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Schweiz: Verblasst der Glanz von St. Moritz?

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Verblasst der Glanz von St. Moritz?

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    St. Moritz gilt als Nobelskiort - was Segen und Fluch zugleich ist.
    St. Moritz gilt als Nobelskiort - was Segen und Fluch zugleich ist. Foto: Bernhard Krieger (dpa)

    Wie weit schwebt der Olymp über dem normalen Leben? Braucht diese vermeintlich so erhaben über der Welt liegende Trutzburg der Götter gar eine Erdung? Um nicht allzu hart auf dem Boden der Realität aufzuschlagen und dabei womöglich bis in ihren Kern schaden zu nehmen? Ausgerechnet jetzt? Wo doch alle Welt mal wieder zu ihr nach oben blickt und doch eigentlich nichts anderes sehen will als unsterblichen Glamour und Götterglanz?

    Der Schweizer Johannes Badrutt gilt als derjenige Hotelier, der vor gut 150 Jahren den Wintersport in St. Moritz erfunden hat.
    Der Schweizer Johannes Badrutt gilt als derjenige Hotelier, der vor gut 150 Jahren den Wintersport in St. Moritz erfunden hat. Foto: Bernhard Krieger, dpa

    Der Olymp liegt auf 1822 Metern Höhe, nennt sich selbst auch „Top of the World“ und gilt tatsächlich als die Nummer eins unter den Wintersportorten dieser Welt: St. Moritz-Dorf. Das ist wohl schon historisch richtig. Weil der Legende der Gastwirt Johannes Badrutt vor gut 150 Jahren eine Wette mit englischen Sommergästen gewagt hat, diese könnten sich hier auch im Winter sonnen – und gewann. Die Erfindung des alpinen Wintertourismus. Die Nummer eins aber meint vor allem den Status, den der Ort durch die Nachfolger der wagemutigen Gentlemen erhalten hat.

    In Johannes Badrutts „Kulm“-Hotel, dem durch seinen Sohn gegründeten „Badrutt’s Palace“ und den anderen Fünf-Sterne-Häusern, die sich wie Paläste am Nordufer des Sees erheben, nämlich logierten und feierten und prassten die Götter: die Bismarcks und Bogners und Burdas, Gunter Sachs und Aristoteles Onassis, das saudische Königshaus und russische Oligarchen, Hollywoodstar Clooney und Fiat-Pate Agnelli … Und mit ihnen kamen Prada und Gucci, Rolex und Rolls-Royce, Kaviar und Dom Perignon … Luxus und Glamour, Adel und Geldadel, Exklusivität und Exzentrik – auch wer heute durch die heiligen Hallen des „

    Strengere Steuerfahndung schreckt Touristen ab

    Denn Nummer eins ist St. Moritz auch darin: dass hier gerade bereits zum fünften Mal die alpinen Ski-Weltmeisterschaften stattfinden. Dazu wurde im Park bei Johannes Badrutts Kulm dann auch für 15 Millionen Franken ein Pavillon nachgebaut, der bei den beiden Olympischen Winterspielen hier, 1928 und 1948. Die Nummer eins auch bei Olympia zu werden durch dritte Spiele 2022, scheiterte aber an der fehlenden Zustimmung der Bevölkerung im Engadin. Deren Votum lautete: kein Geld dafür. Es gebe dringendere Probleme zu lösen. Jetzt. Eine Krise zu meistern. Vielleicht sogar eine Zeitenwende zu vollziehen. Ja, in St. Moritz.

    Es gibt Zahlen, die das nahelegen. Im Oberengadin sind die Übernachtungszahlen seit 2008 um rund ein Drittel zurückgegangen, Hotels machten dicht, tausend Betten gingen der Region verloren, 400 davon allein in St. Moritz. Allein die letzte Wintersaison brachte Buchungseinbrüche bei Deutschen (–11 Prozent), Italienern (–17) und vor allem Russen (–25). Ausschlaggebend natürlich: der starke Franken, der durch das Verhältnis mit anderen Währungen das ohnehin Teure alles noch einmal dramatisch verteuert hat. Gewinner sind Orte wie Lech im benachbarten Österreich.

    Ausschlaggebend aber auch: die strengere Steuerfahndung. Der Chef der Bergbahngesellschaft etwa sagte der Frankfurter Allgemeinen: „Früher sind die Deutschen zu ihrem Geld in die Schweiz gefahren und haben es dort ausgegeben. Das ist vorbei.“ So fehlt die Klientel unterhalb der Milliardäre. Und mancher im Dorf raunt, diese Klientel sei ohnehin zu lange vernachlässigt worden, genauso wie die Entwicklung des Ortes selbst, die allzu lange nur darauf ausgerichtet war, immer noch mehr Spitzenimmobilien für die Geldgötter anzubieten. Dafür wurden nicht selten gerade Hotels diesseits der Premiumklasse als solche aufgegeben und umgebaut. So fehle dem Olymp die Verankerung im wirklichen Leben.

