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Oslo: Massenmord an Jugendlichen in Norwegen erschüttert Welt

Oslo

Massenmord an Jugendlichen in Norwegen erschüttert Welt

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    Massenmord an Jugendlichen in Norwegen erschüttert Welt
    Massenmord an Jugendlichen in Norwegen erschüttert Welt Foto: Trond Reidar Teigen

    Die meisten Opfer waren fast noch Kinder: Der Massenmord eines offensichtlich verwirrten Rechtsradikalen an fast 100 wehrlosen Menschen in Norwegen erschüttert die Welt. Der christliche Fundamentalist richtete auf einer winzigen Ferieninsel nahe Oslo ein grauenhaftes Blutbad an. Er erschoss auf einem fröhlichen Jugendtreffen gegen Intoleranz und für ein friedliches Miteinander mindestens 86 Teilnehmer oder trieb sie im Wasser in den Tod. "Jeder lief um sein Leben und hat versucht, wegzuschwimmen", sagte Camporganisator Adrian Pracon (21), der verletzt überlebte.

    Fast eineinhalb Stunden schoss der Attentäter mit einem Schnellfeuergewehr gezielt auf die panischen Jugendlichen, die weder von der Insel Utøya fliehen noch auf schnelle Hilfe hoffen konnten. "Es sah aus, als habe er Spaß", sagte Augenzeuge Magnus Stenseth (18). Viele versuchten, sich zu verstecken oder die 700 Meter bis zum rettenden Ufer durch das kalte Wasser zu schwimmen. Eine Terroreinheit konnte erst kein geeignetes Boot auftreiben. Als die Polizei endlich auf der Insel eintraf, ließ sich der mittlerweile geständige Täter Anders Behring Breivik ohne Gegenwehr festnehmen. An diesem Montag soll gegen ihn Haftbefehl erlassen werden.

    Vor dem Massaker hatte der 32-jährige Norweger im etwa 40 Kilometer entfernten Oslo mit einer selbstgebauten Autobombe Teile der Innenstadt in eine Trümmerlandschaft verwandelt. Mindestens sieben Menschen wurden durch die Wucht der Explosion und Trümmer getötet. Das Büro von Ministerpräsident Jens Stoltenberg würde völlig verwüstet.

    Im Geständnis bezeichnete Breivik seine Taten als "grausam, aber notwendig". Keine drei Stunden vor dem ersten Anschlag hatte er ein wirres "Manifest" im Internet abgeschlossen: "Ich glaube, dies wird mein letzter Eintrag sein." Er wolle Europa vor "Marxismus und Islamisierung" retten. In dem Text stufte er "multikulturelle" Kräfte als Feind ein. Er beschrieb den Bau einer Bombe, erwähnte auch die Jugendorganisation. Niemandem habe er von seinen Plänen erzählt. Der Mann hat weder Frau noch Kinder.

    Seit dem Frühjahr hatte Breivik sechs Tonnen Kunstdünger zusammengekauft, der zur Herstellung von Bomben geeignet war. Der Hobbyschütze hatte über Netzwerke im Internet Kontakte in die rechte Szene. Neun Jahre bereitete er die Tat laut seinem "Manifest" vor. Er soll nun auf seinen Geisteszustand untersucht werden. "Es ist ausgesprochen schwer für mich, eine vernünftige Zusammenfassung von dem zu geben, was er in dem Verhör gesagt hat", so Verteidiger Geir Lippestad im Sender TV2. Ermittler gehen davon aus, dass er allein gehandelt hat. Die Beamten fürchteten, dass auch zwei Tage nach den Attentaten noch nicht alle Todesopfer entdeckt waren. Rund um Utøya suchten Spezialisten am Sonntag nach mindestens vier Vermissten.

    Bis Sonntagmittag zählten die Behörden 93 Tote und knapp 100 Verletzte: In Oslo starben sieben Menschen durch die Druckwelle der selbstgebastelten Autobombe. "Wir wissen, dass es noch Überreste von Toten in den Osloer Ruinen gibt. Das Ganze ist ein Puzzlespiel", sagte Polizeisprecher Sveinung Sponheim. Auf Utøya gab es mindestens 86 Tote.  "Jeder einzelne Tote ist ein unersetzlicher Verlust. Zusammen bedeuten sie eine nationale Tragödie", sagte Stoltenberg am Sonntag bei einem Gedenkgottesdienst in Oslo.

