Über und über liegen die Blumen vor dem Collège, einer Mittelschule von der sechsten bis zur neunten Klasse, in Conflans-Sainte-Honorine. Menschen versammeln sich, Erwachsene, Jugendliche, viele haben verweinte Augen. Ein Schild steht am Boden mit der Aufschrift: „Ich bin Lehrer – Ich bin Samuel“ Die Sätze sind angelehnt an das Motto „Ich bin Charlie“, das nach dem blutigen Attentat auf das Satiremagazin Charlie Hebdo im Januar 2015 um die Welt ging. Was am Freitagnachmittag unweit der Schule in Conflans-Sainte-Honorine, einem Städtchen rund 30 Kilometer nordwestlich von Paris, passiert ist, erinnert daran – und schockiert ähnlich.
Samuel Paty ein beliebter Lehrer für Geschichte und Erdkunde, 47 Jahre alt und Vater eines Kindes, war gerade auf dem Nachhauseweg, als ihn Abdoullakh Abouyezidvitch A., ein 18-jähriger, in Moskau geborener Tschetschene, mit einem langen, scharfen Messer angriff und enthauptete. Unmittelbar danach stellte der Täter ein Foto vom abgetrennten Kopf seines Opfers ins Internet und schrieb eine Bekennernachricht dazu, in der er sich selbst als „Diener Allahs“ bezeichnete.
Lehrer Samuel Paty hatte Mohammed-Karikaturen im Unterricht gezeigt
Kurz darauf stieß eine Polizeieinheit auf A. Nach vergeblichen Aufforderungen, eine Schusswaffe, die er bei sich trug, niederzulegen, töteten ihn die Beamten mit mehreren Schüssen. „Allahu Akbar“, arabisch für „Gott ist groß“, soll der junge Mann noch gerufen haben. Am Körper des 18-Jährigen wurde neben der Feuerwaffe ein weiteres Messer, das nicht die Tatwaffe war, gefunden. Er war der Polizei nicht wegen religiöser Radikalisierung bekannt, sondern wegen einer Sachbeschädigung und Gewaltanwendung vor vier Jahren.
Schnell wurde ein Zusammenhang zwischen dem brutalen Mord und Streitigkeiten gezogen, die jüngst an der Schule nach einer Ethik-Stunde Patys Anfang Oktober stattgefunden hatten. In einer Stunde über Meinungsfreiheit hatte der Lehrer Karikaturen des Propheten Mohammed gezeigt. Den muslimischen Schülern sagte er vorab, das Nachfolgende könne sie schockieren. Wer wolle, dürfe den Raum verlassen. Eine Schülerin wehrte sich heftig, in der Folge beschwerten sich auch Eltern über Paty, der seinerseits wegen Diffamierung klagte. Tagelang war der Vorfall Thema in der Schule – und in den sozialen Netzwerken.
Ob A., der nie in Conflans-Sainte-Honorine zur Schule ging und im gut 80 Kilometer entfernten Évreux wohnte, wo er und seine Familie den Status als Flüchtlinge hatten, auf diese Weise davon erfahren hat, ist unklar. Bekannt ist nur, dass er am Freitagnachmittag vor der Schule gewartet und Schüler gebeten hatte, ihm Paty zu zeigen.
Präsident Macron sprach von einem „islamistischen Terror-Attentat“
Die Antiterror-Abteilung der Staatsanwaltschaft nahm Ermittlungen auf. Auch Präsident Emmanuel Macron sprach von einem „islamistischen Terror-Attentat“: „Einer unserer Mitbürger ist heute ermordet worden, weil er unterrichtete, weil er Schüler die Meinungsfreiheit beibrachte, die Freiheit zu glauben und nicht zu glauben.“ Die „ganze Nation“ sei da, um die Lehrer zu beschützen. Am Sonntag kamen Menschen in mehreren französischen Städten zu Demonstrationen zusammen. Vor allem Conflans-Sainte-Honorine, einem ruhigen Örtchen mit sauberen Pavillon-Häuschen und gerade geschnittenen Hecken, ist das Entsetzen groß. „Für uns ist es sonst ein Großereignis, wenn ein Wildschwein das Zentrum verwüstet“, sagte eine Bewohnerin. Religion sei hier nie ein Thema gewesen.
Bis Sonntag kamen elf Personen, davon mehrere Familienmitglieder des Täters, in Untersuchungshaft. Festgenommen wurde auch der Vater einer 13-jährigen Schülerin, die in der betroffenen Klasse von Paty saß. In einem Internet-Video hatte er gesagt, der Lehrer sei ein „Gauner“, der den Kindern das Foto eines nackten Mannes gezeigt habe mit den Worten: „Das ist der Prophet der Muslime.“ Man habe sich nicht respektiert gefühlt.
Der Mord geschah drei Wochen nach einem Messerangriff auf zwei junge Journalisten vor dem ehemaligen Gebäude von Charlie Hebdo, die mehrmals Mohammed-Karikaturen veröffentlicht hat. Der Täter, ein 25-jähriger Pakistaner, hatte nicht gewusst, dass die Redaktion umgezogen war. Derzeit findet in Paris der Prozess um die Attentate gegen Charlie Hebdo und einen jüdischen Supermarkt im Jahr 2015 statt.
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