Der Abschlussbericht zum Missbrauchskandal bei den Regensburger Domspatzen hat nach Ansicht der katholischen Reformbewegung "Wir sind Kirche" Maßstäbe für die Aufklärung gesetzt. Daran sollten sich auch die anderen Bistümer orientieren, sagte "Wir sind Kirche"-Sprecher Christian Weisner der Deutschen Presse-Agentur. Es gebe zwar seit 2002 mehrfach geänderte Leitlinien der katholischen Kirche zum Umgang mit Fällen des sexuellen Missbrauchs, aber letztlich gingen die Bischöfe doch unterschiedlich vor.
Der vom Bistum Regensburg mit der Aufklärung beauftragte Rechtsanwalt Ulrich Weber hatte am vergangenen Dienstag seinen Abschlussbericht vorgelegt. Demnach wurden zwischen 1945 und Anfang der 1990er Jahre mindestens 547 Sänger des weltberühmten Chores Opfer von körperlicher oder sexueller Gewalt.
Webers Abschlussbericht sei in seiner Genauigkeit und in seinem Rückblick bis 1945 beispielhaft, sagte Weisner. Diese Aufklärung sei notwendig gewesen, aber auch sehr schmerzhaft. Für die Opfer sei es wichtig, dass ihnen endlich zugehört und geglaubt wurde.
Domspatzen-Skandal: Entschuldigung von Georg Ratzinger gefordert
In dem Bericht hatte es auch Kritik gegeben am früheren Regensburger Bischof und heutigen Kardinal Gerhard Ludwig Müller sowie am früheren Domkapellmeister Georg Ratzinger, dem Bruder des emeritierten Papstes Benedikt XVI. Die beiden ließen nach dem Abschlussbericht eine Geste der Aussöhnung vermissen, sagte Weisner. "Es würde dem Ansehen der katholischen Kirche sehr dienen, wenn Müller und Ratzinger ihr tiefes Bedauern über eigene Unterlassungen oder ihre damals falsche Einschätzung der Vorgänge ausdrücken würden."
Ratzinger müsse mit seinen 93 Jahren ja nicht selbst vor Kameras und Mikrofone treten, aber eine schriftliche Erklärung sei das Mindeste, was man erwarten könne, sagte Weisner. Müller müsse sich fragen lassen, ob er in seiner Zeit als Bischof von Regensburg 2002 bis 2012 wirklich alles unternommen habe, was für die Aufdeckung in seinem Bistum notwendig und möglich gewesen wäre.
Müller sieht keine eigenen Versäumnisse. Nach Veröffentlichung von Webers Abschlussbericht wies er den Vorwurf einer mangelhaften Aufarbeitung des Skandals zurück.
In dem Bericht hieß es, die von Müller 2010 eingeleitete Aufarbeitung sei mit vielen Schwächen behaftet gewesen, etwa weil man nicht den Dialog mit den Opfern gesucht habe. Müller müsse eine klare Verantwortung für die strategischen, organisatorischen und kommunikativen Schwächen zugeschrieben werden. Zu Ratzinger heißt es, ihm sei "sein Wegschauen, fehlendes Einschreiten trotz Kenntnis vorzuwerfen".
"Wir sind Kirche" vermisst auch eine Stellungnahme des Trierer Bischofs Stephan Ackermann, den die Deutsche Bischofskonferenz (DBK) 2010 zum Missbrauchsbeauftragten ernannt hatte. Erstaunlich sei auch, dass sich der DBK-Vorsitzende, der Münchner Erzbischof und Kardinal Reinhard Marx, zu dem Bericht nicht geäußert habe, sagte Weisner.