Marianne Graßl, Gudrun Zircher, Martin Unglert, Birgit Müller und Gabriele Kling sind Hospizhelfer. Hier geben sie einen kleinen Einblick in ihre schwierige Arbeit.
Marianne Graßl: "Das auszuhalten, ist eine ganz starke Lebenserfahrung."
"Bei der Arbeit als Hospizhelferin kann man viel über den Umgang mit dem Sterben lernen. Aber im eigenen Leben tut man sich immer schwerer. Ich bin grundsätzlich ein hoffnungsfroher Mensch und ich habe meine Heimat im Glauben. Das Leben stellt die Aufgaben, die wir bewältigen. Als Hospizhelferin bringe ich zwei wichtige Eigenschaften mit: Einfühlungsvermögen aber auch einen gewissen Abstand, der einen handlungsfähiger macht. Sterbende wollen ihre Angehörigen oft nicht belasten. Darum reden sie mit ihnen lieber nicht über das Sterben. Oder es gibt noch anderes, was sie bedrückt. Das kann ein Außenstehender manchmal leichter sehen. Ich war einmal bei einer Frau im Krankenhaus. Die Ärzte sagten, sie wird ganz schnell sterben, aber die Frau ging nicht. Ich habe dann ihre beiden Töchter gefragt, ob es noch jemanden gibt, der zur Familie gehört. Tatsächlich gab es noch eine dritte Tochter, die wohl immer als schwarzes Schaf der Familie galt. Ich habe sie gebeten, sich zu überlegen, ob sie noch ein Treffen vor dem Tod möglich machen wollen. Das war dann auch möglich und ganz kurz darauf ist die Frau gestorben. Sie hat keine Angst vor den Toten - 16-Jährige wird Bestatterin
Menschen, die noch nie bei einem Sterbenden waren, haben Angst, dass sie etwas falsch machen oder übersehen. Wenn sie wissen, sie können bei der Einsatzstelle des Hospizes Tag und Nacht jemanden erreichen, ist das meist schon eine große Erleichterung für sie. Dabeizusein, wenn jemand geht, das ist ein wesentlicher Lernprozess für das ganze Leben. Das auszuhalten, das mit Unterstützung zu schaffen, ist eine ganz starke Lebenserfahrung. Im Nachhinein stellt man dann oft fest: Die Zeit, in der der Kranke nichts mehr geredet hat, war wichtig für das Abschiednehmen und damit auch wichtig für das eigene Leben.
Die Hospizbegleitung ist konfessionsübergreifend. Aber es ist wichtig, dass ein spirituelles Angebot da ist, für die Menschen, um die es geht. Vor kurzem habe ich einen muslimischen Kranken begleitet, da hatten die Angehörigen auch einen ganz wichtigen Platz. Irgendwann kommt man im Gespräch meist auf den Sinn des Lebens, auf das, was sie mit dem Kranken verbindet. Wenn man sich würdevoll begegnet, findet man auch einen Weg. Allein das kann schon ein Ansatzpunkt sein, darüber zu sprechen. In der Begegnung mit Menschen kann man lebenslang lernen. Jeder Weg ist ein anderer, das macht die Begleitung für mich so wertvoll."
Gudrun Zircher: "Sterbende wollen nicht mehr groß diskutieren."
"Dass ich als Hospizhelferin arbeite, wissen nur wenige. Mein Mann und meine erwachsenen Kinder finden das gut. Manchmal stellen sie Fragen, aber ansonsten ist das kein großes Thema bei uns. Der Mensch, den ich begleite, gehört während dieser Zeit zu meinem Leben. Was der Sterbende mir erzählt, bleibt auch bei mir. Sterbebegleiter unterliegen einer Schweigepflicht. Aber manche Sachen müssen einfach raus. Dafür gibt es die Gespräche in der Hospizgruppe. Ich kann dort auch immer anrufen, wenn ich von einer Situation überfordert bin.
Bisher habe ich es nur einmal erlebt, dass eine Person, die ich begleitet habe, gestorben ist, als ich da war. Es war eine Frau, die von ihrem Mann zu Hause gepflegt wurde. Als ich kam, um ihn abzulösen, ging er kurz ins Nebenzimmer und ich nahm am Bett Platz. Kurz darauf ist die Frau ganz friedlich gestorben. Ich kann gar nicht beschreiben, wie dieser Moment war. Es war auf jeden Fall ganz besonders, man nimmt da nichts anderes wahr. Das ist ein magischer Moment oder ein heiliger Moment, je nachdem, wie man das nennen möchte. Natürlich beschäftigt das einen auch später. Aber: Wir haben Mitgefühl mit den Angehörigen und den Sterbenden, aber kein Mitleid. Wir leiden nicht mit.
Wenn ich neu zu jemandem komme, habe ich keine Vorurteile, ich nehme die Menschen so, wie sie sind, versuche einfach zuzuhören. Ich denke, das ist ganz wichtig. Wir sind alle gleich in diesem Moment und jedem steht diese Zuwendung zu. Es gelingt mir gut, diese Erfahrungen nicht in meinen Alltag mitzunehmen. Ich denke, das ist eine Gabe.
