In Kreisen des Bundesinnenministeriums spricht man hinter vorgehaltener Hand von einem „guten“ Treffer. Am Fundort der Leiche der 2001 verschwundenen neunjähigen Peggy aus dem oberfränkischen Lichtenberg wurden DNA-Spuren von Uwe Böhnhardt gefunden. Eine Sensation: Damit würde die Spur zu dem rechtsradikalen NSU-Trio führen. Dies wurde von Staatsanwaltschaft und Polizei bestätigt.
Damit würde der Fall Peggy eine spektakuläre Wendung nehmen. Zum ersten Mal gibt es ein Indiz auf einen möglichen Täter, der nicht aus dem Raum Lichtenberg stammt. Bisher waren die Ermittler davon ausgegangen, dass es auch jemand aus dem nahen Umfeld des Mädchens sein könnte.
Peggys Skelett im Juli entdeckt
Wo sich die DNA beim Leichenfund Peggys befand – ob sie auf einem der Gegenstände oder auf dem Skelett des Mädchens waren, das Anfang Juli in einem Wald bei Rodacherbrunn an der bayerisch-thüringischen Grenze im Wald gefunden worden war, ist nicht bekannt. In der Nähe der Leiche fanden sich auch Reste der Kleidung von Peggy. Allerdings waren nur noch Fetzen davon übrig, die wohl von Tieren im Wald verteilt worden waren. Weiter gefunden wurde die Kunststoff-Uhr, die das Mädchen am Tag seines Verschwindens trug. Nach Informationen des Nordbayerischen Kuriers wurden auch die Schuhe des Mädchens unter einer Wurzel gefunden, allerdings in einiger Entfernung von der Leiche.
Der Fall Peggy - eine Chronologie
7. Mai 2001: Auf dem Heimweg von der Schule verschwindet die neunjährige Peggy aus dem oberfränkischen Lichtenberg. Wochenlange Suchaktionen bleiben ohne Erfolg.
August 2001: Die Polizei nimmt den geistig behinderten Ulvi K. fest. Er gibt an, sich an Peggy und drei weiteren Kindern sexuell vergangen zu haben.
22. Oktober 2002: Die Ermittler präsentieren den 24-jährigen Tatverdächtigen als mutmaßlichen Mörder der Schülerin.
7. Oktober 2003: Vor dem Landgericht Hof beginnt der Prozess. Nach nur fünf von 16 geplanten Verhandlungstagen platzt der Prozess wegen fehlerhafter Besetzung der Strafkammer.
November 2003: Der Mordprozess beginnt erneut.
30. April 2004: Ulvi K. wird wegen Mordes an Peggy zu lebenslanger Haft verurteilt. Die Strafe tritt er niemals an. Stattdessen wird er wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in der forensischen Psychiatrie untergebracht. Peggys Leiche bleibt indes verschwunden.
17. September 2010: Ein wichtiger Belastungszeuge widerruft seine Aussage und erhebt schwere Vorwürfe gegen die Ermittlungsbehörden.
4. April 2013: Der Anwalt des geistig behinderten Mannes beantragt die Wiederaufnahme des Falls. Er sagt, sein Mandant könne die Tat nicht begangen haben.
April 2013: Ebenfalls im April 2013 beginnt die Polizei, wieder nach der Leiche des Mädchens zu suchen. Entdeckte Knochenteile stammen aber nicht von Peggy.
Dezember 2013: Das Landgericht Bayreuth ordnet die Wiederaufnahme des Verfahrens gegen Ulvi K. an. Ein Belastungszeuge hatte eingeräumt, falsch ausgesagt zu haben.
8. Januar 2014: Auf dem Friedhof Lichtenberg öffnen die Ermittler ein Grab. Sie vermuten, dass bei einer Beerdigung 2001 Peggys Leiche dort abgelegt wurde. Doch sie finden keine Hinweise.
10. April 2014: Auf Anordnung des Landgerichts Bayreuth beginnt das Wiederaufnahmeverfahren. Ulvi K. bestreitet, Peggy getötet zu haben.
7. Mai 2014: Das Gericht beendet das Verfahren aus Mangel an Beweisen. Eine Woche später gibt es einen Freispruch für den geistig behinderten Mann. Er bleibt aber weiter in der Psychiatrie untergebracht.
18. Februar 2015: Die Staatsanwaltschaft Bayreuth stellt ihre Ermittlungen ein. Ein Ermittlungsverfahren gegen unbekannt wird aber aufrechterhalten, um mögliche Spuren weiterzuverfolgen.
19. März 2015: Das Oberlandesgericht Bamberg entscheidet, dass der ursprünglich verurteilte Mann aus der Psychiatrie entlassen werden soll.
16. Juni 2015: Ein ehemaliger Verdächtiger im Fall Peggy wird in einem anderen Fall wegen sexuellen Missbrauchs eines Kindes zu einer Jugendstrafe von sieben Monaten ohne Bewährung verurteilt. Im Fall Peggy gilt er nicht mehr als tatverdächtig.
