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Schloss Neuschwanstein: Wieder geöffnet: Was die ersten Gäste auf Neuschwanstein erlebten

Schloss Neuschwanstein

Wieder geöffnet: Was die ersten Gäste auf Neuschwanstein erlebten

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    Mundschutz und die magische Grenze von 1,5 Metern Abstand: Auf Schloss Neuschwanstein werden die Corona-Vorgaben streng kontrolliert. Statt 58 nehmen jetzt maximal zehn Besucher an den Führungen teil.
    Mundschutz und die magische Grenze von 1,5 Metern Abstand: Auf Schloss Neuschwanstein werden die Corona-Vorgaben streng kontrolliert. Statt 58 nehmen jetzt maximal zehn Besucher an den Führungen teil. Foto: Benedikt Siegert

    Es ist ihr erstes Mal droben am Schloss. Doch schon als das Ärzte-Ehepaar aus Deggendorf die letzten Schritte hoch zum großen Portal geht, dämmert es ihnen: Das wird kein normaler Rundgang an diesem Dienstag auf Neuschwanstein. Stephan und Ila Schnabel sind umringt von einem halben Dutzend Fotografen und Fernsehteams. Es ist genau 8.45 Uhr. Und als erste Besucher seit Monaten stehen die beiden Hausärzte vor Bayerns Touristenmagnet schlechthin.

    Am Eingang empfängt sie ein Mitarbeiter des Security-Diensts, stilecht mit weiß-blauer Rautenmaske vor dem Gesicht. Der Mann kontrolliert ihr Ticket, weist sie freundlich, aber bestimmt auf die Hygieneregeln hin. Die beiden desinfizieren sich die Hände und legen ihre Masken an, einmal weiß, einmal schwarz. Dann geht es durch den Torbau in den Innenhof von Schloss Neuschwanstein. „Wir haben uns gleich am Freitag vor den Rechner gesetzt und die Tickets reserviert“, erzählen die beiden. Dass sie damit die Ersten sein würden, die nach Corona Bayerns wohl weltweit bekanntestes Bauwerk sehen können, war ihnen da noch nicht klar.

    Normalerweise ist Neuschwanstein nur vier Tage zu

    Seit 14. März war Neuschwanstein wegen der Pandemie geschlossen gewesen. Eine historische Zäsur. Denn normalerweise ist das Schloss an nur vier Tagen im Jahr zu. „Zum ersten Mal seit dem Zweiten Weltkrieg mussten wir für so lange schließen“, sagt Schlossverwalter Johann Hensel. Normalerweise zieht es jedes Jahr über 1,5 Millionen Menschen ins Schloss. Heuer werden es nicht annähernd so viele sein. Zum einen, weil die stärksten Besuchergruppen, Amerikaner und Asiaten, ausbleiben. Zum anderen, weil das neue Hygienekonzept der Bayerischen Schlösserverwaltung die Kapazität stark reduziert.

    Der Kutschbetrieb läuft bislang noch eingeschränkt.
    Der Kutschbetrieb läuft bislang noch eingeschränkt. Foto: Ralf Lienert

    So reihen sich an diesem Vormittag Stephan und Ila Schnabel ein in eine Gruppe von acht weiteren Besuchern. Sie wird begleitet von zwei Schlossführern. Einem, der erklärt, und einem, der aufpasst, dass die Mindestabstände eingehalten werden. „Wir sind dabei von dem kleinsten Raum in der Führungslinie ausgegangen, dem Schlafzimmer von Ludwig II.“, erklärt Hensel. Sechs Mal in der Stunde geht es ab sofort für je zehn Personen wieder durchs Schloss.

    Ins Innere gelangt man momentan nur durch eine Art weißen Sarkophag. Er verhüllt ein großes Gerüst. Neuschwanstein ist immer noch Baustelle und wird bis 2022 saniert. Am Ende einer großen Treppe heißt Schlossführer Thomas Ort die ersten Besucher seit Monaten willkommen. Dann beginnt er über das Jahr 1886 zu erzählen, als König Ludwig II. genau hier verhaftet wurde. So beginnen alle Führungen auf Neuschwanstein, auch vor Corona schon. Dennoch ist es irgendwie anders. Die Besucher stehen weit auseinander. Der Schlossführer muss aufpassen, sich klar auszudrücken, denn auch er trägt wie alle anderen Besucher eine Maske. Er führt die Gruppe jetzt über eine Wendeltreppe hinauf in den dritten Stock und weiter in den Thronsaal. Dessen Dimensionen kommen diesmal nicht ganz zur Geltung. Zu fahl ist das Morgenlicht und zu störend ein Baugerüst. Weitere 35 Minuten wird es dauern, bis die Führung vorüber ist. Dann wird die Gruppe wieder in den Schlosshof geleitet zum Ausgangspunkt der Tour.

    Trotz Corona: Neuschwanstein ist für drei Wochen ausgebucht

    Möglicherweise, lässt Schlossverwalter Hensel wissen, werde man die Taktung der Führungen noch erhöhen. Die Nachfrage ist groß: Für die nächsten drei Wochen ist online bereits alles ausgebucht. „Jetzt muss sich aber erst einmal alles einspielen“, sagt Hensel.

    Ein Satz, der auch auf Hohenschwangau zutrifft. Am Tag, an dem alles wieder losgeht, ist die breite Straße zum Alpsee hinauf schon wieder deutlich belebter als zuletzt. Die Besitzer der Souvenirshops haben schon ganz in der Früh wieder ihre Ständer mit Ansichtskarten und Ludwig-Devotionalien vor der Tür positioniert. Auch eine Kutsche steht zur Auffahrt parat. Der bärtige Kutscher mit Mundschutz wartet aber noch auf Gäste.

    Direkt hinter ihm ragt das Hotel Müller auf, das man, ohne die anderen Tourismusbetriebe herabzuwürdigen, als erstes Haus am Platz bezeichnen kann. Der Komplex liegt am Fuß von Schloss Hohenschwangau, in dem Märchenkönig Ludwig II. Teile seiner Kindheit verbracht hat. Nur einen Steinwurf weiter schimmert die Oberfläche des Sees. Und wenn man aus dem Hotel Müller heraustritt, blickt man direkt auf Schloss Neuschwanstein.

    Das Hotel ist ein traditionsreicher Familienbetrieb. Er existiert seit 1910 und wird nunmehr von Richard Müller geführt, in der vierten oder fünften Generation – „je nach Zählweise“, wie er sagt. Der 37-Jährige ist heilfroh, dass der Betrieb wieder angelaufen ist. „Eigentlich beherbergen wir in unseren 40 Gästezimmern etwa 15.000 bis 20.000 Gäste pro Jahr. In unserem Restaurant sind es sonst 250.000 bis 300.000 Gäste, noch einmal so viele kommen in unsere drei Shops.“ Im Souvenirladen kriegt man die üblichen Bierkrüge, T-Shirts und Kühlschrankmagneten mit Ludwig- und Schloss-Motiven. In der „Müller-Boutique“ finden sich edle Uhren, Schmuck, Füller und Lederwaren für Menschen, die nicht jeden Cent mehrmals umdrehen müssen.

    „Wir haben 75 Mitarbeiter, um diese vielen Gäste zu versorgen“, sagt Müller. Doch er musste viele in Kurzarbeit schicken. Die Öffnung jetzt ist auch für sein Hotel eine Herausforderung. „Man kommt sich manchmal bei uns schon vor wie an einem Flughafen mit den ganzen Hinweisschildern, die wir aufstellen mussten. Aber lamentieren hilft nichts. Da müssen wir jetzt durch.“

    An den Souvenirständen herrscht schon wieder Interesse.
    An den Souvenirständen herrscht schon wieder Interesse. Foto: Ralf Lienert

    Richard Müller weiß, dass 2020 ein wirtschaftlich schwieriges Jahr wird. Die vielen Gäste aus Fernost, aus China, Taiwan, Japan und Korea werden ausbleiben, ebenso Touristen aus Nordamerika. „Wir bauen heuer vor allem auf deutsche Gäste.“ Traditionell Bayern und Nordrhein-Westfalen, an dritter Stelle stehen Urlauber aus Baden-Württemberg. „Und wir hoffen, dass auch ein paar Schweizer kommen.“ Eine sichere Bank sind normalerweise auch die vielen Italiener. „Doch das wird dieses Jahr sicher schwierig.“ Müller hat kalkuliert: „Wenn es optimal läuft, werden wir 50 Prozent der sonst üblichen wirtschaftlichen Ergebnisse erzielen, realistisch sind aber wohl eher 30 Prozent.“ Er hat ausreichend Rücklagen für schwere Zeiten geschaffen. „Aber die reichen ja auch nicht ewig.“ Schon deshalb wäre eine zweite Corona-Welle verheerend.

