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Prozess in Gießen: Mutmaßlicher Entführer von Milliardärssohn sagt vor Gericht aus

Prozess in Gießen

Mutmaßlicher Entführer von Milliardärssohn sagt vor Gericht aus

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    Der 48-jährige Angeklagte wird in den Gerichtssaal geführt. Er soll 2015 den Sohn des Unternehmers Reinhold Würth entführt haben.
    Der 48-jährige Angeklagte wird in den Gerichtssaal geführt. Er soll 2015 den Sohn des Unternehmers Reinhold Würth entführt haben. Foto: Arne Dedert, dpa

    Wie tickt der mutmaßliche Entführer des Milliardärssohns Markus Würth? Das Landgericht Gießen und die dortigen Prozesszuschauer bekommen am zweiten Verhandlungstag einen Eindruck. Der Angeklagte äußert sich nach dem Verhandlungsauftakt im September nun am Dienstag erstmals detailliert. Der 48-jährige aus Offenbach macht zwar keine Angaben zur aufsehenerregenden Tat, die bundesweit für Schlagzeilen gesorgt hatte. Er steht zu Beginn der Beweisaufnahme aber Rede und Antwort zu seinem Lebensweg. 

    Bisweilen kommen die Aussagen sprunghaft und ungenau daher. Irgendwann ist der 48-jährige Serbe während seiner Ausführungen so durcheinander, dass er die Geburtsdaten seiner beiden Töchter nicht zusammenbekommt. Ihm wird zur Last gelegt, im Juni 2015 mit noch unbekannten Mittätern den damals 50-jährigen Sohn des Unternehmers und Milliardärs Reinhold Würth entführt zu haben. Es geschah in einer integrativen Wohngruppe für behinderte und nicht-behinderte Menschen im osthessischen Schlitz. Es war einer der spektakulärsten Kriminalfälle der vergangenen Jahre in Deutschland.

    Angeklagter gibt bereitwillig Auskunft

    Drei Millionen Euro Lösegeld wurden seinerzeit gefordert. Zwar scheitert die Übergabe, das Opfer, das wegen einer schweren Behinderung nicht sprechen kann, kommt unversehrt frei. Im März nimmt die Polizei den mutmaßlichen Täter in seiner Wohnung in Offenbach fest - nach umfangreichen Ermittlungen. Zum zweiten Verhandlungstag erscheint der Mann mit heller Hose und weißem Hemd. Er scheint gewillt, Auskunft zu geben zu seinem Werdegang. Staatsanwalt Frank Späth sagt, er habe sich offen präsentiert, aber "recht unstrukturiert".

    Immer wieder muss der Vorsitzende Richter Jost Holtzmann nachfragen. Wie war was nun genau? Als Antwort kommt bisweilen nur ein Schulterzucken. Einige Themen, die im Prozessverlauf noch eine Rolle spielen sollen, werden angeschnitten: etwa die finanzielle Situation und die Neigung zum Glücksspiel des zweifachen Familienvaters, Handwerkers und mutmaßlichen Kidnappers. Zum Thema Glücksspiel stellt Verteidiger Alois Kovac noch eine Einlassung in Aussicht.  

    Noch wichtiger erscheinen die Computerkenntnisse des Angeklagten. Denn die Kommunikation zwischen Entführer und Ermittlern wurde nach Polizeiangaben zeitweilig per Email geführt. Der Angeklagte beteuert vor Gericht: "Ich habe in meinem Leben keine einzige Mail geschrieben". Er vermittelt den Eindruck, dass er mit Computern nicht viel am Hut hat. Seinen Laptop habe er vor allem zum Filme schauen, beim Schreiben der Rechnungen für Handwerksdienste helfe ein Freund, sein Facebook-Konto habe eine seiner Töchter eingerichtet. In einem Lebenslauf zur Jobsuche gab der Mann allerdings mal an, über Kenntnisse zum Microsoft-Büroprogramm Office zu verfügen.

    Täter forderte 70 Millionen Euro

    Den Ermittlern war es nicht gelungen, die Mails im Zusammenhang mit der Entführung zurückzuverfolgen. Bei einem zweiten Erpressungsversuch im April 2017 hatte der Täter erneut mit einer Entführung gedroht und 70 Millionen Euro in Kryptowährung gefordert. Möglich ist, dass der Würth-Entführer Komplizen hat. Nach Einschätzung des Kriminologen Rudolf Egg ist es unwahrscheinlich, dass solch eine komplizierte Straftat allein durchgezogen wird.

    Der Angeklagte besuchte nach eigenen in Serbien das Gymnasium, verließ das aber vor dem Abitur. Nach Gelegenheitsjobs ist er ein Jahr beim Militär. "Die wollten mich in den Kosovo in den Krieg schicken, deswegen bin ich geflüchtet", erzählt er. Mit ein paar Tausend D-Mark für Schleuser schlug er sich nach Deutschland durch. Im Februar 1994 reiste er ein. Den Großteil seines Lebens danach verbringt er im Rhein-Main-Gebiet, hauptsächlich in Offenbach. Er arbeitet auf Baustellen, 2014 macht er sich selbstständig.   

    Der Prozess um die Würth-Entführung 2015 wird nun am 15. Oktober  fortgesetzt. Dann soll neben Polizisten und Mitarbeitern der Betreuungseinrichtung in Schlitz auch Carmen Würth, die Mutter des Entführungsopfers, aussagen. (dpa)

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