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Nacktheit: Wird das Fernsehen prüder?

Nacktheit

Wird das Fernsehen prüder?

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    Ende der 60er Jahre sorgte Uschi Glas (rechts, während der Dreharbeiten) für Aufsehen. Unter anderem, weil sie sich als Barbara in einer Polizeistation auszog.
    Ende der 60er Jahre sorgte Uschi Glas (rechts, während der Dreharbeiten) für Aufsehen. Unter anderem, weil sie sich als Barbara in einer Polizeistation auszog. Foto: Brix, dpa

    Die Werbung weiß das schon lange: Nackte Haut erhöht die Aufmerksamkeit. Deshalb hatte auch „mindestens die Hälfte der klassischen TV-Skandale mit Sex zu tun“, sagt Medienwissenschaftler Gerd Hallenberger. Die Reihe dieser Skandale ist in Deutschland lang. Man denke nur an die Aufregung um die entblößte Brust von Romy Schneider 1961 in „Die Sendung der Lysistrata“. Für Kopfschütteln und Ablehnung – zunächst einmal bei Filmverantwortlichen – sorgte auch der Kinofilm „Zur Sache, Schätzchen“ von 1968 mit einer recht freizügigen Uschi Glas. Die 1968er-Bewegung formierte sich damals, Millionen Menschen wollten die Komödie schließlich sehen. Erst kürzlich lief sie im BR Fernsehen. Längst ist sie ein „Kultfilm“.

    Bereits in den 1970ern gerieten dann angesichts der nackten Brüste von Ingrid Steeger im Comedyformat „Klimbim“ (1973 bis 1979) nur noch männliche Jugendliche in Wallung. Heute, so stellt Hallenberger fest, „lohnt es sich für das Fernsehen nicht mehr, noch auf diese Weise Aufmerksamkeit zu erregen“. Internetseiten wie YouPorn erfüllten ohnehin alle Wünsche.

    Obwohl nackte Haut omnipräsent zu sein scheint – im Fernsehen wird sie offenbar seltener. Jedenfalls auf den wichtigen Sendeplätzen der großen TV-Sender. Es gab eine Zeit, da wurden Autoren bei Drehbuchbesprechungen aufgefordert, noch eine Sexszene einzubauen. Heute findet der Sex zum Beispiel im Fernsehfilm in der Regel unter der Decke statt. Ursache, glaubt Hallenberger, sei ein neuer Puritanismus: „Sex im Film oder in der Werbung war das Symbol eines den Sinnen und der Welt zugewandten Lebens, in dem Lust und Genuss im Vordergrund standen. Diese Zeiten sind vorbei. Nackte Haut hat für viele Zielgruppen keinen Reizwert mehr oder ruft sogar Ablehnung hervor, und natürlich hat sich auch in den Redaktionen das Bild der Geschlechterrollen geändert.“

    Das bestätigt Joachim von Gottberg. Während Sex früher regelmäßig ein Fall für den Jugendschutz war, kümmert sich die Freiwillige Selbstkontrolle Fernsehen (FSF) der Privatsender ihrem Geschäftsführer von Gottberg zufolge heute um ganz andere Dinge – allen voran „um TV-Formate, die Kinder oder Jugendliche dazu animieren könnten, gefährliche Mutproben nachzuahmen“.

    Joachim von Gottberg erklärt sich die Zurückhaltung beim Thema Nacktheit im Fernsehen unter anderem mit einer gestiegenen Sensibilität: „Wenn bei der FSF ein Prüfausschuss mehrheitlich männlich besetzt ist, haben Sexfilme deutlich schlechtere Karten, weil Männer in einer Art vorauseilendem Gehorsam viel empfindlicher reagieren. Frauen sehen das meist deutlich lockerer.“

    Von einem „neuen Puritanismus“ im Fernsehen wollen dagegen gleich mehrere Fernsehfilm-Chefinnen nichts wissen. Heike Hempel, stellvertretende Programmdirektorin des ZDF, Barbara Buhl, Leiterin der WDR-Programmgruppe Fernsehfilm und Kino, und Barbara Biermann, Leiterin der SWR-Hauptabteilung Film und Doku, bezweifeln übereinstimmend, dass Nacktheit aus dem Fernsehen verschwinde. Besonders deutlich wird Christine Strobl, Geschäftsführerin der unter anderem für die Donnerstags- und Freitagsfilme im Ersten verantwortlichen ARD-Tochter Degeto: „Das ist Nonsens. Nacktheit findet ganz selbstverständlich statt, wenn sie erzählerisch Sinn macht. Nacktheit des Tabubruchs wegen oder aus voyeuristischen Gründen interessiert uns nicht.“