    Das war bei der Eröffnung der Ski-WM los.

    Zahl der Stammgäste nimmt ab

    Ist St. Moritz mit seinem Champagner-Image ein Opfer des eigenen Erfolgs? Die gewohnt astronomischen Ladenmieten etwa von rund 16 000 Franken pro Monat für hundert Quadratmeter bei höchstens sechs Monaten Saison im Jahr sorgen inzwischen jedenfalls auch schon für spürbare Leerstände. Zu Beginn des jetzigen Winters waren das immerhin 18 Läden in dem ja ohnehin überschaubaren Ort.

    Und auch der Winter selbst macht ja seine Probleme. Traditionell war das Dorf mit dem Hausberg Corviglia im Spätherbst bereits gut mit Schnee versorgt. Inzwischen wartet man regelmäßig bis Anfang Dezember auf das für den Tourismus so wichtige Weiß – aber dafür bleibt es nun nicht selten bis in den Juni. Das bringt die ohnehin eng auf maximale Effektivität getrimmten Saisonplanungen durcheinander. Auch deshalb macht am Ende dieser Saison ein Klassiker des Edeltourismus in St. Moritz dicht, die Luxusskihütte „Marmite“, ein Feinschmeckerrestaurant auf 2488 Metern Höhe. Denn mit nur noch vier Monaten Geschäftsbetrieb ist der Betrieb nicht mehr rentabel.

    Schließlich ist auch das Geschäft mit den Reichsten schwieriger geworden, obwohl doch heute so viel Geld wie noch nie in privaten Händen liegt. Denn die frühere Treue von Gästen, die jedes Jahr kommen, um zwei Wochen zu bleiben, hat in Zeiten des globalen Jetset nachgelassen. Und die, die noch so sind, haben sich nicht selten ein eigenes Chalet zugelegt, in dem sie ein noch abgeschlosseneres Leben führen können. Selbst das „Palace“ war bereits der Avancen einer kompletten Umwandlung in Eigentumswohnungen ausgesetzt. Solche Häuser und Appartements aber sind oft vor allem auch Investitionsobjekte, die dann mitunter auch bis auf ganz wenige Wochen im Jahr leer stehen. Nicht umsonst hat die Gemeinde die Quote der Ferienwohnungen inzwischen auf 20 Prozent begrenzt, wurde ein Baustopp verhängt, gelten die schärfsten Naturschutzregelungen.

    Abstimmung ergab: Kein Olympia in St. Moritz

    Die Diavolezza ist einer der drei Hausberge von St. Moritz. Diese Skifahrer wedeln hinab auf der Abfahrt Richtung Morteratschgletscher.
    Die Diavolezza ist einer der drei Hausberge von St. Moritz. Diese Skifahrer wedeln hinab auf der Abfahrt Richtung Morteratschgletscher. Foto: Andrea Badrutt, dpa

    Und die expandierenden Luxusmärkte der Welt sorgen auch dafür, dass die Verantwortlichen der traditionellen Kathedralen in St. Moritz auch global auf Kundensuche gehen. Chinesen, Brasilianern und Inder wollen gewonnen werden, darum wird es nun auch erstmals ein Cricket-Spiel auf dem gefrorenen See geben. Aber reicht solcherlei?

    Bei St.-Moritz-Tourismus betont man, dass ja bereits viel mehr passiere. Der Bahnhof aufwendig restauriert, ein neues Drei-Sterne-Restaurant im „Palace“, der „Kulm“-Pavillon, ein neues Museum, Pop-up-Läden, das Kino wieder in Betrieb, die Touristen-Information jetzt eine „iLounge“ – „St. Moritz lebt!“ Diskutiert wird zudem ein Ausbau des nahen Engadin Airport für Chartermaschinen, ein Zusammenschluss der Skigebiete Corvatsch-Corviglia, der Bau einer Tal-Abfahrt.

    Hinter der Uneinigkeit darüber liegt die Frage, ob St. Moritz einfach noch besser oder eher günstiger und weltlicher werden müsse. Was führt zur Genesung? Wer eine Erdung fordert wie die scheidende Chefin von Engadin Tourismus, Ariane Ehrat, spricht von einer nötigen „Zeitenwende“. Der Mann, der für die Schaffung der Marke „Top of the World“ zuständig war, Hanspeter Danuser, dagegen sagt: „Der Starke ist am mächtigsten allein.“

    Vorgestern, mitten in die Ski-WM hinein, jedenfalls hat die Region Graubünden abgestimmt – über eine Bewerbung für die Olympischen Winterspiele 2026. Alles auf die Kraft der Nummer eins setzen oder mehr gegen die Probleme in der Breite jetzt tun. Es gewannen die Olympia-Gegner. In der Region mit 60 Prozent, in St. Moritz mit 56 Prozent.

    Medaillenspiegel und Ergebnisse der alpinen Ski-WM in St. Moritz

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