Aktivisten sind auf das Gelände des neuen Steinkohlekraftwerks Datteln 4 im Ruhrgebiet vorgedrungen und haben Teile der Anlage besetzt. Die mehr als 100 Menschen entrollten am Sonntag Transparente auf zwei Verladeanlagen. Laut Polizei in Recklinghausen gelangten die Aktivisten gewaltsam auf das Gelände. Ein Tor sei aufgebrochen worden.
Aufgerufen zu dem Protest hatten die Aktionsbündnisse "Ende Gelände" und "DeCOALonize Europe". Laut ihnen sind rund 150 Aktivisten auf dem Gelände. Die Polizei sprach von 120. Sie sondierte die Lage zunächst mit einem Hubschrauber und zog "starke Kräfte" zusammen. "Bislang ist alles friedlich. Ich hoffe, das bleibt so", sagte eine Polizeisprecherin vor Ort. Die Lage sei "statisch".
Gegen 08.00 Uhr habe sich die Gruppe Zugang zum Betriebsgelände verschafft. Am Nachmittag dauerte die Aktion an - zur Dauer der Aktion wollte die Aktivisten keine Angaben machen. Das 1100-Megawatt-Kraftwerk soll entgegen der Empfehlung der Kohlekommission noch im Sommer dieses Jahres ans Netz gehen.
Betreiber Uniper hat Strafanzeige gestellt. Gegen friedlichen Protest sei nichts einzuwenden, sagte ein Unternehmenssprecher am Sonntag. "Straftaten wie Hausfriedensbruch oder die Beschädigung von Privateigentum sowie andere Aktionen, die die Sicherheit unserer Mitarbeiter oder die Funktionsfähigkeit unserer Anlagen gefährden, können wir nicht dulden", sagte der Sprecher.
Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier und NRW-Ministerpräsident Armin Laschet (beide CDU) sind der Ansicht, dass es sinnvoller sei, im Gegenzug ältere und schmutzigere Steinkohlekraftwerke früher abzuschalten. Der Energiekonzern Uniper betreibt das Kraftwerk derzeit im Probebetrieb.
Aktivisten kritisieren Herkunft von Kohle: "Nennen sie Blutkohle"
"Wir können es nicht zulassen, dass mit Datteln 4 ein neues Steinkohlekraftwerk ans Netz geht. Wir rasen gerade auf eine Welt vier bis sechs Grad heißer zu. Wir müssen alle Kohlekraftwerke abschalten und kein neues anschalten", sagte Kathrin Henneberger, Sprecherin von "Ende Gelände". Die Gruppe war bereits federführend bei der Besetzung des Hambacher Forstes. Unter den Besetzern in Datteln seien auch einige aus dem Hambacher Wald, sagte sie.
"Das Kohlegesetz ist ein Desaster. Wir können nicht zulassen, dass weitere 18 Jahre Kohle verfeuert wird", sagte Henneberger. Datteln 4 werde Millionen Tonnen Kohlendioxid produzieren. "Die Politik versagt und verfeuert mit Konzernen wie Uniper unsere Zukunft."
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Die in Datteln verbrannte Kohle komme zudem aus Nord-Kolumbien und Sibirien. Im Zusammenhang mit ihrer Förderung würden Menschenrechte verletzt, Öko-Systeme zerstört und Menschen zwangsumgesiedelt. "Wir nennen sie Blutkohle" , sagte Henneberger.
Bereits vor rund einer Woche hatten rund 350 Menschen in Datteln protestiert. Aufgerufen zu der Demonstration unter dem Motto "Datteln 4? Nicht mit mir!" hatte unter anderen die Klimabewegung "Fridays for Future".
Das Steinkohlekraftwerk hat mehr als 1,5 Milliarden Euro gekostet und liegt am Dortmund-Ems-Kanal. Dort kann die Kohle von Binnenschiffen direkt in das Kraftwerk befördert werden. Die dafür gebauten Verladeanlagen wurden am Sonntag besetzt.
Die Kohlekommission hatte empfohlen, "bereits gebaute, aber noch nicht im Betrieb befindliche Kraftwerke" gar nicht erst anzuschalten. Dem ist die Bundesregierung mit ihrem Kohleausstiegsgesetz nicht gefolgt.
Uniper will alle anderen Kraftwerke bis 2025 abschalten
Baubeginn für Datteln 4 war 2007, angefahren werden sollte der Block mit einer Leistung von rund 1100 Megawatt schon 2011. Doch eine Serie von Versäumnissen und Pannen hat dafür gesorgt, dass der Meiler noch immer keinen Strom produziert.
Jahrelang stand die Baustelle wegen zahlreicher Verstöße gegen Auflagen bei Klima-, Natur-, und Lärmschutz sowie gegen die Vorgaben im Landesentwicklungsplan still. Die Fehler wurden nachträglich durch ein kompliziertes Verfahren beseitigt. Angefahren werden soll das Kraftwerk nun im kommenden Sommer.
Von dem Projekt lassen will Betreiber Uniper nicht: Energie- und klimapolitisch sei es nicht sinnvoll, das modernste Kraftwerk nicht ans Netz zu bringen und dafür alte und deutlich stärker CO2-ausstoßende Kraftwerke weiter zu betreiben. Uniper hatte angekündigt, alle anderen Kohlekraftwerke des Konzerns bis 2025 abzuschalten.
Dem Versprechen trauen die Umweltaktivisten nicht. Für Umweltschutzorganisationen wie den BUND ist Datteln ein "Klimakiller", der jährlich bis zu 8,4 Millionen Tonnen Kohlendioxid in die Atmosphäre ausstoßen würde. (AZ/dpa)
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