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Österreich: Hallstatt wäre so schön - wenn die Touristen nicht wären

Österreich

Hallstatt wäre so schön - wenn die Touristen nicht wären

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    Asiaten lieben Hallstatt. Der Ort ist für viele ein Punkt auf ihrer Europa-Tour.
    Asiaten lieben Hallstatt. Der Ort ist für viele ein Punkt auf ihrer Europa-Tour. Foto: dpa

    Vor dem Supermarkt in Hallstatt stehen ein paar junge Leute mit Kapuzen auf dem Kopf, augenscheinlich aus Asien. Hungrig verschlingen sie Sandwiches und Würstchen, dazu österreichische Energy Drinks. Dass es eiskalt ist und regnet, stört sie nicht. Unter lautem Gelächter posieren sie am Ufer des Hallstätter Sees für ein Selfie. „Es ist so schön hier“, sagt ein junger Mann aus Südkorea. „Die hohen Berge bis ans Seeufer sind perfekt für Fotos aus Europa.“

    Hallstatt liegt eine halbe Autostunde entfernt von St. Wolfgang im Salzkammergut. Das Dorf ist bekannt dafür, dass seit tausenden von Jahren hier Salz abgebaut wurde für den Abschnitt der Eisenzeit, der nach ihm benannt ist – die Hallstattzeit. Und für die malerischen Häuser, die sich zwischen dem See und dem steilen Berghang dicht aneinanderdrängen. Und seit ein paar Jahren auch für all die Touristen, die in das 776-Einwohner-Dorf strömen. Mehr als eine Million sind es jedes Jahr, die meisten aus Asien.

    Das liegt daran, dass Hallstadt – ebenso wie Salzburg und Wien – Weltkulturerbe ist. Aber auch an dem chinesischen Immobilienunternehmer, der sich so sehr in Hallstatt verguckt hatte, dass er den Ortskern 2011 einfach in der Provinz Guangdong nachbauen ließ – samt Wirtshaus und Blumenkästen, nur leider seitenverkehrt. Und dann ist da noch die südkoreanische Fernsehserie, deren herzergreifendste Szenen am Hallstätter See spielen. In Südkorea gibt es inzwischen Wettbewerbe für Fotos aus Hallstatt.

    Hallstatt ist ein Paradebeispiel für Touristenmassen, die Orte überrollen, und für die Konflikte, die das mit sich bringt. Längst haben Experten einen Begriff für dieses Phänomen geprägt: Overtourism, Übertourismus. Das kennt man aus Venedig, Dubrovnik und Amsterdam – aus Städten, durch die sich Wochenende für Wochenende Besucherströme schieben. Aber auch im ländlichen Bayern kann der Tourismusboom zum Problem werden, mahnt Tourismusforscher Alfred Bauer von der Hochschule Kempten. Das gilt für Schloss Neuschwanstein, das Walchensee-Gebiet oder auch das südliche Oberallgäu, das an manchen Tagen regelrecht im Verkehr ersticke.

    Die Chinesen kaufen Salz oder Hallstätter Luft in Dosen

    Hallstatt wirkt an diesem Märztag noch ein bisschen malerischer. Eine dünne Schneeschicht liegt auf den Dächern, fast wirkt es wie Puderzucker. Jinjin, 37, sitzt im „Weißen Lamm“ und klickt sich durch die Bilder auf ihrem Handy. Die Reiseleiterin hat ein paar Minuten Zeit, ihre Teilnehmer kaufen Salz und Hallstätter Luft, die hier in Dosen angeboten wird. „Ich war schon sehr oft hier“, erzählt die Chinesin freundlich. „Im Sommer ist es schöner.“ Dieses Mal ist sie mit einer Gruppe aus Peking unterwegs. Vier Länder in elf Tagen. Am Morgen sind sie in Krumau in Tschechien in den Bus gestiegen. Eineinhalb Stunden Hallstatt, danach geht es weiter nach Salzburg und am nächsten Tag nach Neuschwanstein. „Neuschwanstein mögen wir ganz besonders. Deutschland ist sehr schön“, lobt Jinjin. Sie ist der Meinung, dass sich Hallstatt, seit sie es kennt, kein bisschen verändert hat.

