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Soziale Netzwerke: Experten warnen: Warum Eltern keine Kinderbilder posten sollten

Soziale Netzwerke

Experten warnen: Warum Eltern keine Kinderbilder posten sollten

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    Kinder in Badekleidung, die am Strand liegen, vielleicht ein Rad schlagen: Solche vermeintlich harmlosen Familienbilder und -videos können im Internet schnell zur Gefahr werden.
    Kinder in Badekleidung, die am Strand liegen, vielleicht ein Rad schlagen: Solche vermeintlich harmlosen Familienbilder und -videos können im Internet schnell zur Gefahr werden. Foto: Bernhard Weizenegger (Symbol)

    Mia Rose nach der Geburt, Mia Rose in süßen Outfits, Mia Rose mit Mama und Papa. Die Eltern der mittlerweile Einjährigen, Sarah und Dominic Harrison, zeigen ihr Leben in den sozialen Netzwerken. Sarah Harrison, früher Sarah Nowak, ist ein aus Günzburg stammendes Playmate. Sie betreibt überaus erfolgreich einen Youtube-Kanal: Rund 958.000 Menschen folgen ihr auf der Videoplattform, ihr Instagram-Kanal kommt auf knapp 1,8 Millionen Nutzer. Sie bezeichnet sich dort als „ProudMummy“, als stolze Mutter. Und sie ist nicht die einzige, die ihr Kind im Netz präsentiert: Das Internet ist voll von sogenannten Mama-Bloggerinnen.

    Kinderbilder im Netz können für Kinder zur Gefahr werden

    Doch wo viele Bilder von Kindern kursieren, erhöht das die Gefahren für diese: die Gefahr von Cybermobbing, das in Extremfällen im Suizid endet; von Sexting, dem Austausch erotischer Bilder, die schon Kinder – unter Druck gesetzt – an Erwachsene schicken. Erst vor einer Woche diskutierten Ärzte während einer Tagung in Kassel über diese Probleme. Es ging darum, die Ärzteschaft für die Gefahren im Netz zu sensibilisieren.

    Selbst Videos von Kindern, die sich in Tanzsequenzen und oft leicht bekleidet zeigen, können problematisch sein – darauf wies die Rechtsanwältin Gesa Stückmann im Rahmen der „Bundesjugendkonferenz Medien 2019“ in Rostock vor wenigen Tagen hin. „Das ist für Pädophile sehr attraktiv“, sagte sie. Auch Thomas-Gabriel Rüdiger und Toyah Diebel weisen immer wieder auf die Gefahren hin. Rüdiger ist Cyberkriminologe an der Fachhochschule der Polizei des Landes Brandenburg, Diebel war Radiomoderatorin und ist bekannt für ihren Podcast „Toyah aber billig“. Sie wird häufig als Bloggerin bezeichnet, macht sich aber satirisch über diese lustig. Instagram ist ihr Sprachrohr, wenn es darum geht, die konsumgesteuerte Oberflächlichkeit der Influencer-Welt aufs Korn zu nehmen. Influencer sind die Stars der sozialen Netzwerke; Nutzer, die so viele Follower haben, dass sie diese beeinflussen können. Für die Werbebranche sind sie sehr interessant.

    Diebel: Eltern inszenieren ihre Kinder, um sich selbst zu profilieren

    Als jemand, der in sozialen Netzwerken aktiv ist, weiß Diebel, wie diese zur Selbstdarstellung genutzt werden. „Mir ist aufgefallen, dass Eltern ihre Kinder nicht nur präsentieren, sondern inszenieren, um sich selbst zu profilieren“, sagt sie. Rüdiger nennt das „digitalen Narzissmus“. „Wir alle wollen Anerkennung – für unser Aussehen oder beruflichen Erfolg. Das ist normal. Im Netz suchen wir Anerkennung durch Likes, Kommentare, Followerzahlen.“ Das führe dazu, dass manche Eltern ihr Kind im Netz präsentieren. Rüdiger kennt die Risiken der Selbstdarstellung, zumindest teilweise: „Es gibt Risiken, die wir jetzt erkennen, und solche, die wir noch nicht erkennen können, da wir nicht wissen, was in der Zukunft machbar ist.“ Es sei zum Beispiel nicht klar, was man an Kinderbildern irgendwann ablesen kann.

    Was bekannt sei: „Pädophil geneigte Personen suchen explizit auch solche Bilder, um sich daran zu ergötzen“, sagt Rüdiger. Bilder, auf denen Kinder am Strand liegen, turnen oder in der Badewanne sitzen, Familienszenen, die man in Youtube-Videos sieht. Kürzlich erklärte der Blogger Matt Watson in einem Video auf Youtube, dass Pädophile unter Youtube-Videos Zeitangaben schreiben. „Das ist dann beispielsweise eine Szene, in der das Kind gerade die Beine spreizt“, sagt Rüdiger. „Davon werden dann Screenshots angefertigt.“ Weil die Betreiber der Plattform lange nicht gegen so etwas vorgingen, stellten Konzerne wie Dr. Oetker nach Watsons Video ihre Werbung auf dem Video-Netzwerk ein.

