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Sexualität: Wie rede ich mit meinem Kind über Pornografie?

Sexualität

Wie rede ich mit meinem Kind über Pornografie?

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    Frei zugängliche Erwachsenen-Pornografie muss nicht geduldet werden. Wer sich darüber beschweren will, sollte konkrete Angaben zum Fundort machen.
    Frei zugängliche Erwachsenen-Pornografie muss nicht geduldet werden. Wer sich darüber beschweren will, sollte konkrete Angaben zum Fundort machen. Foto: Marcus Brandt (dpa)

    Pornografie - was früher bloß in "Schmuddelkinos" oder der hintersten Ecke der Videothek verfügbar war, ist heute nur einen Klick entfernt. Ein paar Fakten vorneweg:

    Die Augsburger Sexualtherapeutin Birgit Andree weiß: "Durch die mediale Präsenz entkommen Kinder in der heutigen Zeit Pornografie nicht mehr." Durchschnittlich im Alter zwischen 15 und 17 Jahren hätten Jugendliche zum ersten Mal Geschlechtsverkehr. "Aber schon Jahre vorher kommen sie erstmals mit pornografischen Inhalten in Berührung."

    Mit Kindern über Pornografie zu sprechen, ist oft schambehaftet

    Gerade deshalb sei es für Eltern so wichtig, mit Kindern darüber zu sprechen. "Sogenannte Female-friendly-Pornos* sind zwar auf dem Vormarsch, aber bei den meisten Pornos handelt es sich weiterhin um unrealistische Darstellungen", sagt Andree. (Female friendly oder feministische Pornografie will stereotype Muster von Sexfilmen durchbrechen und wendet sich gegen ein erniedrigens Frauenbild, das in vielen Pornos bis heute reproduziert wird. Anm. d. Red.)

    Ein Beispiel:Die Darstellung der Geschlechtsteile. "Jungs identifizieren sich damit, so wie viele Mädchen meinen, sie müssten so dünn sein, wie die Teilnehmerinnen von Germany's Next Topmodel", erklärt Birgit Andree.

    Aufgabe der Eltern sei es, Kindern klarzumachen, dass diese Darstellungen nicht der Realität entsprechen. "Sie fühlen sich sonst unter Druck gesetzt. Jungs meinen, sie müssen performen, das ganze Repertoire beherrschen, das in Pornos gezeigt wird - inklusive teilweiser bizarrer Praktiken. Mädels meinen, sie müssen zu allem bereit sein."

    Doch wie können Eltern mit ihren Kindern über Pornografie sprechen, ohne dass es peinlich für alle Beteiligten wird?

    "Wie mit der kompletten Aufklärung wird es schwierig, wenn darüber noch nie gesprochen wurde", sagt Sexualtherapeutin Andree. Den einen perfekten Satz, mit dem Eltern ein Gespräch über Pornografie beginnen können, gebe es allerdings nicht. Wichtig sei, den Kindern Gesprächsangebote zu machen. "Spätestens nach der Grundschule, so mit 10 oder 11 Jahren, sobald Kinder eigene Handys haben und ins Internet kommen, gehen solche Videos herum", weiß Andree, die selber zwei Töchter hat.

    Schon im Grundschulalter kommen viele Kinder zum ersten Mal mit pornografischen Inhalten in Berührung.
    Schon im Grundschulalter kommen viele Kinder zum ersten Mal mit pornografischen Inhalten in Berührung. Foto: Julian Stratenschulte, dpa

    "Wenn Eltern merken, da ist Getuschel und Gekicher, können sie ihren Kindern sagen 'Du, ich merke, da ist etwas, das dich beschäftigt. Komm auf mich zu, wenn du darüber sprechen möchtest'." In Familien, in denen offen über Sexualität gesprochen werde, sei so etwas einfacher, "wenn Kinder merken, dass sie Fragen stellen können und die Eltern nicht abblocken oder sich beschämt zurückziehen."

    Hilfreich sei, authentisch zu sein, sagt Andree. Als Gesprächseinstieg für Eltern schlägt sie beispielsweise vor: "Für mich ist das auch ein komisches Thema, ich bin da auch nicht so locker. Lass uns gemeinsam einen Weg und Worte finden, wie wir damit umgehen können."

