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Oscar Pistorius: Prozess wird neu aufgerollt: War es doch Totschlag?

Oscar Pistorius

Prozess wird neu aufgerollt: War es doch Totschlag?

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    Sprinstar Oscar Pistorius muss sich erneut vor Gericht verantworten. Richterin Thokozile Masipa hat eine Berufung gegen Oscar Pistorius zugelassen.
    Sprinstar Oscar Pistorius muss sich erneut vor Gericht verantworten. Richterin Thokozile Masipa hat eine Berufung gegen Oscar Pistorius zugelassen. Foto: Herman Verwe, dpa (Archiv)

    Einmal pro Woche darf die Familie von Oscar Pistorius ihn im Kgosi-Mampuru-Gefängnis von Pretoria besuchen. 45 Minuten lang. Danach hinterlegen seine Angehörigen Geld in der Kantine, sodass er neben dem Gefängnisessen wenig verlockende Snacks wie gebackene Bohnen oder Sardinen aus der Dose kaufen kann. Persönlich darf ihm das Geld nicht übergeben werden, denn die Gefängnisse in Südafrika gelten als korrupt, mit Bargeld lässt sich hier von Handys bis zu Drogen alles besorgen. „Das ist kein Märchen für ihn“, sagte sein Bruder Carl im Interview mit dem südafrikanischen You-Magazin, „er lebt von Augenblick zu Augenblick.“

    Die Haftstrafe für Pistorius könnte sich bald in Hausarrest umwandeln

    Im November feierte Pistorius seinen 28. Geburtstag im vergleichsweise sicheren Krankenhausbereich, wo er aufgrund seiner Unterschenkelamputation in einem Einzelzimmer untergebracht ist. Damals tröstete ihn die Aussicht, dass es sein einziger hinter Gittern sein könnte. Seine fünf Jahre lange Haftstrafe wegen seiner tödlichen Schüsse auf seine Freundin Reeva Steenkamp könnte schon Mitte des kommenden Jahres in Hausarrest umgewandelt werden.

    Der Fall Pistorius - eine Chronologie

    14. Februar 2013: Steenkamps Leiche wird in Pistorius' Wohnung gefunden. Der Sportler hatte die 29-Jährige durch die geschlossene Toilettentür mit vier Schüssen aus einer seiner Schusswaffen getötet. Er wird festgenommen.

    15. Februar 2013: Bei einem ersten Gerichtstermin, bei dem Pistorius Mord an seiner Freundin zur Last gelegt wird, bestreitet er den Mordvorwurf.

    19. Februar 2013: Pistorius macht geltend, er habe hinter der Toilettentür einen Einbrecher vermutet und "furchtbare Angst" gehabt.

    22. Februar 2013: Pistorius wird gegen eine Kaution von umgerechnet 75.000 Euro freigelassen.

    März 2014: Zum Prozessauftakt sagt eine Zeugin aus, sie habe in der Tatnacht "schreckliche Schreie" einer Frau und Schüsse gehört. Pistorius übergibt sich bei der Verlesung des Autopsieberichts.

    April 2014: Pistorius beginnt seine Aussage mit einer Entschuldigung bei Steenkamps Familie. Immer wieder bricht er im Kreuzverhör in Tränen aus und verwickelt sich auch in Widersprüche.

    30. Juni 2014: Nach sechswöchiger Pause, in der sich Pistorius psychiatrischen Untersuchungen unterziehen muss, erklären drei Psychiater und ein Psychologe, dass der Angeklagte zur Tatzeit voll schuldfähig war.

    11. September 2014: Richterin Thokozile Masipa spricht Pistorius von den Vorwürfen des Mordes und des Totschlages frei.

    12. September 2014: Pistorius wird wegen fahrlässiger Tötung und fahrlässigen Waffengebrauchs in einem Fall schuldig gesprochen.

    21. Oktober 2014: Das Strafmaß wird verkündet: maximal fünf Jahre Gefängnis. Pistorius muss seine Haft sofort antreten.

    10. Dezember 2014: Die Berufung wird zugelassen.

    19. Oktober 2015: Pistorius wird auf Bewährung und unter Auflagen vorzeitig aus der Haft in den Hausarrest entlassen.

    3. November 2015: Im Berufungsverfahren fordert die Staatsanwaltschaft eine Verurteilung wegen Mordes

    3. Dezember 2015: Pistorius wird wegen Mordes schuldig gesprochen, der Fall wird an die Vorinstanz zurückverwiesen.

    3. März 2016: Das Verfassungsgericht weist eine Beschwerde des Sportlers gegen den Schuldspruch zurück.

    6. Juli 2016: Pistorius wird zu sechs Jahren Gefängnis verurteilt. Er tritt seine Strafe sofort an. Sowohl Anklage als auch Verteidigung können Berufung gegen das Strafmaß einlegen.

