Alexander Gerst ist noch nicht ganz aus der Sojuskapsel heraus, da strahlt er schon über das ganze Gesicht und reckt die Faust wie zum Sieg in die Luft. Die Strapazen der Landung, bei der die Kapsel von 28.000 Stundenkilometern auf null abgebremst wurde – sie sind dem deutschen Astronauten nicht anzusehen. Ganz anders als seine Begleiter, der Russe Sergej Prokopjew und die US-Amerikanerin Serena Auñón-Chancellor. Bleich und erledigt wirken die beiden, als hätten sie gerade eine schwere Operation hinter sich.
Es ist der Moment, in dem auch Dieter Sabath im Kontrollzentrum in Oberpfaffenhofen aufatmet. In den letzten Minuten hat der Projektleiter der bemannten Raumfahrt im Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt verfolgt, wie Gerst zur Erde zurückkehrt. Er hat, wie seine anderen Kollegen, immer wieder auf den riesigen Bildschirm geblickt, der Bilder aus der kasachischen Steppe zeigt. Nur, so viel ist da gar nicht zu sehen. Denn 5000 Kilometer entfernt herrscht an diesem Morgen dichter Nebel.
Die Kapsel muss man erst einmal inmitten des Nebels finden
Die Wissenschaftler in Oberpfaffenhofen bekommen lange nichts anderes zu Gesicht als einen Hubschrauber, der über der weitläufigen, verschneiten Ebene kreist. „Gerst und seine Kollegen müssten bereits gelandet sein“, erklärt Sabath. Es ist 6.10 Uhr. Sabath, der in Kissing im Kreis Aichach-Friedberg lebt, macht das nichts aus. Er wirkt ausgeschlafen, gut gelaunt. Und er ist optimistisch. Laut Plan sollte die Kapsel, die an einem Fallschirm hängt, bereits vor sieben Minuten auf der Erde ankommen. Gut möglich, dass es so auch ist. Aber man muss sie erst einmal finden.
Klar ist: Gegen 2.40 Uhr in der Früh wurde die Sojus von der internationalen Raumstation ISS abgekoppelt – etwa 400 Kilometer über der Erdoberfläche. Sie kreiste dann noch eine Weile in ähnlicher Höhe, bis sie, vereinfacht gesagt, den richtigen Winkel hatte, um schlussendlich Kurs auf die asiatische Steppe zu nehmen.
Die heiße Phase beginnt für die Raumfahrer dann 30 bis 40 Minuten vor der eigentlichen Landung. Die Kapsel wird abgebremst und tritt in die Erdatmosphäre ein. Durch den Widerstand der Lufthülle reduziert sich die hohe Geschwindigkeit der Landeeinheit, anfangs knapp acht Kilometer pro Sekunde, noch weiter. In der Kapsel entstehen Fliehkräfte der vier- bis fünffachen Stärke der Erdschwerkraft. Wer einmal Achterbahn gefahren ist, hat zumindest eine leichte Vorstellung davon, was die Frau und die beiden Männer aushalten müssen. Zugleich erhitzt sich der erdzugewandte Teil der Sojuskapsel auf etwa 2500 Grad.
Im Kontrollzentrum steigt die Spannung. Minutenlang tut sich nichts auf dem Bildschirm. Keine neuen Bilder aus Kasachstan, die via Houston nach Oberpfaffenhofen gelangen. „Wir haben noch keine Bestätigung der Landung“, sagt Sabath. Er scheint sich aber sicher, dass es nicht mehr lange dauern wird. Alle blicken auf den Bildschirm. Dort sieht man inzwischen drei Hubschrauber über der Steppe kreisen, mit einem Mal rast ein Konvoi Autos in Richtung Horizont. „Bei einer Landung muss man immer davon ausgehen, dass die Kapsel in einem Radius von 20 bis 30 Kilometern um den berechneten Ort herum auf dem Boden aufsetzt“, erläutert Sabaths Kollege Florian Sellmaier. Das liegt auch am Wind in den höheren Luftschichten, den man praktisch nicht vorausberechnen kann.
