Der Betreiber der leckgeschlagenen Förderplattform in der Nordsee hat offensichtlich die undichte Stelle lokalisiert. "Wir glauben, wir wissen wo es ist", sagte der Sicherheitschef für Großbritannien des französischen Total-Konzerns, David Hainsworth, am Mittwoch in der BBC.
Demnach befindet sich das Leck an einer vor einem Jahr stillgelegten Gasquelle, die 5500 Meter unter den Meeresboden reicht. Die undichte Stelle befinde sich in etwa 4000 Metern Tiefe unter dem Meeresboden.
Schlamm in das Bohrloch pressen
Nach Angaben von Hainsworth will das Unternehmen nun zwei Optionen zur Schließung des Lecks vorantreiben - neben einer Monate dauernden Entlastungsbohrung auch einen so genannten "Kill". Dabei wird Schlamm von oben in das Bohrloch gepresst. Diese Variante ist schneller, gilt aber auch als risikoreicher. Es werde noch einige Tage dauern, bis alle Informationen gesammelt seien und eine Entscheidung getroffen werden könne. Bis dahin sollen beide Optionen vorangetrieben werden.
Kein Mensch, kein Schiff, kein Flugzeug der Plattform nähern. Wer es tut, riskiert mitsamt der ganzen 40.000 Tonnen schweren Bohrinsel in die Luft zu fliegen - ein Funke kann genügen.
Gasleck: Plattform sofort evakuiert
Vier Tage ist es inzwischen her, dass den Arbeitern auf der Förderplattform ein Gasleck aufgefallen ist. Die Betreiberfirma machte das einzig Richtige: Die Plattform wurde sofort heruntergefahren, alle 238 Arbeiter mit Hubschraubern an Land gebracht. Eine menschliche Tragödie wie vor zwei Jahren im Golf von Mexiko, als bei der Explosion der "Deepwater Horizon" elf Arbeiter starben, wurde damit verhindert.
Für die britische Regierung war das Anlass für Lob. "Wir haben die besten Notfallpläne der Welt", sagte Energiestaatssekretär Charles Hendry. Schatzkanzler George Osborne hatte erst in seinem kürzlich vorgestellten Haushalt noch milliardenschwere Steuererleichterungen für die Öl- und Gasindustrie verkündet. Die Branche ist als Steuerquelle für die britische Volkswirtschaft überlebenswichtig.
Der Notfallplan von Total
Die schwersten Ölkatastrophen
26. März 1967: Vor der südenglischen Küste ereignet sich das erste große Ölunglück. Dort verunglückt der Tanker "Torrey Canyon". Er verliert 117.000 Tonnen Öl. Weite Teile der englischen und französischen Küste sind von der Katastrophe betroffen. Zahllose Seevögel verenden grausam.
12. März 1976: Der spanische Öltanker "Urquiola" verliert ungefähr 95.000 Tonnen seiner todbringenden Fracht. Aufgrund mehrerer Explosionen an Bord gerät das Schiff außer Kontrolle. Es kollidiert mit einem Felsen vor der spanischen Atlantikküste.
16. März 1978: Ein verheerender Unfall hat sich vor der bretonischen Küste zugetragen. Auf der "Amoco Cadiz" waren die Ruder ausgefallen. Der dadurch manövrierunfähig gewordene Öltanker rammte einen Felsen und verlor 223.000 Tonnen Rohöl. Die zum Teil noch unberührte Küste wurde nachhaltig geschädigt. In Europa hat es bisllang keine folgenschwerere Ölpest gegeben.
3. Juni 1979: Mehr als zehn Monate lang versuchte man im Golf von Mexiko mit allen Kräften das Bohrloch zu schließen, welches die havarierte mexikanische Bohrinsel Ixtoc I. hinterlassen hatte. Unfassbare 1.400.000 Tonnen Rohöl konnten ungehindert ins Meer fließen. Ein Desaster für Wirtschaft und Ökosysteme.
19. Juli 1979: Auf offener See vor Tobago kollidieren zwei Öltanker, die in einen tropischen Sturm geraten waren. Aus der "Atlantic Empress" strömen 287.000 Tonnen Öl ins Meer. 29 Seemänner verlieren dabei ihr Leben.
23. März 1989: Ein weiterer folgenreicher Ölunfall ereignet sich vor der Küste Alaskas. Die Exxon Valdez auf ein Korallenriff aufläuft. 42.000 Tonnen Rohöl treten aus und verseuchen mehr als 2000 Kolometer des Küstenstreifens. Zahllose Seevögel, Fische, Otter und Wale finden ein qualvolles Ende. Noch heute sind die Folgen sichtbar. Der Unglückstanker ist nach wie vor in Betrieb, lediglich der Name wurde geändert.