    Wenn sich Eltern ganz schwer tun, Sexualität, Pornografie und Co. zu thematisieren, könne helfen, eine dritte Person dazuzuholen. "Beratungsstellen wie Pro Familie sind da ein guter Anlaufpunkt", sagt Andree.

    "The Porn Conversation" gibt Rat: Wie können Eltern über Pornos sprechen?

    Auch online finden Eltern, aber auch Lehrer, Angebote, die das Gespräch über Pornografie erleichtern sollen. So zum Beispiel die Homepage "The Porn Conversation", die Erwachsenen einen Leitfaden an die Hand geben will, wie sie das Thema mit Kindern besprechen können. Ins Leben gerufen wurde die Seite von der schwedischen Regisseurin Erika Lust, die als Pionierin feministischer Pornografie gilt, und ihrem Ehemann Pablo Dobner.

    Auf der Seite heißt es: "2005 haben wir eine Produktionsfirma gegründet, um der chauvinistischen Welt der Pornografie mit positiven und auch für Frauen relevanten Inhalten etwas entgegenzusetzen. Nun machen wir uns aber Sorgen über etwas Neues: den einfachen Zugang zu schlechter Pornografie und furchtbaren Seiten, den Kinder und Jugendliche haben."

    Deswegen haben Lust und Dobner die Non-Profit-Homepage ins Leben gerufen. Je nach Alter der Kinder geben die Autoren von "The Porn Conversation" Eltern und Lehrern unterschiedliche Ratschläge dazu, wie und in welchem Umfang das Thema Pornografie besprochen werden sollte. Nach einer kostenlosen Registrierung per Mail können Interessierte die englischsprachigen Handbücher für Kinder unter 11 Jahre, für Jugendliche zwischen 11 und 15 Jahren sowie für Jugendliche über 15 Jahre herunterladen.

    Einen ähnlichen Ansatz verfolgt das ebenfalls englisch-sprachige Online-Angebot "Culture Reframed Parents Program". Dort können Eltern von circa 10- bis 13-Jährigen in einem aus 13 Modulen bestehenden, von Wissenschaftlern entwickelten Kurs lernen, wie und warum sie mit ihre Kindern über Pornografie sprechen sollten.

    Warum sollten Eltern überhaupt mit Kindern über Pornografie sprechen?

    "Ihr würdet eure 15-jährigen Kinder ja auch nicht in einen Nachtclub schicken, ohne mit ihnen über Drogen oder Alkohol zu sprechen, oder?", fragt Erika Lust in einem Video, in dem sie und ihr Ehemann "The Porn Conversation" vorstellen. "Wir sprechen mit unseren Kindern über Ernährung, Menschenrechte, Rassismus, Homophobie, Drogen, Geschlechter- und Körperbilder, die meisten von uns auch über Sex. Lasst uns Pornografie davon nicht ausschließen."

    "Jeder hier, der Kinder hat, muss mit seinen Kindern über Pornografie sprechen - so früh wie möglich. Eure Kinder werden die Inhalte online finden und brauchen eure Hilfe, um damit umzugehen", ergänzt Lusts Ehemann Pablo Dobner.

    "Ihr könnt Pornografie nicht verschwinden lassen, indem ihr nicht darüber sprecht", erklärt er. "Im Gegenteil: Dadurch lasst ihr es geheimnisvoll, gefährlich und verboten erscheinen - und gerade dadurch attraktiv."

    Was sollten Kinder und Jugendliche über Pornos wissen?

    Kinder und Jugendliche kann das Gesehen in Pornos irritieren, mit weitreichenden Folgen. In Pornos wird Sex meist von Emotionen getrennt gezeigt. Der Zusammenhang von Sex, Sinnlichkeit und Beziehungen wird in pornografischen Inhalten anders dargestellt, als es in der Realität der Fall ist, beziehungsweise völlig außer acht gelassen.

    Sexualtherapeutin Birgit Andree sagt: "Die Kinder sind teilweise von den Darstellungen überfordert. Es geht darum, sie zu schützen."