    Das sieht Alexander Scheutz ganz anders. In seinem Büro im Gemeindeamt türmen sich Akten und Plakate. Die Statistik, die er braucht, hat der Bürgermeister aber schnell zur Hand. Sie zeigt, dass sich die Zahl der Besucher in den letzten vier Jahren mehr als verdoppelt hat – und vor allem die der Busse. 2014 kamen 7917 Busse nach Hallstatt, 2018 bereits 19.344, dazu 194.613 Autos. Scheutz sagt: „Das ist nicht mehr vertretbar.“

    Denn die vielen Touristen stören die Bevölkerung. Und die Drohnen, mit denen viele fotografieren und filmen. Scheutz hat Schilder aufstellen lassen, die Drohnen verbieten – auf Englisch und Chinesisch. Eine Art Hausordnung, sagt er. Doch das reicht nicht. Viele der Hallstätter sind nicht mehr bereit, wie in einem Museum zu leben.

    Friedrich Idam ist einer von ihnen. Früher war er Holzbildhauer, dann Totengräber, heute ist selbstständiger Bauforscher, Denkmalschützer und Sprecher der oppositionellen Bürgerliste im Gemeinderat. „Wir werden genauso besichtigt wie der Ort“, klagt der 56-Jährige. Im Sommer könne man nicht auf dem Balkon frühstücken. Im Wirtshaus finde man keinen Platz, weil die Tische für Touristen gebraucht würden. Und wenn, dann eben zu völlig überteuerten Preisen. Den Cappuccino verkaufen manche Gastwirte auch im Winter für 5,50 Euro. Souvenirs gibt es an jeder Ecke. Wer aber etwas aus dem Baumarkt braucht, müsse dafür 15 Kilometer nach Bad Goisern fahren.

    Scheutz ist in Hallstatt geboren, wo die SPÖ seit Jahrzehnten den ehrenamtlichen Bürgermeister stellt. Er arbeitet als Internatsleiter einer Technischen Hochschule. „Früher waren die Schüler das Problem, wenn sie Alkohol tranken und Lärm machten. Heute sind es die Touristen“, sagt er.

    Allein mit den öffentlichen Toiletten nimmt Hallstatt 150.000 Euro ein

    2001 noch galt Hallstatt als ein sterbender Ort. Die Menschen zogen weg, nachdem das Salzbergwerk und die Österreichische Bundesforste viel Personal abgebaut hatten. Heute steigt die Einwohnerzahl sogar leicht, der Gemeinde geht es finanziell gut, sagt der Bürgermeister. Allein durch die Gebühren für die öffentlichen Toiletten erwirtschaftet Hallstatt 150.000 Euro im Jahr – mehr als die Grundsteuer. Man kann Sozialwohnungen bauen und Kindergartenplätze zur Verfügung stellen. Doch glücklich, sagt Scheutz, seien die Einheimischen nicht.

    Scheutz hat erkannt, dass es neue Mittel braucht, um den Touristenmassen Herr zu werden. Er hat einen Mediator engagiert, hat Schifffahrtsunternehmer, Gastwirte und Souvenirhändler, Verkehrsplaner und Tourismusexperten an einen Tisch gebracht. Danach hat der Gemeinderat entschieden: Hallstatt wird die Zahl der Busse begrenzen. Nur Veranstalter, die sich vorher anmelden und einen sogenannten Slot – also ein Zeitfenster – für das Busterminal kaufen, sollen ihre Reisegruppen nach Hallstatt bringen dürfen. Passagiere nicht angemeldeter Busse dürfen nicht aussteigen. Und wer nach Hallstatt kommen will, muss dort mindestens 150 Minuten bleiben.

    Friedrich Idam, der Gemeinderat und Denkmalschützer, hat trotzdem Bedenken. „Die Frage wird dann sein, welches Busunternehmen wie viele Slots bekommt.“ Er vermutet, dass die Salinengesellschaft bevorzugt wird. Sie betreibt neben einem letzten Rest Salzabbau auch die „Salzwelten“, eine Art Disneyland mit Schaubergwerk, Seilbahn, Museen und Riesenrutsche. Sie werde durchsetzen, dass Reiseunternehmen Busslots bekommen, die ihre Leute auf den Salzberg bringen, ist Idam überzeugt.

    Der Denkmalschützer weiß aber auch, dass das Problem mit den Touristenmassen anderswo in Österreich noch schlimmer ist. Schließlich ist Idam für Icomos tätig, eine Organisation, die das Unesco-Weltkulturerbe schützen soll. Er ist Beauftragter für die historische Altstadt Salzburgs.

