Startseite
Icon Pfeil nach unten
Panorama
Icon Pfeil nach unten

Pro und Contra: Der Fall Jan Böhmermann: Darf Satire das?

Pro und Contra

Der Fall Jan Böhmermann: Darf Satire das?

    • |
    Das Gedicht von Jan Böhmermann über den türkischen Präsidenten Erdogan ist höchst umstritten.
    Das Gedicht von Jan Böhmermann über den türkischen Präsidenten Erdogan ist höchst umstritten. Foto: Ole Spata/PRESIDENTIAL PRESS OFFICE/EPA/DPA

    JA, Satire darf das, sagt CHRISTIAN IMMINGER

    Es ist jedes Mal aufs Neue müßig, aber es muss wohl sein: Ja, man kann das sogenannte Schmähgedicht von Jan Böhmermann dumm, geschmacklos, was auch immer finden. Und ja, man darf sich auch fragen, ob das Ganze politisch klug war – man denke etwa nur daran, dass sich der türkische Präsident Erdogan nun in seinem Urteil über ein aufgeklärtes Verständnis von Meinungs-, Kunst- und Pressefreiheit bestätigt fühlen kann. Aber was man genau deswegen nicht darf, ist die Frage stellen, ob Satire so etwas darf. Denn für deren Beantwortung sind in Deutschland lediglich zwei Instanzen zuständig: Kurt Tucholsky und die Justiz.

    Ersterer beantwortete in seinem berühmten, stets in solchen Fällen angeführten Aufsatz von 1919 die Frage, was Satire darf, bekanntlich schlicht mit: „Alles.“ Was in einem freiheitlichen Rechtsstaat natürlich nur heißen kann: Alles – aber im Rahmen der Gesetze. Ob diese übertreten wurden, darüber hat hierzulande eine unabhängige Justiz zu befinden. Und sonst niemand.

    Satire, die sich von vorneherein an vermuteten Geschmacksurteilen, überkommenen Ehrbegriffen, die nicht aus dem Grundgesetz abgeleitet werden können oder womöglich gar – Gott bewahre, gerade in Deutschland! – dem vermuteten Humorverständnis einer breiten Masse orientierte, wäre wohl keine mehr. Satire wird deswegen immer mal bei einem, mal bei vielen Empörung auslösen, Satire wird deswegen nie allen gefallen – aber das ist ja gerade nicht ihre Aufgabe, sondern wäre eher ihre Selbstaufgabe.

    Fall Böhmermann ist Sache von Staatsanwaltschaft und Gericht

    Satire wird deswegen schier zwangsläufig immer wieder schmerzhaft an Grenzen gehen, manchmal diese auch überschreiten – und ob das im Fall Böhmermann passiert ist, ist eben nun Sache von Staatsanwaltschaft und Gericht. Eine wichtige Frage wird dort wohl sein, ob die Einbettung der eigentlichen Schmähverse in einen satirischen Kontext deutlich genug war – alleine, dass seit Tagen nur über die Deftigkeit der einzelnen Schimpfwörter diskutiert wird, lässt einen nicht nur daran zweifeln.

    Doch wie auch immer die Sache nun ausgehen mag, eines ist damit natürlich nicht gesagt: ob Böhmermanns Satire gelungen ist oder nicht. Noch einmal sei deswegen Kurt Tucholsky bemüht, der in seinem damaligen Text ja noch ein paar Worte mehr zum Wesen der Satire geschrieben hat – und dem Satiriker selbst als Warnung ins Stammbuch: „Nirgends verrät sich der Charakterlose schneller als hier, nirgends zeigt sich fixer, was ein gewissenloser Hanswurst ist, einer, der heute den angreift und morgen den.“

    NEIN, Satire darf das nicht, sagt RICHARD MAYR

    Zur Erinnerung: Die Sache fing nicht mit dem Schmähgedicht von Jan Böhmermann an, sondern mit dem satirischen Song „Erdowie, Erdowo, Erdogan“, wofür die türkische Regierung den deutschen Botschafter einbestellte. Jedem hierzulande ist klar, dass es sich dabei um Satire handelt, die nicht verboten werden darf, solange Meinungs- und Pressefreiheit gelten. Ein Volltreffer für das Fernsehmagazin „Extra 3“.

    Aber von dem Volltreffer spricht niemand mehr, weil Jan Böhmermann die Erregung gekapert hat, ein Spezialist für mediale Hysterie. Was machte Böhmermann? Das Einfachste. Er sagte: Seht her, so schaut ein Schmähgedicht aus, das nicht mehr aufgesagt werden darf. Woraufhin er zu einer Kaskade unterirdischer, stereotyper, rassistischer Beleidigungen auf Erdogan ansetzte.

    Das als Riesenerfolg feiern? Nö. Wieso auch. Niemand wundert es, dass die türkische Regierung – insbesondere Erdogan – darauf noch erregter reagiert. Es handelt sich um Satire, die nur ein Mittel kennt: Beleidigung. Mit dem Schmähgedicht hätte Böhmermann auch Probleme bekommen, wenn es Angela Merkel, Sigmar Gabriel oder Horst Seehofer zum Ziel gehabt hätte. Mit Sicherheit wäre der Beitrag dann auch im ZDF gelöscht worden. Das hat übrigens Böhmermann vor dem Aufsagen seines Gedichts selbst vorausgesagt: Wahrscheinlich wird es gelöscht.

    Mit Sicherheit hat Böhmermann die Schmähung nicht ernst gemeint

    Böhmermann testet die Grenze, an der die Freiheit der Kunst und das Recht auf freie Meinungsäußerung enden. Das Ende beginnt, wo andere Rechte verletzt werden. Folgerichtig kommen dann Gerichte ins Spiel. Mit Sicherheit hat Böhmermann die Schmähung nicht ernst gemeint. Nur findet sich jenseits der Beleidigungen keine zweite Ebene.

    Wenn dieses Schmähgedicht gerichtlich verboten werden sollte, muss niemand Angst haben, dass die Freiheit der Kunst und das Recht auf freie Meinungsäußerung hierzulande eingeschränkt werden. Dann heißt das nur, dass Böhmermann zu einer Form von Satire gegriffen hat, die so plump und so simpel gestrickt ist, dass sie – auch juristisch – nicht mehr funktioniert.

    Entlarvend ist, dass Mathias Döpfner, der Vorstandsvorsitzende des Springer-Verlags, Böhmermann zur Hilfe eilt und die Presse- und Meinungsfreiheit hochhält. Das kommt von dem deutschen Verlag, der wie kein anderer Persönlichkeitsrechte verletzt hat. Dort gibt es ein sehr feines Gespür dafür, was nicht mehr erlaubt ist und trotzdem gebracht wird, um den größten Effekt auf Kosten Dritter zu erzielen.

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden