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Rom: Mutter Teresa ist jetzt eine Heilige - aber nicht für jeden

Rom

Mutter Teresa ist jetzt eine Heilige - aber nicht für jeden

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    Mutter Teresa soll heiliggesprochen werden. Sie hat noch immer viele Verehrer, aber auch Kritiker.
    Mutter Teresa soll heiliggesprochen werden. Sie hat noch immer viele Verehrer, aber auch Kritiker. Foto: Piyal Adhikary (dpa) /Archiv

    Die Souvenirhändler in der Nähe des Petersplatzes sind längst vorbereitet. Es gibt Rosenkränze mit Mutter-Teresa-Konterfeis, gerahmte Mutter-Teresa-Fotos oder Mutter-Teresa-Kaffeetassen. An diesem Sonntag hat Papst Franziskus die 1997 gestorbene Ordensschwester auf dem Petersplatz in Rom heiliggesprochen. Hunderttausende Pilger und Neugierige kamen, um der Nonne die Ehre zu geben.

    Manche hielten Mutter Teresa bereits zu Lebzeiten für eine Heilige. Andere wiederum erkennen in ihr vielmehr eine „Medienheilige“ und halten die Heiligsprechung für katholische Propaganda. Zweifellos ist Mutter Teresa, die 1910 als Agnes Gonxha Bojaxhiu im heutigen Mazedonien geboren wurde und in einer albanischen Familie aufwuchs, eine der bekanntesten Katholikinnen und zudem ein Symbol für christliche Nächstenliebe. Weit über die katholische Kirche hinaus wird sie als Inbegriff der Barmherzigkeit wahrgenommen.

    So spricht die Kirche heilig

    Selige und Heilige werden in der katholischen Kirche als Vorbilder christlichen Lebens verehrt. Die Seligsprechung erlaubt die offizielle Verehrung eines Verstorbenen in einer bestimmten Region, die Heiligsprechung dehnt diese Verehrung auf die gesamte katholische Weltkirche aus.

    Damit jemand heiliggesprochen werden kann, muss die meist langwierige Seligsprechung vorausgehen. Die letzte Entscheidung über die Heiligsprechung oder Kanonisation liegt beim Papst.

    Wunder spielen dabei eine zentrale Rolle. Denn es muss der Beweis erbracht werden, dass ein Wunder auf die Fürsprache des Seligen zurückgeht - es sei denn, es handelt sich um einen Märtyrer, der für seinen Glauben gestorben ist.

    Die Liste der Seligen und Heiligen ist nach Angaben der katholischen Kirche mittlerweile sehr lang. Allein Johannes Paul II. nahm in seiner Amtszeit von 1978 bis zu seinem Tod 2005 1338 Selig- und 482 Heiligsprechungen vor.

    Zu den bekanntesten Seligen und Heiligen zählen neben den Aposteln Petrus und Paulus Franz von Assisi, Hildegard von Bingen oder Mutter Teresa.

    Kein Wunder also, dass Papst Franziskus bei Mutter Teresa ein ähnliches Tempo einschlug wie Johannes Paul II. Dieser sprach die Nonne bereits 2003, nur sechs Jahre nach ihrem Tod, selig und nannte sie „ein Geschenk an die Kirche und an die Welt“. Es war die schnellste Seligsprechung der Neuzeit. Drei Jahre nach seinem Amtsantritt hielt auch Franziskus den Moment für gekommen, die Ordensfrau zur Ehre der Altäre zu erheben, wie es im Kirchendeutsch heißt. In der katholischen Kirche sind dafür zwei Wunder nötig. 2015 fand sich dann auch die zweite unerklärliche Tat, für die Mutter Teresa verantwortlich sein soll: Ein Brasilianer wurde von mehreren Hirntumoren geheilt, nachdem er die Nonne um Hilfe gebeten haben mag. Dass bereits ihr erstes Wunder, die Heilung einer Inderin von Krebs, als umstritten gilt, hielt das Verfahren nicht auf.

