Die Bewohner San Borondóns, ein Wohnviertel an der Küste der Kanareninsel La Palma, leben im Ausnahmezustand. Seit sich der Lavastrom ein paar Kilometer südlich in den Atlantik ergießt, dürfen sie ihre Häuser nicht mehr verlassen. „Bitte dichten Sie Fenster und Türen ab. Legen Sie Lebensmittelvorräte an. Gehen Sie nicht raus“, lauten die Anweisungen der Behörden. Diese befürchten, dass sich durch den Eintritt der glühend heißen Lava in den kühlen Atlantik giftige Dämpfe bilden und es zu Explosionen kommt. Im Umkreis von mehreren Kilometern errichteten sie eine Sperrzone.
Der Vulkan Cumbre Vieja begräbt die Urlaubsinsel La Palma unter sich
In der Nacht zum Mittwoch hatten die Lavamassen, die seit Tagen aus dem Vulkan im Gebirgszug Cumbre Vieja austreten und hunderte Häuser unter sich begruben, die Küste erreicht. Auch das „Wunderhaus“ in El Paraíso, das einem Rentnerpaar aus Dänemark gehörte, gibt es inzwischen nicht mehr. Es war weltbekannt geworden, weil es inmitten einer glühend heißen Lavawüste lange unbeschadet blieb. Seit Mitternacht stürzt die Lava nun über einen Steilhang ins Meer. Es war eine Rauchwolke zu sehen.
„Durch den thermischen Schock zwischen der Lava und dem Meer entsteht Wasserdampf“, erklärte die spanische Geologin Rosa Mateos und warnte: Die Wasserdampfwolken könnten ätzende Säuren enthalten. Am Mittwoch zumindest half der Wind, die Wolken aufs Meer hinauszutreiben. Mit dieser Information gelang es den Behörden auch, die 84.000 Inselbewohner und tausende Urlauber, die sich immer noch auf La Palma aufhalten, einigermaßen zu beruhigen. „Die Messgeräte haben auf der Insel zunächst keine Schadstoffwerte gemessen, die über den Grenzwerten liegen“, hieß es. Das kann sich aber schnell ändern. Am Nachmittag wurde die Sicherheitszone daher auf den gesamten Küstenort Tazacorte mit seinen 4600 Bewohnern ausgedehnt.
Die Lavawalze hinterlässt nicht nur an Land eine Schneise der Verwüstung, sondern auch im Meer. Zwar können Fische oder Delfine fliehen. Doch, so sagte es der Vulkanforscher José Magas in der Zeitung El País: „Das ganze Leben auf dem Meeresboden stirbt.“ Er verglich die Zerstörungskraft der Lava mit der einer Bombe. Allerdings, ergänzte er, wisse man, dass sich das Leben im Atlantik in ein paar Jahren auch wieder erholen könne. Das habe man beim Ausbruch eines Unterwasservulkans vor zehn Jahren bei La Palmas Nachbarinsel El Hierro beobachtet.
Bildet sich nach dem Vulkanausbruch eine neue Insel vor La Palma?
Nach Angaben des spanischen Meeresinstituts werden sich die vor La Palma im Wasser erkaltenden Lavamassen zu einer neuen Landplattform auftürmen. Die Forscher des Instituts verfolgen die Entwicklung von einem Schiff aus. Eine Plattform sei am Mittwochnachmittag bereits auf 500 Meter Breite angewachsen. Ähnliches geschah bei früheren Vulkanausbrüchen. Etwa 1949 bei dem des San Juan im Cumbre-Vieja-Gebirge. Sein Krater lag nicht weit von jenen Lavaschloten entfernt, die sich jetzt am 19. September öffneten. Nach 47 Tagen Eruption sorgte der Lavafluss des San Juan damals dafür, dass La Palma rund 1,5 Quadratkilometer an Land hinzugewann. Territorium, auf dessen fruchtbarer Vulkanerde später Bananen- und Avocado-Plantagen entstanden.
Neben der Lava und möglichen Giftwolken bereitet der nicht enden wollende Ascheregen zunehmend Sorgen. Weil der Flugverkehr weitgehend zum Stillstand gekommen ist, hängen Urlauber fest. Die einzige Verkehrsverbindung mit der Außenwelt ist derzeit das Schiff. Im Fährhafen in der Inselhauptstadt Santa Cruz de La Palma bildeten sich lange Schlangen von Reisenden, die versuchten, mit der Fähre nach Teneriffa zu gelangen.