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Schmähgedicht: Türkische Gemeinde wirft Böhmermann rassistische Klischees vor

Schmähgedicht

Türkische Gemeinde wirft Böhmermann rassistische Klischees vor

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    Jan Böhmermann teilt gerne aus, reagiert aber mitunter höchst empfindlich – etwa auf eine Kritik der Bundeskanzlerin. 	„Die Bilder in dem Gedicht sind nicht hinnehmbar.“
    Jan Böhmermann teilt gerne aus, reagiert aber mitunter höchst empfindlich – etwa auf eine Kritik der Bundeskanzlerin. „Die Bilder in dem Gedicht sind nicht hinnehmbar.“ Foto: Sven Hoppe, dpa

    Jan Böhmermann scheint es auf Spitzenpolitiker abgesehen zu haben. Vor ziemlich genau drei Jahren löste der Satiriker eine diplomatische Krise zwischen Ankara und Berlin aus. Nun klagt er gegen die Bundesrepublik Deutschland. Er will Kanzlerin Angela Merkel gerichtlich verbieten lassen, sein 2016 vorgetragenes „Schmähgedicht“ auf den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan als „bewusst verletzend“ zu bezeichnen. An diesem Dienstag beginnt die Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht Berlin.

    Alles nur eine Böhmermann-Schau? Hat er die Waffe des Satirikers, das Wort, um eine neue ergänzt – die Einlegung von Rechtsmitteln?

    Merkel hatte bereits 2016 ihre Aussage bedauert, und das Kanzleramt hat sich einem Medienbericht zufolge schon dazu bereit erklärt, dass die beiden Wörter nicht mehr wiederholt würden. Dennoch klagt Böhmermann, und erscheint seinen ungezählten Kritikern damit erst recht als kleinlich. Als einer, der gern austeilt, aber nicht einstecken kann. Böhmermann, dem zwei Millionen Menschen alleine auf Twitter folgen, polarisiert.

    2016 löste Böhmermann eine diplomatische Krise aus

    2016, im Jahr des Schmähgedichts, wurde Böhmermann in einer Playboy-Umfrage zum „Mann des Jahres 2016“ gewählt. Doch auch bei den „nervigsten Männern“ war er vorne. In dieser Kategorie landete er knapp hinter Til Schweiger auf dem zweiten Platz. Weniger umstritten scheint Böhmermann in der Jury des Grimme-Preises zu sein, der als einer der wichtigsten deutschen Fernsehpreise gilt. Jahr für Jahr wird der Satiriker ausgezeichnet, zuletzt für seine Sendung „Lass dich überwachen! – Die Prism Is A Dancer Show“, die im ZDF-Hauptprogramm ausgestrahlt wurde. Anders als sein Neo Magazin Royale, das im Spartensender ZDFneo zu Hause ist. Wäre die Debatte um seine Person in den vergangenen Jahren nicht derart ausgeufert, hätte er mit seiner Show längst einen besseren Sendeplatz, mutmaßen viele.

    Doch was war 2016 passiert? Wie kam es, dass Böhmermann offensichtlich für immer mehr Menschen zur Nervensäge wurde? Und das ist er für viele nach wie vor, ein Blick in die sozialen Netzwerke genügt. 2016 also trug er das Schmähgedicht vor. Es enthielt Passagen, die Erdogan etwa in Verbindung mit Sex mit Tieren brachten. Schon zuvor war der deutsche Botschafter ins türkische Außenministerium zitiert worden, weil sich die NDR-Satiresendung extra3 mit dem Lied „Erdowie, Erdowo, Erdogan“ über den Präsidenten lustig gemacht hatte. Böhmermann wollte nach eigener Darstellung mit dem Gedicht zeigen, wo die Grenzen der Satire liegen. Die Frage, wo diese Linie verläuft, beschäftigt seitdem die Justiz. Eine Strafe erhielt Böhmermann jedenfalls nicht. Ermittlungen wegen des Verdachts der „Beleidigung eines ausländischen Staatsoberhaupts“ wurden eingestellt. Später wurde sogar dieser Straftatbestand aus dem Gesetz gestrichen.

    Ein Gericht untersagte Böhmermann die Verbreitung des Schmähgedichts

    Doch die zivilrechtlichen Verhandlungen dauerten an. In erster Instanz untersagte ein Gericht Böhmermann die weitere Verbreitung großer Teile des Gedichts. Eine Berufungsverhandlung bestätigte das Urteil. Böhmermann will in der nächsthöheren Instanz vor dem Bundesgerichtshof erwirken, dass er sein Gedicht wieder verwenden darf. Diese Möglichkeit war ihm zunächst nicht eingeräumt worden; dagegen legte er Nichtzulassungsbeschwerde ein. Noch habe der zuständige Senat des Bundesgerichtshofs nicht darüber entschieden, sagte eine Sprecherin am Montag.

    Um Effekthascherei scheint es Böhmermann im Rechtsstreit mit Kanzlerin Merkel nicht zu gehen. Zumindest liest sich so eine Mitteilung seines Anwalts Reiner Geulen, die unserer Redaktion vorliegt. Darin schildert dieser die Gefahr, der der Satiriker nach der entsprechenden Sendung ausgesetzt war. Das Landeskriminalamt habe Böhmermann über die Vorbereitung einer „Bestrafungsaktion“ der „Osmanen Germania“, die dem türkischen Präsidenten nahestünden, informiert. Böhmermann stand unter Polizeischutz und musste seinen Wohnort wechseln. „Trotz Kenntnis dieser Bedrohungslage“ sei ein Statement der Kanzlerin veröffentlicht worden, in dem sie den Text als „bewusst verletzend“ bezeichnet habe. Die Exekutive, auch die Bundeskanzlerin, habe aber neutrale und auf Fakten basierende Aussagen zu treffen, wenn sie sich zu Presseveröffentlichungen äußert, heißt es.

    Seine Kritiker sehen in ihm einen politischen Aktivisten

    Der Vorsitzende der Türkischen Gemeinde in Deutschland, Gökay Sofuoglu, möchte der Entscheidung des Gerichts nicht vorgreifen. Dennoch sagte er unserer Redaktion: „Bei aller berechtigten Kritik an der Politik Erdogans sind die zum Teil rassistischen Bilder in dem Gedicht nicht hinnehmbar.“ Die Meinungsfreiheit sei ein hohes Gut, das es zu schützen gelte, Böhmermann jedoch sei über das Ziel hinausgeschossen.

    Für seine Kritiker schießt Böhmermann regelmäßig übers Ziel hinaus. Sie empfinden ihn als Besserwisser – und als linken politischen Aktivisten. Als er im Rahmen der Aktion „Reconquista Internet“ („Zurückeroberung des Internets“) Listen von Twitter-Nutzern teilte, die blockiert werden sollten, kritisierte ihn FDP-Generalsekretärin Nicola Beer als verantwortungslos. „Das ist Blockwart-Denke in schlimmster Tradition beider deutschen Diktaturen.“ Ziel von Böhmermanns Aktion war es, den Hass im Netz zu bekämpfen. „Wir haben aus Versehen eine Bürgerrechtsbewegung gegründet“, sagte er.

    Lesen Sie hier eine Chronologie der Ereignisse: Böhmermann-Affäre: Vom Schmähgedicht zur Klage gegen Merkel

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