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Rentner: Senioren am Steuer: Warum Rentner vor allem sich selbst gefährden

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Senioren am Steuer: Warum Rentner vor allem sich selbst gefährden

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    Senioren stellen keine besondere Gefährdergruppe für andere im Verkehr dar, so Unfallforscher.
    Senioren stellen keine besondere Gefährdergruppe für andere im Verkehr dar, so Unfallforscher. Foto: Patrick Pleul, dpa/tmn

    Deutschlands Rentner leben im Straßenverkehr immer gefährlicher: Die Zahl der in Autounfälle mit Verletzten oder Toten verwickelten Menschen über 65 hat sich im Laufe von 25 Jahren mehr als verdoppelt - obwohl die Zahl der Unfälle insgesamt zurückgegangen ist. Und wenn ein alter Mensch verunglückt, sind auch die Folgen häufig gravierend: Ein Drittel aller Verkehrstoten sind Senioren, obwohl sie nur ein gutes Fünftel der Bevölkerung stellen. 

    Die nackten Zahlen: 1991 waren nach einer kürzlich aktualisierten Aufstellung des Statistischen Bundesamts in Wiesbaden deutschlandweit noch weit über eine halbe Million Autofahrer in "Unfälle mit Personenschaden" verwickelt. 2016 waren dann fast 130.000 Fahrer weniger an Unfällen mit Verletzten beteiligt. Doch die Zahl der Unfallfahrer im Pensionsalter hat sich seither verdoppelt: von knapp 23.000 auf über 48.000. Die Ursachen sind vielfältig: Ein Faktor ist schlicht der demografische Wandel - die Zahl der alten Menschen wächst. Und abgesehen davon ist die ältere Generation heutzutage sehr mobil. 

    Senioren im Straßenverkehr seien aber "keine besondere Gefährdergruppe für andere im Straßenverkehr", sagt Jörg Kubitzki, Unfallforscher im Allianz Zentrum für Technik (AZT) des größten deutschen Versicherers. "Im Vergleich zu anderen Altersgruppen sind sie unterdurchschnittlich häufig in Unfälle mit Personenschäden verwickelt. Es ist eher so, dass Senioren sich vor allem selbst gefährden, wenn sie verunfallen."

    Ab 68 Jahren steigt die Wahrscheinlichkeit für einen Unfall

    Das lässt sich aus der Statistik ablesen: Die Zahl der Verkehrstoten ist in den vergangenen Jahrzehnten in allen Altersgruppen gesunken, auch bei den Senioren. Doch ihr Anteil an den tödlichen Unfällen steigt und steigt: 1991 war jeder sechste Verkehrstote über 65 Jahre alt, 2016 bereits jeder dritte. Besonders gefährdet sind alte Menschen ganz offensichtlich auf dem Fahrrad: 2016 starben 393 Menschen in Deutschland bei Zweiradunfällen, davon 232 Senioren - ein Anteil von fast 60 Prozent.

    Da die von Senioren verursachten Unfälle steigende Kosten verursachen, hat die Versicherungsbranche in den vergangenen Jahren flächendeckend reagiert: Im Rentenalter ist die Kfz-Versicherung teurer als für Menschen mittleren Alters. Dabei geht es keineswegs nur um schwere Unfälle mit Toten und Verletzten. "Für Versicherungen relevant ist vor allem die Masse der Sachschäden", sagt Allianz-Unfallforscher Kubitzki. "Über drei Viertel der Unfälle sind

    Spektakuläre Unfälle betagter Autofahrer

    November 2012: Bei Willstätt (Baden-Württemberg) sterben ein 82 Jahre alter Autofahrer und eine 80-jährige Frau. Das Auto des Mannes war aus ungeklärter Ursache auf die Gegenfahrbahn geraten und frontal mit einem anderen Auto kollidierte. Nur anderthalb Stunden zuvor geriet im nahen Wolfach ein 85-Jähriger mit seinem Auto in den Gegenverkehr und fuhr frontal in einen Transporter. Für seine 80 Jahre alte Beifahrerin kam jede Hilfe zu spät.

    Oktober 2012: Bei einem Zusammenstoß mit einem Bus stirbt bei Bad Doberan (Mecklenburg-Vorpommern) ein 85 Jahre alter Autofahrer. Nach Polizeiangaben hatte der Rentner die Vorfahrt des Busses missachtet, der direkt in die Seite des Autos fuhr.

    September 2012: Ein 82-Jähriger verletzt mit seinem Wagen an einer Tankstelle in Maikammer (Pfalz) einen Radfahrer und einen Fußgänger. Von der Zapfsäule war der Wagen plötzlich nach vorn geschossen und gegen das Tankstellengebäude gekracht. Laut Polizei hatte der Rentner Gaspedal und Bremse verwechselt.

