Meine letzte persönliche Begegnung mit Sigmund Jähn liegt fünf Jahre zurück. Anlass war das 50. Jubiläum des Kosmonautenzentrums in Chemnitz, in dem ich als Kind viel Zeit verbracht hatte. In dieser Freizeiteinrichtung für Kinder und Jugendliche gibt es Arbeitsgemeinschaften für Astronomie oder Raketenmodellbau. Kinder können einen Kosmonautentest mit mehreren Stationen absolvieren und erleben dann einen simulierten Raumflug. Heute trägt die Einrichtung den Namen Sigmund Jähns – der zur Feier 2014 als Ehrengast gekommen war.
Sigmund Jähn, der erste Deutsche im All, ist am 21. September im Alter von 82 Jahren gestorben. Und Deutschland trauert seit Bekanntwerden der Nachricht am Sonntagabend nicht nur um einen „echten Pionier der Raumfahrt“, wie ihn die Bundesregierung würdigte. Sondern auch um einen, der gleichermaßen in Ost und West zum Vorbild für Generationen wurde.
Sigmund Jähn war der erste Deutsche im All
Warum, das konnte ich im Rahmen einer Gesprächsrunde erleben, damals im Kosmonautenzentrum in Chemnitz. Dort wurde ein Video gezeigt, zwei russische Kosmonauten hatten an Bord der ISS eine Grußbotschaft aufgezeichnet. Etwa 50 Menschen schauten gebannt auf die Leinwand – kaum ein Zuhörer verstand allerdings, was sie sagten. Jähn bemerkte das und übernahm kurzerhand die Rolle des Simultandolmetschers. Eine Episode nur, und doch zeigt sie gut: bodenständig, ehrlich, bescheiden, hilfsbereit – so war Jähn.
Am 26. August 1978 war aus dem bis dahin unbekannten Oberstleutnant der Nationalen Volksarmee eine öffentliche Person geworden. Mit Waleri Bykowski, einem Veteranen der ersten sowjetischen Kosmonautengruppe um Juri Gagarin, startete er an Bord von Sojus 31 zur Raumstation Saljut 6. Nach sieben Tagen, 20 Stunden und 49 Minuten landeten sie mit Sojus 29 wieder auf der Erde. Die beiden Kosmonauten hatten in dieser Zeit ein intensives Forschungsprogramm absolviert.
Sigmund Jähn: Seine Beliebtheit blieb erhalten
Propagandistisch wurde der Kosmonaut als Held präsentiert. „Der erste Deutsche im All – ein Bürger unserer DDR!“ lautete etwa eine Schlagzeile. Und tatsächlich erfüllte es die meisten DDR-Bürger mit Stolz, dass ihr Land nun einen eigenen Raumfahrer hatte. Für uns Kinder, die zur sogenannten Stammbesatzung des Kosmonautenzentrums gehörten, wurde er zum Idol. Wir verfolgten jede Nachricht, die über seine Mission veröffentlicht wurde. Zum Parcours des Kosmonautentests gehörte übrigens ein Drehstuhl. Immer wieder starteten wir das Gerät, um herauszufinden, wer es von uns am besten schafft, nach der Dreherei noch auf einer geraden Linie zu balancieren…
Nach der Forschungsarbeit im All war Jähn bei ungezählten offiziellen Terminen gefordert. Er besuchte Schulen und Kindergärten, war zu Gast in Betrieben und Forschungseinrichtungen. Dabei gewann er endgültig die Sympathie und Anerkennung der Menschen. Denn sie begegneten einem klugen, nachdenklichen und stets freundlichen Mann, der zwar hoch hinaus ins All geflogen, aber nicht abgehoben war.
Jähn beantwortete auch ungewöhnliche Fragen geduldig und erzählte unterhaltsam über das Leben im All und das Training. Stand eine Veranstaltung an, zu der er erwartet wurde, war der Andrang groß. Auch die Verbindung zu seinem Heimatort Morgenröthe-Rautenkranz im sächsischen Vogtland blieb ihm immer eine Herzensangelegenheit. All das begründete seine Beliebtheit, die auch über die Zeit der politischen Wende hinaus erhalten blieb.
Viele Jahre unterstützte Jähn später im russischen Sternenstädtchen bei Moskau vor allem die Esa-Astronauten, die dort für ihre Flüge mit Sojus-Raumschiffen zu den Raumstationen Mir und ISS trainierten. Das Engagement war auf Vermittlung von Ulf Merbold zustande gekommen, der aus Greiz im thüringischen Vogtland stammt. Er flog 1983 als erster nicht amerikanischer Astronaut in einem Space Shuttle mit und war in der alten Bundesrepublik damit deutlich bekannter als der meist zurückhaltend auftretende Jähn.
Bei öffentlichen Auftritten warb Sigmund Jähn für die friedliche bemannte Raumfahrt. Angesprochen auf die Kosten, verwies er darauf, wie hoch die Militäretats seien. Dagegen seien das doch geringe Beträge, die jedoch dem Erhalt des Lebens auf der Erde und dem Wissensgewinn dienten. Und wie praktisch alle Raumfahrer erzählte auch Sigmund Jähn immer wieder von dem Erlebnis, die Schönheit und die Verletzlichkeit der Erde vom Orbit aus zu sehen.
Sigmund Jähns Leben endete nur ein halbes Jahr nach dem seines Kommandanten Waleri Bykowski, der am 27. März im Alter von 84 Jahren starb.