    Die wehrlosen jungen Leute im Ferienlager der sozialdemokratischen Jugendorganisation AUF waren dem Täter arglos entgegengekommen. Er trug eine falsche Polizeiuniform. Als er auf die Teenager traf, hatten diese sich gerade versammelt, um mehr über den Anschlag zu erfahren, der nur kurz zuvor die nahe Hauptstadt erschüttert hatte. "Wir dachten, es wäre gut, die Polizei auf der Insel zu haben. Bis der Polizist plötzlich anfing, auf Leute zu schießen", sagte der Überlebende Pracon.

    Augenzeugen schilderten das schrecklichen Geschehen im Camp. "Ich hab ihn nicht gesehen, aber gehört. Er schrie und jubelte und gab mehrere Siegesrufe von sich", berichtete die 22-jährige Nicoline Bjerge Schie in der Online-Ausgabe der Zeitung "Dagbladet". Die junge Frau hatte sich mit Freunden hinter einem Felsen am Wasser versteckt.

    Erst am Samstagmorgen wurde sich Norwegen der ungeheuerlichen Dimension des Geschehens bewusst. Am Freitagabend war zunächst bekanntgeworden, dass rund zehn Menschen ums Leben gekommen waren. Dann sprachen die Behörden plötzlich von mehr als 80 Opfern, und im Laufe des Samstags zählte die Polizei immer mehr Leichen in den Gewässern rund um die nur 400 Meter breite Ferieninsel Utøya.

    Auch im Wasser feuerte der Schütze auf die wehrlosen, panischen Opfer. Teenager, die verletzt am Boden lagen, soll er mit Kopfschüssen regelrecht hingerichtet haben. Camp-Organisator Pracon sagte, auf ihn habe der Täter ruhig und kontrolliert gewirkt. Er selbst sei von einer Kugel an der Schulter getroffen worden. Anschließend habe er sich in den See geflüchtet, als Anders B. am Ufer auftauchte und erneut auf ihn zielte. "Ich flehte ihn an und er verschonte mich", schilderte der Jugendfunktionär die Begegnung. Campingtouristen, darunter Deutsche, kamen den Jugendlichen mit Booten zu Hilfe. "Als ich zehn aufgenommen hatte, war das Boot voll. Beinahe kenterte es. Zu bestimmen, wen ich mitnehmen sollte, war schrecklich", sagte Urlauberin Torill Hansen.

    Ministerpräsident Stoltenberg sprach von der schlimmsten Katastrophe Norwegens seit dem Zweiten Weltkrieg. Er kennt die Insel aus seiner eigenen Teenagerzeit: "Utøya war das Paradies meiner Jugend. Gestern wurde es in eine Hölle verwandelt." Norwegens König Harald V. sprach von einem "Angriff auf unsere Gesellschaft und unsere Demokratie".

    Die internationale Gemeinschaft zeigte sich erschüttert von den Anschlägen. Bundeskanzlerin Angela Merkel und US-Präsident Barack Obama verurteilten die Tat ebenso wie die Europäische Union. Bundespräsident Christian Wulff übermittelte König Harald V. seine Anteilnahme. Für die Ermordung friedlicher Bürger gebe es keine Rechtfertigung, schrieb Kremlchef Dmitri Medwedew.

    Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) sieht für Deutschland keine direkte Gefahr durch Terroranschläge von rechts. "Hinweise auf rechtsterroristische Aktivitäten liegen derzeit nicht vor", sagte er der "Bild am Sonntag". Merkel telefonierte mit dem norwegischen Ministerpräsidenten. "Es war mir ein Bedürfnis, ihm unsere Trauer mitzuteilen", sagte die Kanzlerin. "Dieser Hass ist unser gemeinsamer Feind." Alle, die an die Freiheit, den Respekt und das friedliche Zusammenleben glaubten, müssten diesem Hass entgegentreten.

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