Nach 197 Tagen im All ist man die Schwerkraft nicht mehr gewohnt
Offenbar sind die Einsatzkräfte fündig geworden. Gegen 6.30 Uhr bekommen die Wissenschaftler in Oberpfaffenhofen die ersten Bilder von der Kapsel zu sehen. Sie zeigen zahlreiche Helfer, die sich an ihr zu schaffen machen. Männer, die den völlig erschöpft wirkenden Russen Sergej Prokopjew aus der Kapsel hieven, ihn ein paar Meter weiter tragen und in einer Art Sessel absetzen. In diesen Momenten fordern die 197 Tage im All ihren Tribut. Trotz Trainings sind die Muskeln die Schwerkraft der Erde nicht mehr gewöhnt. Weil man befürchtet, dass bei den Raumfahrern das Blut in die Beine sackt und eine Ohnmacht droht, werden sie mit großer Vorsicht getragen. Auch die Amerikanerin Serena Auñón-Chancellor wirkt ziemlich erledigt.
Dann ist Alexander Gerst an der Reihe, der die letzten drei Monate Kommandant der ISS war – als erster Deutscher. Als ihn die Helfer aus der Kapsel ziehen, sieht er deutlich fitter aus als seine Kollegen, souverän. Seine Glatze hat er für diesen Moment sauber rasiert, der Bart ist akkurat gestutzt. Triumphierend reckt er die Faust in die Höhe.
Auch er wird erst einmal in einen Sessel gesetzt, der neben der Kapsel in der Steppe steht. Weil der Wind eisig ist, setzt man ihm eine Mütze auf. Das erste Reporterteam kommt zum Interview, der 42-Jährige lächelt in die Kamera, trotz all der Anstrengungen, die hinter ihm liegen. „Heute lief es sehr viel einfacher als beim letzten Mal“, sagt er und spielt auf seinen ersten Einsatz auf der ISS im Jahr 2014 an. Wie es sich anfühlt, wieder hier zu sein? „Zum ersten Mal wieder der Geruch von Schnee und Erde – das ist ein unglaubliches Gefühl, wenn man das ein halbes Jahr nicht gehabt hat.“ Wunderbar einfache Sätze von einem promovierten Geophysiker, von einem Mann, der insgesamt 363 Tage im All verbracht hat.
„So ist er“, meint Dieter Sabath, der Gerst schon mehrfach getroffen hat – auch in Oberpfaffenhofen. Der Astronaut aus dem württembergischen Künzelsau gilt als unkompliziert. Mit dem Bodenpersonal in Oberpfaffenhofen hatte er in den vergangenen Monaten jede Woche zu tun. Denn die Europäische Raumfahrtagentur Esa hat das Wissenschaftslabor „Columbus“ zur ISS beigesteuert. Darin werden zahlreiche Experimente vorgenommen – über Jahre hinweg. Das muss koordiniert werden. Und das ist die Aufgabe, die Oberpfaffenhofen zu leisten hat. 24 Stunden am Tag, in drei Schichten arbeiten die Mitarbeiter hier. Als Alexander Gerst im All war, hatten sie einmal die Woche Funkkontakt.
Astro-Alex hat die Menschen für die Raumfahrt begeistert
„Es ist sehr angenehm, mit ihm zu arbeiten“, sagt Sabath. Und nicht nur das. „Astro-Alex“, wie sich der 42-Jährige bei Twitter nennt, hat wie keiner vor ihm die Menschen für Raumfahrt begeistert. Über Twitter-Botschaften und Fotos ließ er die Welt an seinem Abenteuer teilhaben. Er schickt Fotos, wie er dem russischen Kosmonauten die Haare schneidet, Selfies, wie die Crew kostümiert Halloween auf der ISS feiert, vor allem aber beeindruckende Blicke auf die Erde. Und Bilder, die zeigen, wie zerbrechlich dieser Planet ist. Etwa jenes, das die zerstörerische Macht der Waldbrände in Kalifornien deutlich machte.
