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Nurettin B.: Ihr Mann schleifte sie mit dem Auto hinter sich her, doch sie überlebte

Nurettin B.

Ihr Mann schleifte sie mit dem Auto hinter sich her, doch sie überlebte

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    Ihr Ex-Mann wollte sie umbringen, doch Kader K. hat überlebt. Jetzt hat sie ihre Geschichte erzählt. Daraus ist „Novemberwut“ entstanden.
    Ihr Ex-Mann wollte sie umbringen, doch Kader K. hat überlebt. Jetzt hat sie ihre Geschichte erzählt. Daraus ist „Novemberwut“ entstanden. Foto: Ulrich Behmann, dpa

    Es gibt diesen einen Traum, der Kader K. immer wieder heimsucht. Diese eine Szene, in der Nurettin B. sie verfolgt. Meistens hat er ein Messer in der Hand, manchmal eine Axt. Sie versucht wegzurennen, will vor ihrem Peiniger fliehen. Irgendwann in diesem Traum fällt sie ins Bodenlose. Dann wacht sie auf – nassgeschwitzt, ihr Herz rast und die Kopfschmerzen drohen unerträglich zu werden.

    Das sind die schlimmen Momente. Die, in denen Kader K. alles zu viel wird – die Erinnerungen an das, was war, und die Sorge vor dem, was kommen wird. In anderen Momenten aber wirkt die 29-Jährige unglaublich stark. „Wenn Sie ihr auf der Straße begegnen, dann würden Sie eine fröhliche, junge Frau sehen“, sagt Ulrich Behmann. „Sie kann lächeln, sie strahlt Zuversicht aus. Sie sagt, dass sie keine Angst hat.“ Behmann kennt die junge Frau gut. Der Journalist der Deister- und Weserzeitung in Hameln hat die 29-Jährige in den vergangenen Monaten begleitet, hat sich ihre Geschichte angehört und auf Basis seiner Recherchen den Krimi „Novemberwut“ verfasst. Es ist eine Geschichte, die von enttäuschter Liebe, blankem Hass und unvorstellbarer Grausamkeit handelt. Die Geschichte eines Verbrechens, das wirklich so passiert ist. Und nur deshalb als Roman erzählt wird, weil, wie Behmann sagt, ein Sachbuch langweiliger und dem Fall weniger gerecht geworden wäre.

    Es ist der 20. November 2016, Totensonntag, kurz vor sechs Uhr abends. Kader K. wartet in der Südstadt von Hameln (Niedersachsen) auf ihren Ex-Mann. Sie selbst wohnt ein paar Straßen entfernt. Nurettin B. soll nicht wissen wo, wenn er an diesem Abend den gemeinsamen Sohn zurückbringt. Nicht nach all den Beschimpfungen und Beleidigungen, nicht nach den Streitereien. Nurettin B. weigerte sich, Unterhalt zu zahlen, zuletzt hat sie ihm deswegen einen Teil seines Gehalts pfänden lassen. „Sollte ich noch weitere Briefe wegen der Unterhaltspfändung bekommen, wird einer von uns bald nicht mehr leben“, hat er ihr deswegen gedroht.

    Es ist der Abend, an dem Nurettin B., der wie seine Ex-Frau kurdische Wurzeln hat, seine Drohung wahr machen will. Er steigt aus dem Auto aus, beschimpft sie, schlägt ihr mit der Faust ins Gesicht, bis sie zu Boden geht. Er zieht ein Fleischmesser aus der Jackentasche, sticht immer wieder auf die Mutter seines Sohnes ein. Dann holt er eine Spalt-Axt vom Rücksitz seines Autos, drischt mit der stumpfen Seite immer wieder auf sein Opfer ein, auf den Kopf, den Oberkörper, zertrümmert ihm schließlich den Schädel.

    Er legt ihr ein Seil um den Hals, macht es am Auto fest und fährt los

    Oben öffnet eine Frau das Fenster, schreit, er solle aufhören. Sie rufe jetzt die Polizei. Doch Nurettin B. hört nicht auf. Er nimmt ein dickes Seil, das er zu einem Galgenknoten gebunden hat, legt es seiner Ex-Frau um den Hals und zieht zu. Das andere Ende macht er an der Anhängerkupplung seines VW Passat fest, startet den Motor und gibt Vollgas. Cudi, der in ein paar Wochen drei Jahre alt wird, ist auf der Rücksitzbank. Seine Mutter ist bei Bewusstsein, als sie über die Straßen von Hameln gezogen wird, zuerst über Asphalt, dann über Kopfsteinpflaster. Nach 208 Metern, in einer Kurve, löst sich das Seil von der Anhängerkupplung. Die Frau prallt gegen eine Bordsteinkante.