Wenn ich bei einem Sterbenden bin, versuche ich, ihm Erleichterung zu verschaffen: Bettdecke auf oder zu, den Fuß oder mal den Kopf umlagern, etwas zu trinken geben oder den Mund ausspülen. Wenn jemand schläft, lese ich auch manchmal oder beobachte die Person nur im Schlaf. Wenn er oder sie unruhig wird, versuche ich, durch sprechen oder Berührung Ruhe zu verschaffen.
Ein Sterbender weiß, dass er bestimmte Dinge nicht mehr kann: Nicht mehr in die Arbeit gehen; nicht mehr die Enkel aufwachsen sehen; nicht mehr den Krokus im Frühjahr sehen. Was danach kommt, ist meist nur einmal eine kurze Frage. Große Diskussion führen Menschen, die noch nicht nahe am Sterben sind. Sterbende wollen nicht mehr groß diskutieren, sie brauchen nur einen Zuhörer."
Martin Unglert: "Männer wollen lieber von Männern begleitet werden."
"Meine erste Sterbebegleitung war bei einem Mann im Alter meines Vaters. Was mich erst einmal überfordert hat, war, dass er mich zwar bei sich haben wollte, aber so gut wie nie gesprochen hat. Auf meine Fragen folgte Stille. Manchmal hielt ich seine Hand. Ich habe ihn etwa fünfzehn bis zwanzig Mal getroffen, Woche für Woche eine Stunde schweigen. Für mich eine Herausforderung. Ihm hat gereicht, dass jemand da war. Er hatte niemanden, war sein ganzes Leben allein. Das war dann so in Ordnung.
Der Patient entscheidet, was wir machen. Wenn jemand reden will, dann reden wir. Wenn er oder sie Zeitung lesen will, dann machen wir das. Wir dürfen niemandem ein Konzept einfach überstülpen. Bei der Begleitung mit dem alten Herrn war ich zwischendurch im Urlaub. Als ich wieder da war, kam der Anruf, dass er jetzt gestorben sei. Ich habe ihn jedes Mal, als ich bei ihm war gefragt, ob ich wieder kommen soll. Er hat immer gelächelt und gesagt: „Ja, freilich“. Ich war dann auch auf seiner Beerdigung. Das gehört für mich dazu.
Wenn ich mit anderen Menschen über die Arbeit als Hospizhelfer rede, höre ich häufig „Ich könnte das nicht machen“. Aber ich stelle es mir viel schwieriger vor, als Chirurg zu arbeiten oder als Feuerwehrmann, der zu Unfällen kommt, bei denen Menschen schwer verletzt worden sind. Ich beobachte ehrfürchtig, wie andere Menschen mit dem Tod umgehen. Dennoch: obwohl ich weiß, wie wichtig das sein kann, habe ich die Frage nach der Patientenverfügung eher verdrängt. Ich kam einmal zu einem stark im christlichen Glauben verwurzelten Ehepaar. Der Mann, schwer krank, war ans Bett gefesselt, wir konnten uns aber noch gut unterhalten. Er hatte überhaupt keine Angst vor dem Tod, weil das Leben nach dem Tod für ihn eine Gewissheit war. Nur das Sterben beunruhigte ihn, die Schmerzen. Dieser unerschütterliche Glaube war für mich selbst als Religionslehrer faszinierend.
Es gibt leider nur wenige Männer, die sich als Hospizhelfer engagieren. Dabei bräuchte man die dringend, Männer werden, so glaube ich, lieber von Männern begleitet. Ich glaube nicht, dass man grundsätzlich sagen kann, der Tod ist etwas Schlimmes. Er kann es aber sein: Wenn jemand im Heim allein stirbt, ohne Beistand. Da fragt man sich auch als Begleiter: Wie gehe ich damit um? Kann ich nach einer Stunde einfach aufstehen und gehen?"
Birgit Müller: "Man sollte einem Sterbenden nichts mehr vorwerfen."
"Ich bin berufstätig, Kauffrau, den ganzen Tag im Büro, deswegen mache ich meine Besuche bei den Menschen immer abends. Das liegt mir auch mehr, ich bin ein Nachtmensch. Ich bleibe meist eine bis eineinhalb Stunden, denn ich will geistig voll präsent sein, das ist mein Anspruch. Derzeit mache ich drei Mal in der Woche Begleitungen. Aber dann ist auch immer wieder einige Wochen gar nichts. Hospizarbeit ist nicht immer nur traurig. Gar nicht so selten lache ich auch gemeinsam mit den Patienten. Die sind ja noch am Leben! Wenn die Chemie stimmt, darf man auch mal einen Scherz oder einen flapsigen Spruch machen. Aber es ist jedes Mal anders, dem Patienten geht es bei jedem Besuch verschieden, auch mir geht es nicht jeden Tag gleich.