    September 2012: Eine 80 Jahre alte Fahrerin verliert an einer belebten Kreuzung in Wuppertal die Kontrolle über ihr Auto, prallt gegen eine Hauswand, fährt über den Bürgersteig, erfasst Passanten und kracht in einen anderen Wagen. Zwölf Menschen werden verletzt.

    Juli 2012: Eine 91 Jahre alte Fahrerin verwechselt bei ihrem Automatikwagen die Pedale und landet in Rottach-Egern (Oberbayern) im Tegernsee. Ein 87-Jähriger Insasse stirbt in dem versunkenen Auto. September 2011: Ein 81-Jähriger baut als Geisterfahrer auf der A14 von Leipzig nach Dresden einen schweren Unfall, bei dem drei Menschen sterben.

    März 2011: Ein 79-Jähriger fährt im baden-württembergischen Alb-Donau-Kreis falsch herum auf die A8. Nach einem ersten Zusammenstoß fährt er weiter, bei einem zweiten Unfall stirbt er.

    August 2010: Ein 87-Jähriger verwechselt auf einem Parkdeck in Isny (Baden-Württemberg) Bremse und Gaspedal. Das Auto durchbricht die Umrandung und stürzt gegen die Außenwand eines angrenzenden Supermarktes. Der Senior bleibt unverletzt.

    Mai 2010: Ein 75-jähriger Rentner rast beim Ausparken am Hamburger Hauptbahnhof ungebremst in eine Personengruppe. Ein vierjähriger Jungen stirbt, seine Mutter und sein Onkel werden schwer verletzt.

    Dezember 2009: Ein 82-jähriger Autofahrer fährt auf einem Rastplatz bei Bokel (Niedersachsen) an der A1 über einen Gehweg durch eine Scheibe in ein Restaurant. Dabei verletzt er vier Menschen. Der Rentner verwechselte laut Polizei das Gas- mit dem Bremspedal.

    Das Vergleichsportal Verivox hat für eine Modellrechnung rund 150 Kfz-Tarife verglichen: Demnach zahlt ein 80-Jähriger im Schnitt aller Versicherungsanbieter 82 Prozent mehr für die Kfz-Haftpflicht (mit Vollkasko) als ein 45-Jähriger, wenn abgesehen vom Alter sämtliche Kriterien gleich sind. Senioren sind allerdings oft jahrzehntelang unfallfrei gefahren und dementsprechend häufig in niedrigen Schadenfreiheitsklassen eingruppiert. "Doch selbst dann können die Senioren den Zuschlag nicht kompensieren", sagt ein

    Der Gesamtverband der Versicherungswirtschaft (GDV) wertet jährlich die Kfz-Unfälle aus. Demnach steigt die Wahrscheinlichkeit eines Unfalls ab 68 Jahren rapide. In mittleren Jahren haben im Schnitt nur 52 von 1000 Autofahrern einen Unfall, wie der "Jahresgemeinschaftsstatistik" zu entnehmen ist. Mit 68 Jahren sind es bereits 60 von 1000, ab Ende 70 dann über 80. "Weil Lebensalter und Schadenrisiko so eindeutig zusammenhängen, sind Zuschläge für ältere Fahrer nicht nur gerechtfertigt, sondern auch gerecht", argumentierte Jörg Rheinländer, Vorstandsmitglied bei der HUK Coburg, in einem Aufsatz für den GDV. 

    "Wer weniger fährt, verliert an Kompetenz"

    Paradoxerweise könnte eine Tugend des Alters negative Auswirkungen haben: Menschen vorgerückten Alters sind in der Regel weniger leichtsinnig als jüngere Zeitgenossen. Manche fahren freiwillig weniger - aber das tut dem Fahrkönnen nicht gut. "Das Risiko eines Unfalls hängt in hohem Maße von der Fahrleistung ab. Wer weniger fährt, verliert an Kompetenz. Manche Senioren fahren weniger als tausend Kilometer im Jahr", sagt Kubitzki.  

    "Senioren sind vorsichtig", meint der Allianz-Unfallforscher - "aber die Vorsicht führt häufig dazu, dass sie auf risikoarme Fahrten verzichten und beispielsweise nicht mehr auf der Autobahn fahren, wo vergleichsweise wenige Unfälle passieren." Weniger häufig verzichteten alte Menschen auf Fahrten zum Einkaufen oder zum Arzt. Doch der innerörtliche Verkehr ist vergleichsweise gefährlich, die "Unfallexposition" höher. 

    Die regelmäßig geforderten Fahrtüchtigkeitsprüfungen für Senioren würden jedenfalls nichts bringen, meint Kubitzki. "In der Verkehrssicherheitsforschung ist die allgemeine Einschätzung, dass regelmäßige Überprüfungen der Fahreignung faktisch keinen Nutzen bringen."

    dpa/AZ

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