruch des Südflügels.
Stuttgart 21: Vorwürfe und Unflätigkeiten
Das Ländle ist in Sachen Stuttgart 21 nach wie vor tief gespalten. Trotz dem endgültigen Entschluss für Stuttgart-21 werfen sich Gegner und Befürworter von Stuttgart 21 weiterhin Vorwürfe und Unflätigkeiten an den Kopf, wobei die Anonymität des Internets nicht gerade zur Mäßigung beiträgt. (dpa/AZ)
Chronologie: Großprojekt Stuttgart 21
November 1995: Bahn, Bund, Land und Stadt unterzeichnen eine Rahmenvereinbarung, in der auch die Finanzierung des auf fünf Milliarden Mark (rund 2,5 Milliarden Euro) veranschlagten Projekts festgelegt wird.
November 1997: Das Düsseldorfer Architektenbüro von Christoph Ingenhoven erhält den Zuschlag für den Umbau in einen unterirdischen Durchgangsbahnhof mit großen Lichtaugen.
Oktober 2001: Das Planfeststellungsverfahren beginnt.
Juli 2004: Eine Wirtschaftlichkeitsberechnung der Bahn gibt die neuen Kosten von Stuttgart 21 mit 2,8 Milliarden Euro an.
April 2006: Das oberste Verwaltungsgericht Baden-Württembergs weist drei Klagen gegen den geplanten Umbau des Hauptbahnhofs ab.
20. Dezember 2007: Der Gemeinderat der Landeshauptstadt lehnt einen Bürgerentscheid über das Milliardenprojekt mit großer Mehrheit ab. Rund 67.000 Bürger, dreimal mehr als notwendig, hatten dafür votiert.
2008: Die Landesregierung erwartet Verteuerung auf 3,076 Milliarden Euro - der Bundesrechnungshof kommt auf mehr als fünf Milliarden Euro.
2. April 2009: Bundesverkehrsminister Wolfgang Tiefensee (SPD), Ministerpräsident Günther Oettinger (CDU) und Bahn-Vorstand Stefan Garber unterzeichnen die Finanzierungsvereinbarung.
2. Februar 2010: Die Bauarbeiten beginnen.
27. Juli 2010: Bahnchef Grube gibt für die Schnellbahntrasse nach Ulm eine Kostensteigerung um 865 Millionen Euro auf 2,9 Milliarden Euro bekannt.
11. August 2010: Das Umweltbundesamt sieht für Stuttgart 21 und die neue Schnellbahntrasse eine weitere Kostenexplosion auf bis zu elf Milliarden Euro.
25. August 2010: «Baggerbiss» am Nordflügel des Hauptbahnhofs.
September 2010: Die oppositionelle SPD, die wie die schwarz-gelbe Regierung für das Vorhaben ist, will die Bürger entscheiden lassen. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) erklärt die Landtagswahl zur Abstimmung über das Bahnprojekt. Der Konflikt eskaliert. Bei der Räumung des Schlossgartens werden weit mehr als 100 Demonstranten verletzt, einige davon schwer. Auch Dutzende von Polizisten erleiden Verletzungen. Kurz nach Mitternacht werden die ersten Bäume gefällt.
06. Oktober 2010: Ministerpräsident Stefan Mappus (CDU) schlägt den früheren CDU-Generalsekretär Heiner Geißler als Schlichter vor.
09. Oktober 2010: Der Protest wächst weiter: Rund 65.000 Menschen gehen nach Schätzungen der Polizei gegen das Bahnprojekt auf die Straße. Die Veranstalter sprechen von 90.000 bis 100.000 Teilnehmern.
22. Oktober - 27. November 2010: Acht Runden öffentlicher Schlichtung.
30. November 2010: Geißler spricht sich in seinem Schlichterspruch für den Weiterbau des Projekts aus, verlangt aber Nachbesserungen. So schlägt er einen Stresstest vor, der zeigen soll, ob der geplante Tiefbahnhof wie behauptet 30 Prozent leistungsfähiger ist als der Kopfbahnhof. Die Ergebnisse werden im Sommer 2011 erwartet.
10. Januar 2011 : Die während der Schlichtung unterbrochenen Bauarbeiten werden fortgesetzt - begleitet von Protesten.
27. März 2011: Bei der Landtagswahl siegen Grüne und SPD.
29. März 2011: Zwei Tage nach dem Regierungswechsel verkündet die Bahn einen Bau- und Vergabestopp bis zur Regierungsbildung im Mai.
27. April 2011: Grüne und SPD präsentieren ihren Koalitionsvertrag. Die beiden Parteien einigen sich, über die Zukunft von Stuttgart 21 per Volksabstimmung entscheiden zu lassen. Im Juni soll außerdem ein Stresstest zeigen, ob der Bahnhof teuer nachgerüstet werden muss.
12. Mai 2011: Winfried Kretschmann wird nach dem Wahlsieg erster grüner Ministerpräsident der deutschen Geschichte.
3. Juni 2011: Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann fordert in einem Gespräch mit Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer einen längeren Bau- und Vergabestopp. Ramsauer lehnt dies ab.
14. Juni 2011: Die Deutsche Bahn nimmt die nach dem Regierungswechsel unterbrochenen Bauarbeiten wieder auf. Erneut kommt es zu kleineren Demonstrationen und Blockaden.
9. Juli 2011: Erneut kommt es zu größeren Demonstrationen. Tausende Menschen fordern einen «Baustopp für immer».
21. Juli 2011: Der geplante Bahnhof besteht den von einer Schweizer Firma durchgeführten Stresstest.
29. Juli 2011: Das Ergebnis des Stresstests wird offiziell präsentiert. Auch das Aktionsbündnis gegen das Bahnhofsprojekt nimmt an dem Termin teil, nachdem zunächst ein Boykott erwägt worden war.
27. November 2011: Eine Mehrheit hat sich für den Tiefbahnhof Stuttgart 21 entschieden. Rund 7,6 Millionen Stimmberechtigte waren aufgerufen, über das S21-Kündigungsgesetz abzustimmen. 58,9 Prozent stimmten gegen den Ausstieg des Landes aus der Projektfinanzierung, 41,1 Prozent stimmten für den Ausstieg.
23. März 2012: Die Bahn gibt bekannt, dass der Bahnhof voraussichtlich erst mit einem Jahr Verzögerung im Jahr 2020 in Betrieb geht - und sieht die Bausumme nach wichtigen Vergaben bei 4,3 Milliarden Euro.
3. Dezember 2012: Aus Kreisen des Bahn-Aufsichtsrats heißt es, Stuttgart 21 könne rund eine Milliarde Euro teurer werden. Summe damit etwa: 5,5 Milliarden Euro.
6. Dezember 2012: Noch einmal 500 Millionen Euro mehr. Ein Vertreter des Bahn-Konzerns sagt dem Hessischen Rundfunk: "Insgesamt läuft es auf Kosten von sechs Milliarden hinaus."
12. Dezember 2012: Nun zwei Milliarden Euro mehr? Unter Berufung auf Regierungskreise zitiert die "Stuttgarter Zeitung" Studien, wonach die Mehrkosten mindestens bei 1,3 Milliarden Euro, schlimmstenfalls bei 2 Milliarden Euro liegen.