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Presse: Nur keine Panik! Wie Medien über das Coronavirus berichten

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Nur keine Panik! Wie Medien über das Coronavirus berichten

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    Berichten Medien verantwortungsbewusst über die Verbreitung des Coronavirus oder schüren sie Ängste?
    Berichten Medien verantwortungsbewusst über die Verbreitung des Coronavirus oder schüren sie Ängste? Foto: Sven Hoppe, dpa (Symbol)

    Schon am Morgen verbreitet Bild.de Untergangsstimmung. Die obere Hälfte der Homepage des Boulevardmediums ist seit Tagen in grelles Gelb getaucht. Es ist das Gelb der Warnschilder und Seuchen-Schutzanzüge, das Gelb auf den Kinoplakaten der Virus-Thriller „Outbreak – Lautlose Killer“ und „Contagion“. Und natürlich ist das kein Zufall. „Wie schützen wir Leben und Wirtschaft gleichzeitig?“, fragt die Aufmacherüberschrift am Dienstag. „Haben Sie Job-Angst wegen Corona?“, werden darunter Leser direkt angesprochen. Sie sollen Videos einschicken. Am Mittwoch geht es dann um Bundeskanzlerin Angela Merkel. Die Schlagwörter auf der Seite: „Chaos“, „Krise“, „Ansteckung“, „Corona-Pyramide“, „Schock-Bilder“, „Katastrophe“, „Notplan“.

    Bei Bild ist alles grellgelb - die Farbe der Seuchen-Schutzanzüge und Virus-Thriller

    Die Berichterstattung über das neuartige Virus, das sich weltweit verbreitet und das inzwischen auch in Deutschland zu ersten Todesopfern geführt hat, bedeutet für seriöse Journalisten eine Gratwanderung. Auf der einen Seite haben sie die Aufgabe, zu informieren und einzuordnen, auf der anderen Seite wollen sie niemandem Angst machen, keine Panik auslösen.

    Alles in Grellgelb: So berichtet Bild.de seit Tagen.
    Alles in Grellgelb: So berichtet Bild.de seit Tagen. Foto: Screenshot Bild.de/AZ

    Sie orientieren sich hierbei am Pressekodex des Deutschen Presserats, dem Selbstkontrollorgan der Printmedien und deren Online-Auftritte. Darin heißt es unter anderem: „Bei Berichten über medizinische Themen ist eine unangemessen sensationelle Darstellung zu vermeiden, die unbegründete Befürchtungen oder Hoffnungen beim Leser erwecken könnte. Forschungsergebnisse, die sich in einem frühen Stadium befinden, sollten nicht als abgeschlossen oder nahezu abgeschlossen dargestellt werden.“

    Doch alleine die ausführliche Berichterstattung über die verschiedenen Aspekte des Themas „Coronavirus“ kann zu einer gewissen Stimmung der Verunsicherung unter Lesern, Zuschauern oder Zuhörern beitragen. Zugleich zeigen etwa Abrufzahlen auf den Internetseiten großer deutscher Medien: Die Nachfrage und damit das Informationsinteresse nach Berichten über das Coronavirus ist seit Tagen gleichbleibend sehr hoch. Medien haben auch die Aufgabe, dieser Nachfrage gerecht zu werden – und, auch das, mit Qualitätsjournalismus Fake-News entgegenzuwirken. Wie aber kommen deutsche Medien ihren Aufgaben und ihrer ethischen Selbstverpflichtung nach?

    Sonja Volkmann-Schluck vom Deutschen Presserat betont auf Anfrage, dass der Presserat keine Berichterstattung im Allgemeinen bewerte, sondern bei konkreten Beschwerden gegen Veröffentlichungen entscheide. „Gemessen an der Brisanz des Themas gibt es beim Presserat vergleichsweise wenige Beschwerden zur Corona-Berichterstattung“, sagt sie. „Zurzeit liegen uns circa 15 Beschwerden vor.“ Bei den meisten gehe es „eher um Detailfragen“, um Berichte, in denen Leserinnen und Leser Falschmeldungen vermuten. Zwei Leser hätten sich über die Bild beschwert. Der Presserat prüfe in beiden Fällen derzeit, ob ein Verfahren gegen die Zeitung eingeleitet werde. Dessen schärfste Sanktion ist es, eine öffentliche Rüge auszusprechen.

    Forscher: „Gesellschaftspolitisch ist die Situation besorgniserregend“

    Marcel Fratzscher, Leiter des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, übte Anfang März ausgerechnet in der Tageszeitung Die Welt – die wie Bild zum Springer-Konzern gehört – Medienkritik. Es gebe „viele Übertreibungen“, das „Schädlichste am Coronavirus ist nicht die Krankheit selbst. Es ist die Überreaktion darauf und deren wirtschaftliche Folgen“, sagte er. Es ist eine Kritik, die sich ähnlich auch in Nutzerkommentaren findet. Dort, im Internet, in sozialen Netzwerken finden Nutzer aber noch vieles mehr über das Coronavirus und dessen rapide Ausbreitung – bewusste Falschmeldungen, Verschwörungstheorien und politische Propaganda.

    Rechtsextremismusforscher Matthias Quent warnte davor ausführlich auf Twitter: „Gesellschaftspolitisch ist die Situation besorgniserregend.“ Die aktuelle Gleichzeitigkeit von Krisen – neben der Ausbreitung des Virus die Lage der Flüchtlinge an der EU-Außengrenze zur Türkei sowie der Börsen-Crash am Montag – biete „vor allem der radikalen und populistischen Rechten Munition“. Die Verbindung von Krankheit und Einwanderung sei, so Quent, „seit langem ein Muster rassistischer Sprache und Politik, um existenzielle Bedrohungen zu behaupten... und Abschottung zu rechtfertigen“.

    Auch Michael Blume, evangelischer Religions- und Politikwissenschaftler sowie Antisemitismus-Beauftragter des Landes Baden-Württemberg, betrachtet die Entwicklung mit Sorge – „weil es nur wenige Tage gedauert hat, bis das Auftreten vom Coronavirus dann auch in Deutschland damit verknüpft wurde, dass da ja eine jüdische Weltverschwörung dahinterstecken müsste“, sagte er im Deutschlandfunk. Dies habe sich in nur drei Schritten vollzogen: „In Wuhan gibt es ein Biolabor, Bill Gates und Melinda Gates, die entwickeln Impfstoffe und verdienen also Geld, und die seien ja Juden. Nichts davon stimmt.“ Sein Rat: „Halten Sie sich durchaus an die Institutionen – ob das Medien oder Religionsgemeinschaften oder was auch immer sind – die auch in der Vergangenheit Ihr Vertrauen verdient haben. Und nicht an irgendwelche Scharlatane, die letztendlich Ihre Angst verstärken und manipulieren wollen.“

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