    Auch Benedikt XVI. verehrte die kleine Nonne im weiß-blauen Ordensgewand. Gründe, das Heiligsprechungsverfahren besonders zu beschleunigen, sah der Deutsche aber nicht. Franziskus hingegen passt Mutter Teresa bestens ins Programm, die Heiligsprechung gilt als Höhepunkt des noch bis zum 20. November laufenden und von Franziskus ausgerufenen Heiligen Jahres der Barmherzigkeit.

    Hat Mutter Teresa eine "dunkle Seite"?

    Franziskus hat sein Pontifikat unter dieses Schlagwort gestellt. Die Kirche soll sich nicht mehr als mahnende moralische Instanz über die Menschen erheben, sondern sich ihrer mütterlich annehmen, lautet das Mantra des Papstes. So, wie Mutter Teresa es einst mit den Armen im indischen Kalkutta tat. Die Kirche müsse aus sich heraus an die geografischen und existenziellen Ränder gehen, fordert Franziskus. Aus Sicht des Papstes hat Mutter Teresa diese Mission in ihrer Sorge um Arme und Kranke bereits zu Lebzeiten vorbildlich verwirklicht.

    Als Franziskus im Herbst vor zwei Jahren Albanien besuchte, erzählte er eine Geschichte über seine Begegnung mit der Ordensschwester auf der Synode des Jahres 1994. Bischöfe und Ordensleute trafen sich im Vatikan, während der Sitzungen saß Mutter Theresa unmittelbar hinter dem damaligen Weihbischof von Buenos Aires. Er habe „ihre Kraft, die Entschiedenheit ihrer Äußerungen“ bewundert. Der Papst sagte aber auch: „Wäre sie meine Obere gewesen, hätte ich Angst vor ihr gehabt.“ Angst vor der Barmherzigkeit in Person?

    Kritiker haben sogar eine „dunkle Seite der Mutter Teresa“ ausgemacht, wie die kanadischen Wissenschaftler Geneviève Chénard und Serge Larivée in einer gleichnamigen Studie aus dem Jahr 2013. „Unsere Analyse der Fakten deckt sich nicht mit dem Heiligenbild, das die Welt von Mutter Teresa hat“, heißt es in der Arbeit. So sammelte Mutter Teresa vor allem nach ihrer Auszeichnung mit dem Friedensnobelpreis 1979, den sie für ihre Arbeit zur Bekämpfung von Armut und Elend erhielt, Spenden in Millionenhöhe. Nicht alle kamen direkt Armen, Kranken und Bedürftigen zugute. Das Geld floss vor allem in den Ausbau ihres Ordens der „Missionarinnen der Nächstenliebe“, der heute über 5000 Schwestern in weltweit 700 Ordenshäusern umfasst. Ein großer Teil der Spenden ging zudem an den Vatikan, der versichert, das Geld ausschließlich für gute Zwecke ausgegeben zu haben. Belege dafür gibt es nicht, die Finanzen des Ordens sind bis heute völlig intransparent.

    „Das mediale Bild, das wir von Mutter Teresa haben, entspricht nur bedingt der Wirklichkeit“, behauptet die Psychologieprofessorin Chénard. Und ihr Kollege Larivée sagt, die Ordensfrau sei „alles andere als eine Heilige“.

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    Mutter Teresa steht wie kaum jemand anderes für das Engagement für die Armen.
    Mutter Teresa steht wie kaum jemand anderes für das Engagement für die Armen. Foto: Raveendran/Archivbild von 1997 (dpa)

    Die unterschiedlichen Pole in der Medienberichterstattung über Mutter Teresa lieferten zwei Filme britischer Journalisten. 1969 setzte Malcolm Muggeridge mit einer verherrlichenden Dokumentation in der BBC den Grundstein für die säkulare Bewunderung Mutter Teresas. 1994 lieferte Christopher Hitchens mit „Hells Angel“ („Todesengel“) den kritischen Kontrapunkt. Nach seiner Darstellung ging Mutter Teresa bei den Reichen und Mächtigen der Welt ein und aus, um Spenden zu sammeln. Darunter waren auch dubiose Figuren wie der Diktator von Haiti, „Baby Doc“ Jean-Claude Duvalier, oder der US-Finanzbetrüger Charles Keating. Für alle hätte sie lobende Worte übrig gehabt, kritisiert Hitchens.

    Ein anderer von ehemaligen Mitarbeitern erhobener Vorwurf lautet, die hygienischen und medizinischen Zustände in ihren Sterbehospizen seien skandalös gewesen. Heilbare Kranke seien ebenso wie unheilbar Kranke behandelt worden. Spritzen seien unter laufendem Wasser gereinigt, abgelaufene Medikamente verabreicht worden. Andere stören sich an ihrem Feldzug gegen Verhütung und ihrer Einstellung zur Abtreibung, die sie 1979 als „größte Bedrohung des Friedens“ bezeichnete. Auch dieser Aspekt verbindet Mutter Teresa mit Franziskus: Dass auch der als besonders liberal wahrgenommene Papst ein kompromissloser Gegner von Abtreibung ist, wird oft ausgeblendet.

    Doch auch die Kritik an Mutter Teresa hat ihre Schwächen. Natürlich gibt es die, die es ihr in Kalkutta teilweise noch heute übel nehmen, dass sie das Bild der Stadt als Armenmoloch auf ewig zementiert habe. Doch als Mutter Teresa 1950 dort ihren Orden gründete, mutete ihr Engagement revolutionär an angesichts der damaligen hygienischen und sozialen Verhältnisse. Hunderttausende lebten ohne Obdach auf den dreckigen Straßen, ansteckende Krankheiten wie Lepra und Polio waren allgegenwärtig. Mutter Teresa kümmerte sich um sie. Erstmals bekamen Menschen, die aufgrund gesellschaftlicher Tabus ausgegrenzt wurden, Fürsorge – Arme, Waisen, Prostituierte oder Todkranke.

    Heiligsprechung: Mutter Teresa habe für Jesus Christus gearbeitet

    Der weltlichen Bewunderung von Mutter Teresa liegt zudem ein Missverständnis zugrunde, das sie vergeblich selbst aufzuklären versuchte. Sie selbst wollte nie eine Wohltäterin sein, sondern als Initiatorin eines religiösen Projekts wahrgenommen werden. „Wir sind keine echten Sozialarbeiter“, sagte sie bei ihrer Nobelpreisrede, sondern „Kontemplative im Herzen der Welt“. Nicht Heilung oder gar eine von vielen ihrer Kritiker geforderte soziale Veränderung der Verhältnisse waren Mutter Teresas Absicht, sondern Mission und die christlich motivierte Linderung des Leids. Auf einem Schild in einer der Sterbehallen ihrer Einrichtungen in Kalkutta war die Aufschrift „Ich bin auf dem Weg in den Himmel“ zu lesen.

    „Ihr Dienst war an Jesus selbst gerichtet, der hinter den beängstigenden Gewändern der Ärmsten steckte“, sagte ihr Freund und Förderer Johannes Paul II. anlässlich ihrer Seligsprechung. Auch Papst Franziskus hob im Vorfeld der Heiligsprechung hervor: Mutter Teresa habe nicht im Stile einer Nichtregierungsorganisation, sondern für Jesus Christus gearbeitet. Das ist nicht für jedermann verständlich, aber ein gewichtiger Unterschied in der Ausrichtung der Tätigkeit.

    Ein weiterer Aspekt ihrer „dunklen Seite“ kam 2007 mit der Veröffentlichung von Tagebuchnotizen zum Vorschein. Aus ihren Texten ging hervor, dass die Frau, die stets als glückliche und vorbildliche Helferin wahrgenommen wurde, jahrzehntelang unter schweren Glaubenszweifeln litt, vielleicht auch unter Depressionen. Der Vatikan deutete diesen Aspekt später als besondere Standhaftigkeit um.

    Am Sonntag auf dem Petersplatz in Rom spielten die kritischen Aspekte freilich keine Rolle. Mutter Teresa bleibt auch als Heilige eine Projektionsfläche für ganz unterschiedliche Bedürfnisse. (mit dpa)

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