    Vor der ersten Notoperation muss Kader K. zweimal wiederbelebt werden. Ihre Lunge ist getroffen, die Milz ebenfalls, in ihrem Herzbeutel klafft ein Loch. Die Schädeldecke ist zertrümmert. Die Ärzte diagnostizieren ein Schädel-Hirn-Trauma dritten Grades. Zweimal ist das Opfer klinisch tot. Jeder der drei Mordangriffe, sind sich die Mediziner einig, hätte Kader K. umbringen können. Dass sie es trotzdem überlebt hat, mag man als Wunder bezeichnen. Die gläubige Muslima formuliert es heute so: „Der liebe Gott hat mir das Leben gerettet.“

    Durch diese Straße hat Nurettin B. seine Ex-Frau mit dem Auto geschleift.
    Durch diese Straße hat Nurettin B. seine Ex-Frau mit dem Auto geschleift. Foto: Polizei Hameln-Pyrmont/Polizeiinspektion Hameln-Pyrmont/Holzminden, dpa

    An das, was an jenem Tag passiert ist, kann sich die 29-Jährige nicht erinnern. Ob sie versucht hat, das Seil von ihrem Hals wegzuzerren, ob sie geschrien hat, all das ist aus ihrem Gedächtnis gelöscht. Mediziner sagen, ein Schutzmechanismus. Gut möglich, dass sie es auch anders nicht ertragen könnte. „Ich würde meinen Kopf gegen die Wand schlagen, um die Erinnerungen zu zerstören“, hat sie vor ein paar Tagen der Welt am Sonntag gesagt.

    Es ist eines der wenigen Interviews, das Kader K. seit dem Unfall gegeben hat. Auf dem Foto dazu trägt sie eine Strickmütze mit langen Ohrenklappen, wie eigentlich immer. Es geht nicht darum, ihre Locken zu verbergen, sie will einfach ihre Narben am Kopf verstecken. Die meisten Medienanfragen lehnt sie ab. Im Fall von Ulrich Behmann war das anders. Vielleicht, weil der Chefreporter der Deister- und Weserzeitung ihre Geschichte von Anfang an begleitet hat. Weil er vor Ort ist, kurz nachdem die Polizei an jenem Abend ihren Körper auf dem Bürgersteig findet. Monate später, als sie sich beim Prozess gegen Nurettin B. wiedertreffen, bittet sie den Journalisten, ihre Geschichte aufzuschreiben – ihr Leben vor der Tat und ihren Kampf zurück ins Leben.

    Nach einer Woche erwacht Kader K. aus dem Koma. In den Monaten in der Klinik muss sie vieles neu lernen. Es dauert lang, bis sie wieder sprechen kann. Aber sie will reden, auch wenn es ihr anfangs schwerfällt, auch wenn es ihr oft nicht gut geht. „Ich habe Schmerzen. Mein Rücken, mein Nacken, meine Schulter, mein Kopf tun weh. Mir wird dauernd schwindlig“, sagt sie. An vielen Tagen kann sie sich kaum konzentrieren, sie ist schnell erschöpft. Manchmal hat sie Schwierigkeiten, die richtigen Worte zu finden – Folgen ihrer schweren Schädel-Hirn-Verletzung. Und sie leidet unter starken Stimmungsschwankungen. Trotzdem sagt sie: „Es tat mir gut, dass ich für das Buch alles erzählen konnte. Es war für mich eine Art Therapie.“ Genauso wichtig ist es ihr aber, etwas zu bewegen: „Ich will damit auch andere Frauen ermutigen, sich nicht mehr unterdrücken zu lassen, sich nicht mehr alles gefallen zu lassen von Männern, die gewalttätig und egoistisch sind.“

    Er nimmt ihr das Handy weg, den Schmuck, er macht ihr das Leben zur Hölle

    Die große Liebe ist es nicht, als sie den zehn Jahre älteren Mann 2013 heiratet. Die Ehe wird nach islamischem Ritus geschlossen, ohne Standesamt. Dass sie arrangiert ist, stört sie nicht. Schon, weil ihre Familie nichts an ihrem Bräutigam auszusetzen hat. Auch nicht, dass Nurettin B., der in einer Möbelfirma arbeitet, gerade erst von seiner ersten Frau verlassen wurde. Kader K., die mit zwölf Jahren nach Deutschland geflüchtet ist, sich später als Küchenhilfe durchgeschlagen hat, will nicht mehr bei ihrem Bruder und der Schwägerin leben. „Die Liebe kommt mit der Zeit“, denkt sie sich.

    Doch es kommt anders. Nurettin B. nimmt seiner Frau das Handy weg, genauso wie den teuren Goldschmuck, die traditionelle Morgengabe ihrer Familie. Er kontrolliert sie, verbietet ihr den Kontakt zu Freunden und Familie. „Er hat mich bedroht, beleidigt, erniedrigt und dauernd angespuckt. Er hat mir das Leben zur Hölle gemacht“, erzählt sie später. Buchautor Behmann sagt: „Er hat sie gehalten wie eine Sklavin.“ Nach 13 Monaten verlässt sie ihren Ehemann, zieht mit dem wenige Monate alten Sohn nach Hameln, in die kleine Wohnung, in der ihre Mutter, ihre Schwester und ihr Bruder leben.