Ich kann den Menschen nicht helfen, ihren Weg zu gehen, ich kann nur ein Stück mitgehen. In dieser Situation muss man nichts mehr beschönigen oder darauf achten, sich richtig zu verhalten. Ich mag die Abendstunden, denn selbst im Heim, wo ich die Leute meistens begleite, ist dann mehr Ruhe. Der Mensch ist abends filigraner, aber in dieser Zeit zwischen Wachen und Schlafen kommen auch oft Ängste, die untertags nicht da sind. Es wird viel aufgearbeitet in diesen Situationen, die Kindheit, das Verhältnis zu den Eltern, bei Männern oft noch Erlebnisse aus dem Krieg. Man kommt da auch in Situationen, in denen man an seine Grenzen gerät. Ich denke aber, dass man einem Sterbenden nichts mehr vorwerfen sollte, das bringt niemandem etwas.
Ich hatte ein richtiges Schlüsselerlebnis, das mich zur Hospizarbeit gebracht hat. Vor drei Jahren etwa habe ich jemanden im Krankenhaus besucht. Ich habe gesehen, dass die Angehörigen dieses Menschen am Ende ihrer Kräfte waren. Plötzlich hörte ich mich sagen: „Wenn Ihr wollt, bleibe ich heute Nacht da.“ Gleich darauf dachte ich mir, was hast du da gesagt? Jedenfalls bin ich geblieben. Die Frau ist am Morgen schließlich gestorben, als ich noch da war. Da habe ich gemerkt, dass ihr mein Dasein geholfen hat.
Viele Menschen möchten alleine sterben. Da darf man sich auch als Angehöriger keine Vorwürfe machen, wenn man in diesem Moment nicht da war. Für mein eigenes Sterben ist mir wichtig, dass ich weiß, was an mir getan wird, wenn ich mich nicht mehr äußern kann. Darum habe ich eine Patientenverfügung. Und ich hoffe, mir hilft auch mal jemand."
Gabriele Kling: "Wenn der Mensch stirbt, ist er nur noch er selbst."
"Zum ersten Mal in Kontakt gekommen mit der Hospizarbeit bin ich während einer Fortbildung. Ich war Krankenschwester, ein Beruf, bei dem man dem Tod begegnet. Aber dieser Vortrag hat etwas in mir ausgelöst. Als ich dann aufgehört habe zu arbeiten, hatte ich Zeit und dachte mir, jetzt ist der Moment dafür da. Das Sterben erlebt habe ich schon früh. In meiner Kindheit war es noch selbstverständlich, dass Angehörige zu Hause gestorben sind und dort auch aufgebahrt wurden. Danach hat sich die Großfamilie noch eine Zeit lang jeden Abend getroffen und Rosenkranz gebetet. Ich erlebte diese Gemeinschaft als Kind sehr trostvoll.
Als Hospizhelferin erlebe ich viele ganz unterschiedliche Situationen. Es kommt auch in einem Altersheim vor, dass Angehörige sich sehr um ihren sterbenden Vater, ihre sterbende Mutter kümmern. Dann spreche ich meinen Einsatz mit ihnen oder den Altenpflegern ab. Es ist schön, wenn Sterbende in ihrer letzten Zeit möglichst wenig alleine sind. Aber ich begegne auch großer Einsamkeit. Das sind Situationen, die mich sehr bedrücken. Ich war bei einer Frau in einem Pflegeheim. In ihrem Zimmer waren viele Fotos von ihr und anderen Menschen, die zusammen feiern und glücklich sind. Während ihrer letzten Stunden durfte ich am Bett der Frau sitzen. „Wo sind jetzt all die Menschen?“, frage ich mich da.
Wie viele Menschen ich begleitet habe, weiß ich nicht, aber ich erinnere mich noch sehr genau an jede Begleitung. Danach ist es gut, eine Pause zu machen. Und es gibt die Supervision, um das Erlebte zu hinterfragen und sich mit anderen Hospizhelfern auszutauschen. Sonst wäre es auf Dauer nicht möglich, diese Tätigkeit auszuüben. Was man da erlebt, macht schon etwas mit einem. Die Zeitlichkeit des Lebens wird einem viel mehr bewusst. Manche Leute sind sehr kurz krank und sterben binnen Monaten.
Ich lebe in einer Partnerschaft, wenn mich etwas sehr berührt, muss ich mir zu Hause natürlich auch Luft machen. Ansonsten ist das kein großes Thema. Wenn ich anderen Menschen von dieser Tätigkeit erzähle, ist die Reaktion meist eher verhalten. Dabei erlebe ich auch sehr beglückende Momente. Alte Menschen zufrieden sterben zu sehen, ist etwas Beeindruckendes. Wenn er stirbt, ist der Mensch ganz reduziert nur noch er. Das löst auch Selbsterkenntnis aus, die Frage: `Was will ich eigentlich in meinem Leben?´“