Mai 2016: Ein im Fall Peggy ehemals verdächtigter Mann fordert Schadenersatz von mehr als 20.000 Euro. Ermittler hatten 2013 auf der Suche nach dem verschwundenen Mädchen sein Grundstück in Lichtenberg metertief durchsuchen lassen. Die Ermittler hatten dabei zwar Knochenreste gefunden. Sie stammten aber nicht von Peggy.
2. Juli 2016: Ein Pilzsammler findet in einem Wald im thüringischen Landkreis Saale-Orla Skelettreste.
4. Juli 2016: Polizei und Staatsanwaltschaft teilen mit, dass die Knochen «höchstwahrscheinlich» von Peggy stammen. Dies hätten erste rechtsmedizinische Untersuchungen und Erkenntnisse am Fundort ergeben.
13. Oktober 2016: Das Polizeipräsidium Oberfranken und die Staatsanwaltschaft Bayreuth teilen mit, dass am Fundort des Skeletts des Mädchens DNA-Spuren des mutmaßlichen NSU-Terroristen Uwe Böhnhardt gefunden worden.
8. März 2017: Der Verdacht einer neuen Ermittlerpanne im Mordfall Peggy hat sich bestätigt: Das in der Nähe der Leiche des neunjährigen Mädchens gefundene DNA-Material des NSU-Mitglieds Uwe Böhnhardt wurde von der Polizei versehentlich selbst an den Tatort gebracht, wie Polizei und Staatsanwaltschaft in Bayreuth mitteilten. Bei der Spurensicherung wurde das gleiche Werkzeug verwendet wie nach Böhnhardts Tod 2011. Beide Fälle haben nichts miteinander zu tun. So etwas »darf nicht passieren», sagte der Leiter der Sonderkommission Peggy, Uwe Ebner.
12. September 2018: Die Polizei durchsucht mehrere Anwesen eines 41 Jahre alten Beschuldigten. Der Mann zählte schon früher zum «relevanten Personenkreis» im Zusammenhang mit dem Verschwinden von Peggy. Nach der Vernehmung kommt er wieder auf freien Fuß.
21. September 2018: Die Ermittler geben bekannt, dass der 41-Jährige gestanden hat, das tote Mädchen in den Wald an der bayerisch-thüringischen Grenze gebracht zu haben, wo später die Knochen gefunden wurden. Ein anderer Mann habe ihm den leblosen Körper am Tag des Verschwindens an einer Bushaltestelle übergeben.
11. Dezember 2018: Die Polizei Oberfranken meldet eine Festnahme in dem Fall, ohne zunächst weitere Details zu nennen.
Ende Dezember 2018: Der Verdächtigte kommt wieder auf freien Fuß. Das Amtsgericht hebt den Haftbefehl gegen den 41-Jährigen auf.
22. Oktober 2020: Die Ermittlungen im Fall Peggy werden eingestellt. Der Fall ist seitdem ein "cold case".
April 2022: Knapp 21 Jahre nach dem Verschwinden des jungen Mädchens werden ihre sterblichen Überreste in Lichtenberg beigesetzt.
Der Schädel des Mädchens ist den Informationen zufolge relativ unversehrt, allerdings hat er einen Riss. Ob dieser von einer Verletzung her stammt oder erst nach dem Vergraben der Leiche entstanden ist, dazu schweigen die Ermittler.
Sie hatten im Laufe des Juli und August den Boden rund um die Fundstelle mehrfach durchsucht und durchsiebt, erst vor einigen Wochen sogar die Tierhöhlen in dem Bereich nach Spuren durchsucht. Gefunden haben sie laut einem Polizeisprecher „nichts Relevantes“.
NSU soll zehn Menschen getötet haben
Der Nationalsozialistische Untergrund (NSU) wird für eine Mordserie mit zehn Toten verantwortlich gemacht, außerdem für zwei verübte Bombenanschläge. Die Opfer waren vorwiegend Migranten sowie eine Polizistin - Michèle Kiesewetter, die 2007 in Heilbronn erschossen wurde. Neben Böhnhardt gehörten dem NSU Uwe Mundlos sowie Beate Zschäpe an, die derzeit in München vor Gericht steht.
2011 hatte Mundlos, als ihnen die Polizei auf der Spur war, nach dem bisherigen Ermittlungsstand offensichtlich Böhnhardt erschossen und sich dann selbst getötet. Über mögliche Zusammenhänge zwischen dem NSU und dem Mordfall Peggy war bisher nichts bekannt. In München läuft seit mehr als drei Jahren der Prozess gegen Beate Zschäpe - als einzige Überlebende des sogenannten Nationalsozialistischen Untergrunds. (mit dpa)
War Böhnhardt schon einmal in einen Kindermord verwickelt?
Chronologie: Immer wieder neue Wenden im Fall Peggy