    Die Kutschen zum Schloss haben jetzt Elektromotor

    Eine Attraktion sind in Hohenschwangau auch die sechs Kutschen, mit denen man hinauf zum Schloss fahren kann. Drei betreibt das Hotel Müller. „Wir haben unsere Kutschen mit Elektromotoren ausgerüstet, sodass die Pferde, ähnlich wie ein E-Bike-Fahrer, unterstützt werden.“ Pünktlich, als sie alle eingebaut waren, kam Corona. Der Kutschbetrieb ist aufwendig. Schon, weil ein Pferd maximal zweieinhalb Stunden am Tag arbeite. Darum brauche er für drei Kutschen 18 Pferde pro Tag, sagt Müller. Zur Hochsaison können es 24 Pferde sein. Früher saßen zehn oder elf Menschen auf den Kutschen – plus Kutscher. Nun werden es wohl maximal sechs sein – hoffentlich auch ein paar aus dem Ausland. „Mein Vater und Großvater sagten schon: Wenn es der Welt gut geht, dann geht es auch uns gut.“

    Eine Familienweisheit, die auch für die Stadt gilt, die unweit des weltberühmten Schlosses liegt: Füssen. Eine Stadt, in der 2019 gut 1,4 Millionen touristische Übernachtungen gezählt wurden, die 600 Gastgeberbetriebe mit 7000 Betten hat, dazu noch zwei Campingplätze und drei Wohnmobilstellplätze. Eine Stadt, die Gäste aus der ganzen Welt empfängt. „Vor Corona kam etwa die Hälfte aus dem Ausland und sorgte für rund ein Viertel der Übernachtungen“, sagt der Füssener Tourismusdirektor Stefan Fredlmeier. „Die Statistik nach Corona wird extrem in Richtung Inlandstourismus ausschlagen“, erklärt der gebürtige Würzburger, der seit 2009 Tourismus-Chef ist. „Was das Ausland betrifft, dürften sich die Schweiz und die Beneluxländer, vor allem die Niederlande, am schnellsten erholen und in Füssen wieder spürbar werden.“ Für die Betriebe, die von den Touristen leben, waren die vergangenen Wochen eine sehr bedrohliche Dürreperiode. „Bisher sind uns zwar keine Insolvenzen bekannt“, sagt Fredlmeier. Sollte die Saison schlecht verlaufen, sei das nicht auszuschließen. „Man muss wissen, dass in der Gastronomie und im Beherbergungsbereich verfügbares Kapital in der Regel schnell wieder investiert wird, also Puffer für längere Dürreperioden nicht überall gegeben sind. Die Betriebe mussten massiv auf ihre Rücklagen zurückgreifen oder die Liquidität durch Kredite sichern.“

    In Füssen ist man froh, dass die Buchungszahlen schon jetzt wieder nach oben gehen. Vor allem Ferienwohnungen und -häuser sind gefragt. Große Probleme haben hingegen Wellnessanbieter: „Hier waren die Buchungen zunächst vielversprechend, doch nach der Ankündigung, dass die Wellnessbereiche geschlossen bleiben, kamen die Stornierungen“, erklärt Fredlmeier. Er fürchtet, dass demnächst Hotels in Österreich oder der Schweiz uneingeschränkt Wellness anbieten könnten, diese aber in Bayern noch geschlossen bleiben müssten.

    Ehepaar Schnabel macht jetzt in Deutschland Urlaub

    Kommt die Öffnung der Betriebe zu spät? „Für einen Touristiker ist jeder Tag ohne Gäste ein schlechter Tag“, sagt Fredlmeier. „Aber wir müssen erkennen, dass dem Tourismus nicht gedient ist, wenn wir zu früh öffnen oder geöffnet hätten, die Infektionen in die Höhe treiben und einen weiteren Shutdown riskieren.“ Aus seiner Sicht wurde die Schließungsphase sehr verantwortungsbewusst festgelegt.

    Den Schnabels aus Niederbayern hat es trotz des Virus auf Schloss Neuschwanstein gefallen. „Wir fühlen uns durch die ganzen Vorkehrungen nicht eingeschränkt“, sagen sie. Das Ehepaar befindet sich auf Deutschlandtournee. Übernachtet haben sie in Füssen, vorher waren schon die Zugspitze und Schloss Herrenchiemsee dran. Bis an die Nordseeküste wollen die Niederbayern noch reisen. Was sie aus Neuschwanstein mitnehmen werden? Vielleicht einen intensiveren Eindruck vom Schloss. Vor Corona waren es 58 Besucher pro Führung, sogar bis zu 9000 verteilt über einen ganzen Tag. Nun ist alles luftiger – und man hat den Schlossführer fast für sich allein.

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