    So schien es bislang. Am Mittwoch aber genehmigte Richterin Thokozile Masipa in Pistorius’ Abwesenheit den Antrag der Anklage auf ein Berufungsverfahren. Die Staatsanwaltschaft wird dann den in Bloemfontein angesiedelten Obersten Gerichtshof Südafrikas davon zu überzeugen versuchen, dass es sich bei Pistorius Tat keineswegs um fahrlässige Tötung, sondern um Totschlag handelte.

    Für die "indirekte Tötungsabsicht" gibt es mindestens 15 Jahre Haft

    Das ist Oscar Pistorius

    Geburtsdatum: 22. November 1986

    Geburtsort: Sandton/Südafrika

    Behinderung: Pistorius wird durch einen Gendefekt ohne Wadenbeine und äußere Fußseiten geboren. Im Alter von elf Monaten werden ihm beide Beine unterhalb der Knie amputiert.

    Größte Erfolge: - Paralympics 2004 in Athen Gold über 200 m, Bronze über 100 m; - Paralympics 2008 in Peking Gold über 100, 200 und 400 m; - Paralympics 2012 in London Gold über 400 und 4 x 100 m, Silber über 200 m Weltmeisterschaften 2011 in Daegu Halbfinale über 400 m Olympische Spiele 2012 in London Halbfinale über 400 m

    Wichtige Entscheidungen: 14. Januar 2008: Der Leichtathletik-Weltverband IAAF entscheidet, dass seine Karbon-Prothesen Pistorius Vorteile verschaffen und er deshalb nicht an den Olympischen Spielen in Peking teilnehmen darf.

    16. Mai 2008: Der Internationale Sportgerichtshof CAS hebt die IAAF-Entscheidung wieder auf. Pistorius verpasst aber die sportliche Qualifikation für die Spiele in Peking.

    8. August 2011: Pistorius wird zusammen mit dem Sprinter Jason Smyth als erster behinderter Sportler für eine Leichtathletik-WM nominiert.

    4. August 2012: Pistorius startet als erster beinamputierter Sportler der olympischen Geschichte bei den Spielen in London.

    Es geht längst nicht mehr um die Frage, ob Pistorius vor hatte, seine Freundin zu töten. Staatsanwalt Gerrie Nel weiß, dass für den Nachweis eines Mordes mit besonderer Schwere, für den mindestens 25 Jahre Haft vorgesehen sind, seine Beweise nicht ausreichen. Doch er hatte das Strafmaß als „schockierend unangemessen“ bezeichnet und strebt eine Verurteilung wegen „Murder dolus eventualis“ an, ein Strafbestand, der dem Totschlag im deutschen Strafrecht ähnelt und für den wegen der sogenannten „indirekten Tötungsabsicht“ mindestens 15 Jahre Haft vorgesehen sind. Demnach hätte Pistorius den Tod einer Person voraussehen müssen, als er die vier Schüsse auf die geschlossene Tür zur Toilette abfeuerte – selbst wenn sich, wie von ihm angeblich vermutet, ein Einbrecher dahinter verborgen hätte.

    Richterin Masipa lehnte derweil die Berufung gegen das Strafmaß von fünf Jahren ab. Bei einer Erstverurteilung kann bei Haftstrafen von bis zu fünf Jahren ein Großteil der Strafe in Hausarrest umgewandelt werden. Bestätigt der Oberste Gerichtshof das Urteil der fahrlässigen Tötung, bleibt es also beim milden Strafmaß für Pistorius. Es müsste allerdings bei einer Verurteilung wegen Totschlags deutlich angehoben werden.

    Bis zum Prozess könnten Jahre vergehen

    Bis zum Beginn des Berufungsprozesses werden Monate vergehen, vielleicht sogar ein Jahr. Pistorius könnte bis zu seinem Beginn sogar eine Freilassung gegen Kaution beantragen. Die Frage nach Schuld und Schicksal des einstigen Helden der Nation wird Südafrika wohl auch danach weiter beschäftigen.

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