Die italienischen Medien reagierten mit kaum unterdrückter Begeisterung. „Schock im Vatikan. Es ist das erste Mal“, titelte die Tageszeitung La Repubblica am Mittwoch anlässlich der Festnahme des ehemaligen polnischen Erzbischofs und päpstlichen Nuntius in der Dominikanischen Republik, Józef Wesolowski, wegen Kindesmissbrauchs. Die Nachrichtenagentur Ansa bezeichnete diese als einen „Blitz aus heiterem Himmel für die ganze Welt“. Wieder habe Franziskus eines seiner „revolutionären“ Signale gesendet.
Tatsächlich war die Festnahme am Dienstagabend eine Premiere. Niemals zuvor war die Strafjustiz des Kirchenstaates wegen Kindesmissbrauchs derart drastisch gegen einen hohen Prälaten vorgegangen. Wesolowski, der in den Jahren 2008 bis 2013 als Vatikan-Botschafter in dem Karibik-Staat tätig war, wird vorgeworfen, in mindestens vier Fällen Minderjährige in Santo Domingo sexuell missbraucht zu haben. Bereits im Juni war der Pole von der Glaubenskongregation in einem kanonischen Prozess aus dem Priesterstand entlassen worden. Auch ein Strafverfahren läuft im Vatikan gegen ihn. Offiziell wurde die Festnahme vom Vatikan mit der „Schwere“ der Vorwürfe begründet. Weil er offenbar nicht bei bester Gesundheit ist, wird der 66 Jahre alte Ex-Priester nun im Hausarrest im vatikanischen Gerichtsgebäude festgehalten.
Festnahme ist "auf Willen des Papstes" erfolgt
Die meisten Beobachter interpretierten die Festnahme als Beweis für die rigide Haltung von Papst Franziskus beim Thema Kindesmissbrauch. Vatikansprecher Federico Lombardi förderte diesen Eindruck, indem er sagte, die Festnahme sei auf „ausdrücklichen Willen des Papstes“ erfolgt, damit ein „so schwerer und delikater“ Fall „ohne Verzögerungen“ und mit der „richtigen und notwendigen Strenge“ behandelt werden könne.
Franziskus hatte im vergangenen Mai Kindesmissbrauch durch Priester mit einer „schwarzen Messe“ verglichen und versprochen, Mitglieder des Klerus, die sich solcher Verbrechen schuldig gemacht haben, nicht zu privilegieren. Unter anderem hatte der Kinderrechtsausschuss der Vereinten Nationen den Vatikan kritisiert, Priester zu decken und nicht mit der staatlichen Justiz zusammenzuarbeiten. Neben Wesolowski ermittelt der Vatikan gegen zwei weitere Bischöfe.
An der Lesart, die Festnahme Wesolowskis sei Ausdruck einer Politik der „Null-Toleranz“, gibt es allerdings auch Zweifel. Nach einem Bericht der New York Times vom 23. August wurde der Ex-Nuntius ein Jahr zuvor „heimlich“ nach Rom zurückbeordert und lebte dort unbehelligt in einem Kloster.
Dominikanische Justiz wurde durch Fernsehberichte auf den Fall aufmerksam
Die lokalen Behörden seien damals vom Vatikan nicht informiert worden, obwohl in den Leitlinien des Heiligen Stuhles eine Kooperation mit den Behörden angemahnt wird. Eine Auslieferung an die Justiz in der Dominikanischen Republik oder nach Polen lehnte der Heilige Stuhl später mit Hinweis auf die Vatikan-Staatsbürgerschaft und die inzwischen aufgehobene Diplomaten-Immunität des Prälaten ab. Die dominikanische Justiz wurde überhaupt erst durch einen Fernsehbericht auf den Fall aufmerksam.
Nicht auszuschließen ist auch, dass die Festnahme durch innerkirchliche Kritik beschleunigt wurde. Ende Juni hatte Victor Masalles, Weihbischof von Santo Domingo, über Twitter wissen lassen, er sei überrascht gewesen, Wesolowski unbehelligt „in der Via della Scrofa in Rom spazieren gehen zu sehen“. „Das Schweigen der Kirche hat das Volk Gottes verletzt.“