Kürzlich erst wurden Statisten für die dritte Staffel von „Babylon Berlin“ gesucht. Sie sollten möglichst aussehen wie die Menschen, die in den 20er Jahren lebten. Also: keine Solariumsbräune, Piercings und sichtbaren Tattoos. „Babylon Berlin“ lebt von den Kostümen, den Kulissen und dem Flair der „Goldenen Zwanziger“ und deren Schattenseiten.
Die beiden ersten Staffeln der Verfilmung der Krimi-Bestseller von Volker Kutscher waren mit fast 40 Millionen Euro das teuerste deutsche Serienprojekt. Entsprechend riesig waren die Erwartungen, als die Serie im Herbst 2017 auf Sky lief. Der Bezahlsender hatte sie gemeinsam mit der gebührenfinanzierten ARD produziert.
Erst ein Jahr später hat „Babylon Berlin“ nun im Free-TV Premiere. Die Erwartungen sind wieder riesig.
Damals ging es um die Frage: Kann eine deutsche Serie mit gefeierten US-Serien wie „Mad Men“ mithalten? Die Antwort von Kritikern und Zuschauern fiel eindeutig aus: Ja. „Babylon Berlin“ wurde in mehr als hundert Länder verkauft. Und die Erfolgsgeschichte könnte noch lange weitergehen. „Ich glaube fest daran, dass es sieben, acht oder neun Staffeln geben wird“, sagte Christine Strobl von derARD-Filmproduktionsfirma Degeto am Freitag in der Heilbronner Stimme.
Jetzt, zum Start im Ersten, lauten die Fragen: Interessiert sich auch ein großes öffentlich-rechtliches Publikum für die Serie, gehört Kooperation mit Pay-TV-Sendern die Zukunft und folgen weitere aufwendig produzierte, teure Produktionen, die es international mit denen von Netflix oder Amazon Prime Video aufnehmen können? Zuschauern wäre das zu wünschen, schließlich verschlief das deutsche Fernsehen den Serientrend.
Das ist das Highlight der ersten Doppelfolge
Wie prestigeträchtig „Babylon Berlin“ ist, zeigt allein der Sendeplatz: Die ARD stellt die Serie mitten ins Schaufenster. Mit dem „Tatort“ und der Polit-Talkshow „Anne Will“ müssen am Sonntag gleich zwei als unantastbar geltende Programm-Größen weichen. Das ist durchaus mutig für ARD-Verhältnisse. Denn wer am Sonntagabend konventionelle Krimi-Kost erwartet, wird sich wundern: „Babylon Berlin“ ist zwar im Grunde ein Krimi, aber eben auch ein zwölf Stunden langer Spielfilm in 16 Teilen, der sich für seine Geschichte ähnlich viel Zeit nimmt wie die Hochglanz-Serien aus den USA. Dran bleiben lohnt sich in jedem Fall. Denn die Serie entfaltet auch dank ihrer hervorragenden Musik und beeindruckender Bilder eine Sog-Wirkung.
Das von den Regisseuren Tom Tykwer, Hendrik Handloegten und Achim von Borries geschriebene Drehbuch basiert auf dem Roman „Der nasse Fisch“ von Volker Kutscher, dem Auftakt zu einem bislang achtteiligen Zyklus über den Kölner Kriminalkommissar Gereon Rath, der im Berlin der späten 20er Jahre ermittelt.
Sein erster Fall hat einen pikanten Hintergrund: Er ist auf der Suche nach einem „unappetitlichen“ Film, bei dem der damalige Kölner Oberbürgermeister Konrad Adenauer eine unrühmliche Rolle spielte. Weil die Serie die ökonomischen und politischen Schattenseiten jener Jahre betont, machen gerade die Kontraste ihren Reiz aus: hier der Tanz auf dem Vulkan, dort die unbeschreibliche Armut der Menschen sowie die Bedrohungen von links und rechts für die noch junge Weimarer Republik. Und mittendrin Kommissar Rath (Volker Bruch), der versucht, ein guter Mensch zu bleiben. Seit dem Krieg ist er ein „Zitterer“ – heute würde man von posttraumatischer Belastungsstörung sprechen – und schluckt Morphium. In weiteren Rollen: Liv Lisa Fries als Stenotypistin, die sich als unverzichtbar für Rath erweisen wird. Sowie die erste Reihe der deutschen Schauspielzunft: Matthias Brandt, Lars Eidinger, Hannah Herzsprung oder Udo Samel. Sensationell das Finale der ersten Doppelfolge: die Litauerin Severija Januauskaite, die „Zu Asche, zu Staub“ singt. (mit dpa)
TV-Tipp: Die ARD zeigt am Sonntag um 20.15 Uhr drei Episoden. Die weiteren Folgen der ersten und zweiten Staffel folgen donnerstags um 20.15 Uhr.