11. April 1991: Vor Italien sinkt der Öltanker "Haven" infolge einer Explosion. Sechs Menschen verlieren ihr Leben und rund 50.000 Tonnen Rohöl fließen ins Mittelmeer. --- 1991: Im selben Jahr ereignet sich ein gigantisches Öl-Inferno infolge des Golfkrieges. Irakische Truppen entzündeten kuwaitische Ölfelder, bombardierten einige Lagerstätten und zerstörten mehrere Tanks. Enorme Öl-Mengen gelangen unkontrolliert in den Persischen Golf und verheeren die Küste.
Oktober 1994: Aus einer maroden Pipeline strömen viele Tonnen Öl in die russische Taiga. Dieser Zustand wurde viele Jahre lang ignoriert.
15. Februar 1996: Vor Wales kollidiert die "Sea Empress" mit einem Felsen. 72.000 Tonnen Rohöl laufen aus dem verunglückten Tanker ins Meer.
25. Oktober 1998: Der Holzfrachter "Pallas" läuft vor Amrum auf Grund. Aus dem brennenden Schiff entweichen viele Liter Schweröl. Das Öl verursacht schwere Schäden im Wattenmeer. Zahlreiche Fische und Vögel verenden jämmerlich.
12. Dezember 1999: Mehrere hundert Kilometer vor der bretonischen Küste gerät die "Erika" in Seenot und bricht entzwei. Viele Tausend Tonnen Rohöl gelangen ins Meer und verseuchen die Küste. Die ökologischen Konsequenzen sind fatal.
19. November 2002: Ein paar Jahre später ereilt den 240 Meter langen Öltanker "Prestige" dasselbe Schicksal. Das Schiff verunglückt vor Galizien. 64.000 Tonnen Schweröl verpesten weite Teile der französischen und spanischen Küste. Wie die "Erika" hatte auch die "Prestige" schon einige Jahre auf dem Buckel. Bis heute wurde das Wrack nicht geborgen.
Oktober 2009: Ein tragisches Unglück ereignet sich auf einer australischen Bohrinsel in der Timorsee. Zehn Wochen lang gelingt es nicht, die undichte Stelle zu schließen. Über zwei Millionen Tonnen Öl können ungehindert ins Meer austreten. Die Folgen für das hochsensible Ökosystem sind katastrophal. Die Region gehört zur Zugroute von Wasserschildkröten und Delphinen.
21. April 2010: Eine der fatalsten Ölkatastrophen ereignete sich 2010 auf der Ölplattform "Deepwater Horizon" im Golf von Mexiko. Elf Menschen kamen dabei ums Leben. Als die Bohrinsel infolge eines Feuers havarierte, gelangten innerhalb von drei Monaten eine Millionen Tonnen Rohöl ins Meer. Besonders schlimm hat es das Naturreservat Mississippi-Delta getroffen. Dort werden sich die verheerenden Folgen noch lange abzeichnen.
Die Betreiberfirma, der französische Energiekonzern Total, zündete dann Stufe zwei ihres Notfallplans für den Fall eines Gaslecks: die Einrichtung einer Sperrzone. Danach begann der schwierige Teil der Operation: Das Leck muss nun geschlossen werden. Und dabei zeigten sich die Franzosen anfangs total ratlos. Erst am Tag vier der Havarie wurde allmählich klar, wo das Gas ausströmt.
Die Informationen von Total fließen nur spärlich. Darüber ist die schottische Regionalregierung verärgert: "Maximale Transparenz" forderte Energieminister Richard Lochhead.
Nicht einmal auf die genaue Art und Zusammensetzung des ausströmenden Gases will sich Total festlegen lassen. Es handele sich um eine Kohlenwasserstoffverbindung. Dass da auch giftige Schwefelverbindungen enthalten sind, dementiert Total heftig.
"Das können wir ausschließen", sagte eine Sprecherin. Umweltschützer wie der deutsche WWF-Funktionär Peter Lutter sind sich dagegen sicher. Über die Frage, was das zu bedeuten hat, gehen die Meinungen weit auseinander. Während die Umweltschützer von "Todeszonen" im Meer reden, geht Total davon aus, dass sich das Gas schnell verflüchtigt und keine nennenswerten Umweltschäden anrichten wird.
Einen Anhaltspunkt in diesem spekulativen Umfeld geben möglicherweise diejenigen, die sich mit Spekulation auskennen. Schließlich sackte die Total-Aktie schon am Dienstag um sechs Prozent in den Keller, als die Nachrichten aus Schottland um die Welt gingen. Doch die Ratingagentur Fitch rät zur Ruhe: "Das Potenzial, dass dies eskaliert und die Ausmaße der Deepwater Horizon erreicht, ist aus unserer Sicht gering", erklärte Fitch am Mittwoch in London. dpa/AZ