    Zu 14 Jahren Haft hat das Landgericht Hannover Nurettin B. verurteilt.
    Zu 14 Jahren Haft hat das Landgericht Hannover Nurettin B. verurteilt. Foto: Silas Stein, dpa

    Für Nurettin B. muss die Trennung eine Provokation gewesen sein. Genauso wie die Tatsache, dass Frauen ihm das Leben schwermachen: die Familienrichterin, die die Unterhaltszahlung festlegt, die Anwältin, die die Unterhaltspfändung veranlasst, die Personalchefin, die ihm erklärt, was noch von seinem Gehalt übrig bleibt. „In Deutschland haben Frauen zu viele Rechte. Sie werden behandelt wie heilige Kühe“, soll der Mann, der mit seiner Familie in den 80er Jahren aus Kurdistan geflüchtet war, getobt haben. Doch Nurettin B. gilt als einer, der sich gut integriert hat – ein fleißiger Polsterer, dem der Arbeitgeber nach Abschluss der Lehre eine Übernahmegarantie gab, einer, der sich um den Fußballnachwuchs im Verein kümmert.

    Vor Gericht zeichnet Gutachter Michael von der Haar ein anderes Bild. Der offenbar zutiefst gekränkte Mann habe seiner Ex-Frau in aller Öffentlichkeit zeigen wollen, „wo es langgeht“. Es hätten sich an diesem Novemberabend lange unterdrückte Wut und Hass auf die Ex-Partnerin entladen, analysiert er. Einen Auslöser sehe er darin, dass der Lohn des Mannes gepfändet werden sollte. Dazu passt auch der Zettel, den die Polizei in Nurettin B.s Auto gefunden hat. Darauf schrieb der 39-Jährige vor dem Mordversuch: „Jetzt wird sie von mir gepfändet.“

    Das Gericht verurteilt Nurettin B. zu 14 Jahren Haft. Kader K. wollte lebenslang. Doch ihr Ex-Mann hat sich sofort nach der Tat der Polizei gestellt, hat vor Gericht ein Geständnis abgelegt. Kader K. glaubt ihm nicht. Sie ist überzeugt, dass er die Taten nicht bereut. Im Prozess hat er ihr 137000 Euro Schmerzensgeld angeboten, außerdem will er für sämtliche materiellen und immateriellen Zukunftsschäden, die nicht von Dritten übernommen werden, aufkommen. Auch den VW Passat übereignet er ihr – das Auto, mit der er sie durch die Stadt geschleift hat. Nun aber meldet die Deister- und Weserzeitung, Nurettin B. habe ein Wiederaufnahmeverfahren beantragt.

    Sie ist in ihre erste eigene Wohnung gezogen, mit ihrem Sohn

    Für Kader K. dürfte diese Nachricht ein weiterer Rückschlag sein, aber vielleicht keine Überraschung. Unterhalt zahlt ihr Ex-Mann noch immer nicht, auch der vor Gericht erstrittene Täter-Opfer-Ausgleich ist nicht erfolgt. Die 29-Jährige kann aufgrund ihrer schweren Verletzungen nicht arbeiten, die Erwerbsunfähigkeitsrente ist noch nicht durch. Derzeit ist sie auf die Hilfe ihrer Familie angewiesen und auf Spenden. Die Hilfsorganisation Interhelp, deren Vorsitzender Buchautor Behmann ist, unterstützt sie. Auch der Erlös aus „Novemberwut“ geht an sie.

    Derzeit richtet sich die 29-Jährige eine Wohnung für sich und den Sohn ein, die Möbel sind gespendet. Es ist ein kleiner Lichtblick. Und doch sind da große Sorgen. Erst im letzten Jahr kam ihr Vater nach Deutschland, als es ihr so schlecht ging. Nun wurde sein Asylantrag abgelehnt. Sie fürchtet, dass er abgeschoben wird, dass es ihrer Mutter ebenso ergehen könnte.

    Am Montag, genau ein Jahr nach dem Mordversuch, wird Kader K. wieder im Krankenhaus sein – eine dreiwöchige Therapie in einer Traumaklinik. Sie leidet an einer schweren posttraumatischen Belastungsstörung. Auch ihr Sohn, der mittlerweile vier ist, ist in psychiatrischer Behandlung. „Körperlich geht es ihm gut“, sagt die Mutter, „aber psychisch nicht. Er leidet.“ „Mama aua“, soll Cudi gesagt haben, an jenem Tag, an dem sein Vater seine Mutter durch Hameln schleifte. mit dpa

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