Die Bilder des brennenden Flüchtlingslagers Moria lösten auch auf den Kanarischen Inseln Bestürzung aus. „Die Kanaren dürfen kein zweites Lesbos werden“, sagt Diego Ojeda. Er ist in Telde, Gran Canarias zweitgrößter Stadt, im Rathaus für Sozialpolitik zuständig. Noch brennen auf den Kanarischen Inseln nur die Probleme, warnt Francisco Suárez Álamo, Chefredakteur der Inselzeitung Canarias 7. Aber dies könne sich ändern, wenn die spanische Staatsregierung und die EU den Kanaren in der aktuellen Flüchtlingskrise nicht bald stärker helfen würden.
Gran Canaria am meisten betroffen
Seit auf der zu Spanien gehörenden Inselgruppe, die vor der westafrikanischen Küste liegt, immer mehr Migrantenboote ankommen, wachsen dort auch die sozialen Spannungen. Vor allem auf Gran Canaria, an deren Küsten derzeit die meisten Migranten und Flüchtlinge antreiben. Es habe bereits „traurige und alarmierende Ereignisse des Rassismus“ gegeben, berichtet Insel-Regierungschef Antonio Morales. Die Ängste der Bevölkerung, die schon unter der Corona-Krise schwer leide, würden von ultrarechten Gruppen instrumentalisiert, um Hass zu schüren.
In Las Palmas flogen Steine
Anfang September flogen Steine gegen eine Aufnahmeeinrichtung für minderjährige Immigranten in der Inselhauptstadt Las Palmas. Wenig später machte ein Video von der Landung eines Migrantenbootes die Runde, auf dem die Ankunft der Schutzsuchenden mit fremdenfeindlichen Beleidigungen kommentiert wurde. Im August errichteten Bewohner des Inselortes Tunte Straßenbarrikaden, um die Unterbringung von Bootsmigranten in ihrer Stadt zu verhindern.
„Wir wollen nicht mit Angst leben!“, stand auf Protestschilder. Seit bekannt wurde, dass es unter den überwiegend afrikanischen Einwanderern einige Corona-Infizierte gab, wachsen Sorgen in der Bevölkerung, dass in den Booten auch Covid-19 auf die Inseln reisen könnte. Doch die Behörden versichern, dass dies bei der Ausbreitung der Epidemie keine größere Rolle spiele.
Schon 200 Boote in diesem Jahr
Seit Jahresbeginn trieben auf den Kanarischen Inseln 5400 Menschen in 200 Booten an - fünf Mal mehr als im Vergleichszeitraum des Vorjahres. Die Migrationsrouten Richtung Europa scheinen sich also wieder zu verschieben. Auf der westlichen Mittelmeerstrecke von Algerien und Marokko nach Südspanien werden immer weniger Migrantenboote gesichtet, auf der Atlantikroute Richtung Kanaren hingegen immer mehr.
Offenbar ist es von den westafrikanischen Atlantikküsten aus derzeit aussichtsreicher, in See zu stechen. Die provisorischen Lager auf den Kanaren sind mittlerweile überfüllt. Die schlimmsten Zustände herrschten die letzten Wochen im Hafen von Arguineguín im Süden Gran Canarias, wo hunderte Menschen tagelang und eng zusammengepfercht auf der Hafenmole in Rot-Kreuz-Zelten schliefen.
Ärger über Flüchtlingsunterbringung in Urlauberhotels
Inzwischen werden die Immigranten von den Behörden sogar in Ferienhotels untergebracht, die wegen der Corona-Krise leer stehen. Dies stößt aber in der Öffentlichkeit auf Kritik, da gefürchtet wird, dass Bilder und Berichte über die Hotelunterbringung die Migrantenzahlen noch vergrößern könnten. Auch manche lokale Helfer, wie etwa Pastor Ángel Manuel Hernández, halten diese Unterbringung für kontraproduktiv, weil dies einen „Sogeffekt“ erzeugen könne.
Für Spaniens rechtspopulistische Partei Vox, inzwischen drittgrößte Fraktion im nationalen Parlament, ein willkommenes Thema: „Hotels mit Schwimmbad und Vollpension!“, twitterte Vox-Politiker Rubén Pulido. „Und die Spanier müssen dies alles bezahlen.“ Was er verschwieg ist, dass die Pools in den Immigrantenhotels geschlossen wurden.
Auch linker Regierungschef für Kasernen-Unterbringung
Auch Gran Canarias linker Regierungschef Antonio Morales fordert, dass Migranten provisorisch in leer stehenden Kasernen untergebracht werden sollten. Dies scheiterte bisher aber an der Zustimmung des Militärs. Am besten wäre es aber, laut Morales, wenn die Einwanderer so bald wie möglich aufs spanische Festland überführt werden könnten, um weitere Spannungen auf den Inseln zu vermeiden. Die Inseln dürften sich nicht in ein „Gefängnis“ verwandeln, wie es mit Lesbos geschehen sei.
Spanien will sich nicht an der Aufnahme von obdachlosen Migranten und Flüchtlingen beteiligen, die auf Lesbos ausharren. Spaniens sozialistischer Regierungschef Pedro Sánchez erklärte zwar seine „Solidarität mit Griechenland“ nach dem Lagerbrand in Moria, machte aber keine Zusage hinsichtlich einer Überführung von Schutzsuchenden ins spanische Königreich.
Außenministerin Arancha González Laya begründete die Absage damit, dass Spanien bereits wie Griechenland einem starken Druck von Bootsmigranten ausgesetzt sei, die übers Mittelmeer kommen. Seit Januar seien insgesamt mehr als 14.000 Menschen an spanischen Küsten angekommen. Mit der Aufnahme dieser Menschen erfülle das Land bereits seine Pflicht.
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