    Schon schön: Unten der Hallstätter See, dahinter die Berge, dazwischen Hallstatt.
    Schon schön: Unten der Hallstätter See, dahinter die Berge, dazwischen Hallstatt. Foto: Gemeinde Hallstatt

    Neun Millionen Tagestouristen strömen jährlich in die Mozartstadt. Busse spucken jeden Tag tausende Gäste aus, die oft nur zwei bis drei Stunden in der Innenstadt bleiben. Sogar die, die Flusskreuzfahrten auf der Donau machen, werden hierher kutschiert. Deshalb hat Salzburg im letzten Jahr ein Slotsystem für Busse eingeführt – so, wie es auch Hallstadt plant.

    In sechs Monaten wurden 52.900 Slots für Busse vergeben. Der Grünen-Politikerin Martina Berthold ist das nicht genug. Sie fordert, dass wenigstens die Busterminals nach außen verlagert werden. „Die Bewohner der Innenstadt müssen diese auch als Lebensraum nutzen können.“ Wenn Airbnb-Touristen mit Koffern und Handys die Straßen verstopften und die Einheimischen kaum durchkommen, mache das viele wütend. Salzburger Hoteliers fordern, auf finanzstärkere Gäste zu setzen. Berthold sagt, besser wären Rabatte für Reiseunternehmen, deren Gäste länger bleiben.

    In Schloss Schönbrunn sollen die Besucher per App sehen, wo gerade wie viel los ist

    In Salzburg hat man es lange versäumt, die Touristenströme zu lenken. In Wien dagegen, das zehn Mal so viele Einwohner zählt und 16,5 Millionen Übernachtungen im Jahr, versuchen das Stadt und Tourismus-Verband und die einzelnen Unternehmen. Schloss Schönbrunn ist nicht nur ein Muss für Urlauber aus Asien, sondern auch die beliebteste Sehenswürdigkeit in Österreichs Hauptstadt. 2,8 Millionen Touristen kommen im Jahr, an Spitzentagen sind es um die 10.000. „Um die historische Bausubstanz zu schonen, müssen wir dafür sorgen, dass sich die Besucher verteilen und bei den Touren keine Flaschenhälse entstehen“, sagt Petra Reiner, Sprecherin der Schloss Schönbrunn Betriebsgesellschaft. Und dafür setzt man auf Digitalisierung.

    Das Austrian Institute for Technology hat im Auftrag der Betriebsgesellschaft simuliert, wie sich die Touristengruppen im Schloss bewegen und ein „Besucherstrom-Management“ entwickelt. Bei der Buchung werden Zeiten und Tourdauer für die Gruppen jetzt so aufeinander abgestimmt, dass sich die Gäste nicht gegenseitig auf die Füße treten. Zudem wird auf der anderen Seite des Schlosses ein „Arrival Center“, eine Art Willkommenszentrum für Gruppen, gebaut werden.

    Wer ohne Reisegruppe unterwegs ist, kann sich im Vorfeld online ein Ticket für eine bestimmte Zeit kaufen und braucht nicht zu warten. In diesem Jahr soll zudem eine App verfügbar sein, mit der die Touristen sich darüber informieren können, in welchem Teil des Schlosses und der dazugehörigen Gärten und Cafés es gerade Platz gibt und wie lang die Wartezeiten wo sind. „Die Planung des Aufenthaltes und die digitale Vernetzung soll die Kundenzufriedenheit erhöhen“, sagt Reiner. Smart-Schönbrunn ist die Devise der Zukunft.

    In Hallstatt werden die Bewohner in diesem Jahr dagegen noch einmal die Zähne zusammenbeißen müssen. Die Zeitfenster für Reisebusse sollen erst 2020 eingeführt werden. Und ob der Plan aufgeht und dadurch wirklich ein Drittel weniger Touristen in das Bergdorf kommen, ist schwer zu sagen.

    Friedrich Idam, der Denkmalschützer und Gemeinderat, sagt, die Einheimischen haben ein Recht auf normales Leben. „Wenn hier ein Begräbnis stattfindet, wird es von tausenden Menschen gefilmt. Wenn die Kapelle den Trauermarsch beendet, wird applaudiert. Auf dem Friedhof posieren die Touristen für Fotos. Es gibt keinen Raum für die Trauer der Bewohner mehr“, schildert er. Deshalb müsse der Zugang radikal beschränkt werden. So wie in der Inka-Stadt Machu Picchu. Oder in Venedig, wo Besucher ab Mai Eintritt zahlen müssen. Davon hält Bürgermeister Scheutz aber nichts: „Wie soll das gehen? Dann bräuchte man ja Drehkreuze“, sagt er. „Und die Einheimischen fühlen sich wie im Gefängnis.“

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