    Die meisten Pornofilme lehren Jungen und Mädchen nicht, wie sie ihre Gefühle kommunizieren können. Zudem vermitteln sie ein unrealistisches Bild, wie Menschen beim Sex auszusehen oder sich zu verhalten haben. Zudem können Kinder und Jugendliche den Eindruck gewinnen, dass es in Ordnung sei, Nacktfotos voneinander zu erstellen oder sich zu filmen. Die Bedeutung von gegenseitigem Vertrauen, das Recht auf Intimität  sowie die Wichtigkeit von gegenseitigem Einverständnis in jeder Beziehung wird dabei aber völlig außer Acht gelassen.

    Ein weiterer Punkt: Pornografische Inhalte normalisieren abwertendes oder gewalttätiges Verhalten gegenüber Frauen häufig. Einer britischen Studie zufolge geben 71 Prozent der Mädchen und jungen Frauen zwischen 11 und 21 Jahren an, dass Pornografie ihnen falsche Botschaften über Einverständnis vermittelt und sexuelle Gewalt normal erscheinen lässt. Birgit Andree ergänzt: "Hinzu kommt das klischeehafte Rollenbild: Frauen bedienen den Mann."

    Welche Botschaften sollten Eltern ihren Kindern vermitteln?

    "Lehren statt verbieten" heißt das Motto von "The Porn Conversation". Eltern sollen ihren Kindern Verständnis entgegenbringen und Achtsamkeit lehren, anstatt ihnen lediglich zu verbieten, Pornos zu schauen. Dafür geben Erika Lust und Pablo Dobner Eltern klare, altersgerechte Botschaften mit an die Hand. So findet sich im Ratgeber für unter 11-Jährige zum Beispiel die Erklärung: "Pornos sind kein echter Sex. Die Leute sind Schauspieler. Das, was du da siehst, ist nicht, wie es in einer echten Beziehung abläuft." Oder auch: "Zieh dich für niemanden aus, ob mit oder ohne Kamera, wenn er dich unter Druck setzt. Du kannst uns erzählen, wenn jemand versucht dich dazu zu bringen, Fotos oder Videos von dir zu machen, in denen du deine Genitalien oder Brüste zeigst."

    Gerade für Eltern jüngerer Kinder bieten sich zudem Jugendschutz-Apps an, die bestimmte Inhalte für Kinder blockieren beziehungsweise Eltern die Möglichkeit geben, die Online-Aktivität ihrer Kinder zu kontrollieren. Auch hierzu geben Lust und Dobner konkrete Tipps

    Mit älteren Kindern können Eltern auch andere Aspekte thematisieren, wie: "Männer und Frauen sind behaart. Sie haben Schamhaare, das ist völlig normal. Du kannst selbst entscheiden, ob du rasiert sein willst oder nicht." Ebenso wichtig, besonders für Mädchen: "Von Frauen sollte nicht erwartet werden, sexuelle Handlungen als Gegenleistung für irgendetwas zu erbringen."

    Auch für Eltern von Jugendlichen, die bereits sexuell aktiv sind, ist es wichtig, Pornografie zu thematisieren. Dazu geben Lust und Dobner unter anderem folgende Ratschläge: "Vielleicht hast du schon selbst Sex gehabt und vielleicht hattest du den Eindruck, eine bestimmte Performance hinlegen zu müssen. Das ist nicht so. Sex ist für jeden anders. Herauszufinden, was dir persönlich gefällt, ist der schönste Teil daran."

    Ganz unabhängig vom Alter sollten Eltern auf folgende Sätze (inklusive vorwurfsvollem Unterton) besser verzichten: "Wer hat dir das gezeigt?", "Wo hast du das her?", "Warum guckst du dir das an?", "Pornos sind schlecht/böse/manipulativ." Lusts und Dobners Fazit: Negativität hilft nicht weiter.

    Ähnlich sieht es Sexualtherapeutin Birgit Andree: "Den Kindern Pornografie zu verbieten, nützt nur den Eltern was - die fühlen sich dann aus dem Schneider." Bei einem Porno-Verbot verhalte es sich jedoch wie mit anderen Verboten. "Wir können Kindern auch verbieten, Fernsehen zu schauen. Aber dann laufen sie eben zum Nachbarskind und schauen dort."

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