    Heike Hempel widerspricht zudem der Vermutung, Frauen in Schlüsselpositionen hätten maßgeblichen Anteil daran, dass es weniger Nacktheit gebe. Es gehe in den Filmen und Serien immer darum, „wie Körperlichkeit, Sinnlichkeit und Sexualität erzählt werden. Und wie die Haltung der Figuren dazu ist.“ Biermann zählt eine ganze Reihe jüngerer SWR-Produktionen auf, „die ganz offen mit Nacktheit und Sexualität umgehen“, darunter der Stuttgarter RAF-„Tatort“ von Dominik Graf („Der rote Schatten“) oder das Amour-fou-Drama „Sag mir nichts“. Immerhin: Barbara Buhl findet, dass sich „durch ein verändertes Rollenverständnis von Männern und Frauen auch die Darstellung von Sexualität verändert hat. Heute wird anders erzählt als in früheren Fernsehfilmen.“

    Und wie denkt man bei den Privatsendern darüber, die einst mit „Lederhosenfilmen“ („Liebesgrüße aus der Lederhose“) oder Oben-Ohne-Shows wie „Tutti Frutti“ Quote machten? Yvonne Weber, Redaktionsleitung Deutsche Fiction bei ProSiebenSat.1, kann der These vom Rückgang der Nacktheit durchaus folgen, bringt aber noch einen ganz anderen Aspekt ins Spiel: „Die Digitalisierung hat auch bei diesem Thema eine Trendwende eingeleitet“, erklärt sie. „Wir erleben immer häufiger, dass viele Schauspieler Vorbehalte haben, sich nackt zu zeigen, denn inzwischen weiß jedes Kind: einmal im Netz, immer im Netz.“

    Die in Konstanz geborene Schauspielerin Barbara Auer ergänzt: „Es ist nie einfach, nackt zu spielen.“ Nackt zu sein, und das ja immer inmitten angezogener Menschen am Set, erfordere viel Mut. „Trotzdem gehört natürlich auch Nacktheit zu unserem Spiel, wenn sie erforderlich ist.“ Voraussetzung dafür seien jedoch „absolutes Vertrauen und eine eindeutige Verabredung.“

    Dass es immer wieder zu Vertrauensbrüchen kommen kann, erzählen viele Schauspielerinnen hinter vorgehaltener Hand. Sie werfen Regisseuren nicht Machtmissbrauch oder sexuelle Übergriffe vor, wie sie gegenüber Star-Regisseur Dieter Wedel geäußert wurden. Aber sie berichten von Fällen, in denen sich Regisseure nicht an Verabredungen gehalten hätten. Eine Schauspielerin sagt, ihr sei versichert worden, dass die Nacktheit im fertigen Film nur zu erahnen sein werde – „und dann ist doch alles zu sehen gewesen.“ Eine andere stellt fest: „Niemand sagt dir, dass du deiner Karriere schadest, wenn du dich nicht ausziehst, aber das ist auch gar nicht nötig, weil du dir diese Frage selbst stellst.“ Und Hans-Werner Meyer, Vorstandsmitglied im Bundesverband Schauspiel sagt: „Ich hoffe, die Zeiten, in denen ein Regisseur eine Schauspielerin unter Druck setzt, damit sie sich auszieht, sind vorbei.“

    Bleibt die Frage: Hat nun der tatsächliche oder vermeintliche Rückgang der Nacktheit im deutschen Fernsehen mit der „MeToo“-Debatte um (Macht-)Missbrauch zu tun? Die renommierte TV-Kritikerin Klaudia Wick sagt dazu unmissverständlich: „Es gibt einen missbräuchlichen Umgang mit Frauen am Set, weil männliche Regisseure offenbar der Meinung sind, es sei für ihren Film von Vorteil, wenn es auch hinter der Kamera erotisch knistert.“ Es folgt das Aber: „Die Frage, ob die Filme jetzt prüder werden, weil Schauspielerinnen sich gegen diesen Missbrauch wehren, empört mich, denn sie vermischt zwei völlig unterschiedliche Dinge.“ Es gehe schließlich darum, dass sich eine Schauspielerin am Set sicher und selbstbestimmt fühlen könne. „Nackt und angezogen.“

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