An diesem Blick auf die Erde, schreibt Gerst noch am Mittwoch, könne er sich nicht sattsehen. Und er veröffentlicht eine letzte Videobotschaft, die symbolisch an seine „Enkelkinder“ geht – Gerst hat selbst bislang keine Kinder – und in der er sich für seine Generation entschuldigt. „Im Moment sieht es so aus, als ob wir, meine Generation, euch den Planeten nicht gerade im besten Zustand hinterlassen werden.“ Die Menschheit sei dabei, das Klima zu kippen, Wälder zu roden, Meere zu verschmutzen und die limitierten Ressourcen viel zu schnell zu verbrauchen. Die Erde sei ein „zerbrechliches Raumschiff“. „Ich hoffe sehr für euch, dass wir noch die Kurve kriegen.“
Für Pathos dürfte Alexander Gerst nun, da er zurück auf der Erde ist, erst einmal wenig Zeit bleiben. Noch am Donnerstag geht es weiter nach Norwegen. Am Abend setzt ein Flugzeug mit ihm auf dem militärischen Teil des Flughafens Köln/Bonn auf. Gerst verlässt die Maschine aufrecht gehend - und wird von Kollegen, Wegbegleitern und Politikern in Empfang genommen. Sein nächstes Ziel ist eine medizinische Forschungsanlage des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) in Köln. Gerst sollte dort seine erste Nacht verbringen.
Gut möglich, dass sein Weg noch weitergeht. Immer wieder ist zuletzt spekuliert worden, ob „Astro-Alex“ vielleicht noch einmal ins All reisen könnte. Der Leiter der aktuellen Gerst-Mission, Volker Schmid vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt, meint: „Ich gehe davon aus, dass er noch mal fliegt.“ Wohin, sagt er nicht.
Die ISS – ein Gemeinschaftsprojekt der Russen, Amerikaner, Europäer, Japaner und Kanadier – gilt als Vorstufe zu weitaus gewagteren Missionen. Die Amerikaner wollen 2023 zum Mond zurückkehren – nach den Apollo-Missionen der 1960er und 70er Jahre. Das bemannte Raumschiff „Orion“ soll den Trabanten anfliegen und umrunden. Und das Besondere daran ist: Die Nasa baut das Raumschiff zusammen mit der Esa. Das Antriebsteil kommt aus Europa – genauer gesagt vorwiegend aus Bremen. Im Gegenzug sollen die Amerikaner auch europäische Astronauten mitnehmen. Ein erfahrener Mann wie Gerst wäre sicher kein ungeeigneter Kandidat dafür.
Für Gerst heißt es erst einmal: Tests, Sport, Tests
Mitte des nächsten Jahrzehnts soll es dann noch weitergehen: Mondlandungen und die Errichtung einer Mondstation sind geplant. Auch dafür käme Gerst infrage. All diese Missionen dienen wiederum einem ungleich größeren Abenteuer: der Reise zum Mars. Doch das ist noch reichlich Zukunftsmusik. „Dafür gibt es keinen fixen Plan. Es gibt auch keinerlei Raumfahrzeug bisher, mit dem man eine solche Expedition machen könnte“, sagt Sabath.
Nachdem die ISS mindestens bis 2024 betrieben wird, geht dem Standort Oberpfaffenhofen die Arbeit vorerst nicht aus. Das Wissenschaftslabor Columbus wird ja weiter betrieben. Und darüber hinaus? Ist eine Mitarbeit bei Reisen zum Mond denkbar? „Wir sind bereit für solche Zukunftsaufgaben“, sagt Sabath. Man merkt ihm an, dass er sich das auch wünschen würde. Doch bei Raumfahrt geht es immer auch um Politik. Um viel Geld, das die Europäer aufbringen müssen. Und es geht darum, dass die Amerikaner so mitziehen, wie sich die Europäer das vorstellen.
Alexander Gerst muss erst einmal medizinische und wissenschaftliche Untersuchungen über sich ergehen lassen. Die Tage bis Weihnachten sind hart, das Programm eng getaktet, sagt Rüdiger Seine, Leiter der Astronautenausbildung bei der Esa. Der heutige Freitag beginnt für Gerst um 6 Uhr morgens mit einer „Batterie von Tests“ und einer ersten Physiotherapie-Einheit. Nach einem Zwölf-Stunden-Tag heißt es um 18 Uhr Feierabend für den Raumfahrer. Die Weihnachtsfeiertage will Gerst mit Freunden und Familie verbringen. Wo, das verrät Seine nicht. Fest steht: Gerst wird in den nächsten Tagen einen Chauffeur benötigen. Gut möglich, dass die Schwerelosigkeit sich auf sein Gleichgewichtsorgan auswirkt. Darum darf er erst einmal nicht ans Steuer.