    Das Problem sei nicht auf Youtube beschränkt, betont Thomas-Gabriel Rüdiger. Gerade bei öffentlichen Profilen auf Instagram, bei Mama-Bloggerinnen, die Tausende Follower haben, sei das Risiko hoch. „Jede Mutter, jeder Vater sollte sich vorher überlegen: Gibt es irgendeinen Menschen auf der Welt, von dem ich nicht möchte, dass er dieses Bild von meinem Kind sieht?“, sagt Toyah Diebel und kritisiert: „Wenn ich Scheuklappen auf habe – was viele Mama- und Papa-Blogger leider haben–, ist das fahrlässig.“Sarah Harrison, die Influencerin und Mama-Bloggerin, wollte sich auf Anfrage nicht zum Thema Kinderbilder in sozialen Netzwerken äußern.

    Kinderbilder in sozialen Netzwerken: Profile auf privat zu stellen, ist nicht immer eine Lösung

    Diebel versuchte, über Instagram auf das Problem aufmerksam zu machen – auf eine Art, die sie „provokant“ nennt. Die 29-Jährige machte Screenshots von Fotos, die Mama-Bloggerinnen hochgeladen hatten, und kopierte per Photoshop ihren eigenen Kopf auf den der jeweiligen Mutter. Dadurch habe sie Aufmerksamkeit bekommen, sagt sie. In der Tat: Es gab Streit mit den Bloggerinnen. Diebel betont: „Es steht nicht im Vordergrund, einzelne Mütter oder Väter zu diskreditieren oder sie anzuprangern, aber auf das Thema muss aufmerksam gemacht werden.“ Einige hätten ihre Kritik angenommen, andere seien auf sie losgegangen. Mit den folgenden Argumenten: „Du hast kein Kind, du kannst gar nicht mitreden. Meinem Kind macht das Spaß, es lacht dabei. Wenn es dem Kind peinlich ist, kann ich das ja löschen.“

    Dafür kann es aber schnell zu spät sein – ein Screenshot etwa ist leicht gemacht. „Eine Grunderkenntnis ist: Täter schauen sich das an, sammeln die Bilder, teilen sie“, sagt Thomas-Gabriel Rüdiger. Das Profil auf privat zu stellen, wie es bei Instagram möglich ist, sei nicht immer eine Lösung, gibt er zu bedenken. Denn: „Je nachdem, wie viele Follower man auf dem privaten Profil annimmt, erhöht sich das Risiko.“ Laut der sogenannten Dunbar-Zahl hat jeder Mensch im Schnitt 150 Bekannte, mit denen er soziale Beziehungen unterhält, erklärt Rüdiger. „Hat man nun aber 700 Follower auf dem privaten Instagram-Profil, kann man nicht für alle die Hand ins Feuer legen.“

    Der Cyberkriminologe kritisiert nicht nur das Veröffentlichen von Kinderbildern in sozialen Netzwerken, sondern generell im Internet: „Auch bei Schulen, Kindergärten, Sportvereinen und in den Medien.“ Ebenfalls problematisch: Im Gegensatz zu Werbemodels hätten die Kinder, mit denen in den sozialen Netzwerken geworben werde, bereits eine komplette Identität. „Man gibt den Kindern eine digitale Identität, noch bevor sie wissen, wie sie sich darstellen wollen. Und im Netz ist das alles fixiert“, sagt Rüdiger.

    Rüdiger: Bilder nur denen zur Verfügung stellen, denen ich auch mein Kind anvertrauen würde

    Außerdem sei das Kind immer erkennbar – weil sich aus dem Post und dem Account der Eltern viel herauslesen lasse, selbst wenn Eltern ihr Kind nur von hinten zeigen oder ein Emoticon über das Gesicht montieren. „Eine Gefahr ist GPS-Tagging“, erklärt der Cyberkriminologe. Postet jemand von einem bestimmten Standort aus ein Bild, könne man leicht herausfinden, welche Schulen oder Kindergärten es dort gebe. „Vielleicht weiß man den Nachnamen des Kindes, weil die Eltern ihren Nachnamen öffentlich auf Social Media angeben“, erklärt er. Sogar die Silhouette oder die Kleidung könnten eine Spur sein. Vor allem Mama-Bloggerinnen geben aus Werbegründen oft an, was ihr Sprössling trägt. Toyah Diebel kann den finanziellen Aspekt hinter der Werbung auf Instagram verstehen, gerade bei Alleinerziehenden. „Aber ich muss mich fragen: Ist es mir das wert? Für mich persönlich ist es, ehrlich gesagt, Kinderarbeit.“ Im Gegensatz zu Werbeagenturen hätten Influencer keine kinderspezifischen Auflagen, beispielsweise, wie lange ein Kind während eines Drehs Pausen machen muss, kritisiert sie. „Bei Instagram guckt da keiner nach.“

    Was ist die Lösung? Rüdiger hat dieses Prinzip: „Ich würde die Bilder nur denen zur Verfügung stellen, denen ich auch meine Kinder anvertrauen würde.“ Wer das sei? „Meine Familie und vielleicht mein engster Freundeskreis.“ Private WhatsApp-Gruppen seien kein Problem, bei anderen Plattformen fordert er schlicht: „Keine Kinderbilder posten.“ Ihm ist klar, dass das utopisch ist. Rüdiger wünscht sich aber zumindest eine Maßnahme, um das Netz für Kinder sicherer zu machen, und zwar „einen Medienführerschein für Erwachsene“. Außerdem müsse man über eine Regelung nachdenken, die festlegt, dass man Kinderbilder erst posten darf, wenn die Kinder ein bestimmtes Alter erreicht haben. Noch lieber als ein Verbot wäre dem Cyberkriminologen jedoch, „wenn die Eltern sich überzeugen ließen“.

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