Nicht einmal zwei Jahre nach einer spektakulären Flucht hat ein Berliner Häftling erneut einen Ausbruch vorbereitet. Der 25-Jährige habe einen Stab des Fenstergitters vor seinem Haftraum im Gefängnis Tegel mit einem Sägeblatt durchgesägt, sagte ein Sprecher der Justizverwaltung am Dienstag. Dies sei bei einer Kontrolle am vergangenen Freitag entdeckt worden.
Es ist kein Einzelfall: Erst im September war Mario K., einem 52-jährigen Häftling der JVA Tegel, eine hollywoodreife Flucht in die Freiheit gelungen. Zumindest fast. Einem Bericht des Tagesspiegel zufolge hatte er mithilfe einer chemischen Reaktion mit Eisenoxid- und Aluminiumpulver sowie Strom zwei Gitterstäbe zum Schmelzen gebracht. Anschließend seilte er sich aus seiner Zelle ab – und wurde noch währendessen entdeckt. Mit einem selbstgebauten Wurfanker aus Tisch- und Stuhlbeinen hatte der wegen versuchten Mordes zu einer lebenslangen Haftstrafe Verurteilte die Außenmauer des Gefängnisses überwinden wollen.
Immer wieder gab es in den vergangenen Jahren derartige Schlagzeilen aus Berlin. Von Ende 2003 bis Ende 2016 wurden in der Hauptstadt 19 Fälle bekannt, in denen Häftlinge aus dem geschlossenen – und auch aus dem offenen – Vollzug entkamen. Alleine zwischen Ende 2017 und Anfang 2018 gelang dies fünf Häftlingen.
Die Ausbruchsversuche waren hollywoodreif
Doch wie kann das überhaupt sein? „Eine hundertprozentige Sicherheit gibt es nicht“, sagte der Berliner Justizverwaltungssprecher Sebastian Brux auf Anfrage unserer Redaktion nach dem Ausbruchsversuch vom September. Und er verwies damals darauf, dass Berlin nicht als einziges Bundesland von Ausbruchsversuchen betroffen sei. Seine Meinung hat sich seitdem nicht geändert.
In der Tat: Im August brachen in Bayern erst zwei Männer aus der JVA Memmingen aus, später ein Häftling aus der JVA Schweinfurt. Alle drei konnten recht schnell wieder gefasst werden.
Ausbrüche aus dem geschlossenen Vollzug sind dabei überaus selten. Bundesweit konnten laut Bundesamt für Justiz im Jahr 2017 acht Gefangene, 2016 sechs Gefangene und 2015 sieben Gefangene aus dem geschlossenen Vollzug in deutschen Justizvollzugsanstalten entkommen. Zahlen für 2018 liegen nicht vor. Im Jahr 2000 waren es noch 73 Personen, die bundesweit (ohne Niedersachsen) aus dem geschlossenen Vollzug entwichen.
Bernd Maelicke ist Experte für Justizvollzug und Resozialisierung. Er war unter anderem 15 Jahre lang für das Justizministerium Schleswig-Holstein als Ministerialdirigent für Justiz zuständig. Der Strafvollzug sei immer in der Defensive, erklärt er. Man könne nur reagieren. Und auch Maelicke sagt, dass man eine absolute Sicherheit nicht garantieren könne. Er verweist auf die „Kreativität“ der Gefangenen und auf Fehler vonseiten des Vollzugspersonals wie Unachtsamkeit, die nicht ausgeschlossen werden könnten.
Speziell in großen Haftanstalten wie in Berlin Tegel trete, so Maelicke, ein weiteres Problem auf, das nicht nur zu Ausbruchsversuchen führen könne – sondern auch dem eigentlichen Ziel des Justizvollzugs, der Resozialisierung, entgegenwirke: die Gefängnis-Subkultur. Damit meint er den Schmuggel und Handel etwa von Drogen hinter Gittern sowie die dort verbreitete Gewalt. Dem Experten zufolge müsse man daher vor allem die großen Gefängnisse mehr infrage stellen, da in ihnen diese Subkultur besonders stark entwickelt sei. Bernd Maelicke sagt auch: Viele Gefangene würden nicht aufgrund von rationalen Entscheidungen einen Fluchtversuch wagen; sie agierten sprunghaft. Und er betont: „Die deutschen Gefängnisse gehören im internationalen Vergleich zu den sichersten auf der Welt.“ Jedes Gefängnis habe mehrere Sicherheitslinien. Vor allem die Außenmauer mit sogenannter Mauerkronensicherung inklusive Stacheldraht und Kameraüberwachung habe sich stark verbessert.
Hamed M. konnte bereits 2018 auf spektakuläre Art fliehen
Auf den jüngsten Ausbruchsversuch des 25-jährigen Libyers Hamed M., der eine Strafe wegen räuberischer Erpressung und Diebstahl absitzt, reagierte die Berliner Justizverwaltung mit der Ankündigung, alle Fenstergitter an Haus VI des Männergefängnisses zu überprüfen. Vermutlich müsse man Gitter auch austauschen. In anderen Gefängnissen, etwa in Moabit, sei bereits neuer, harter Stahl verbaut worden. Und: M. sei auf eine besonders gesicherte Station verlegt worden.
Ihm war bereits im Februar 2018 ein filmreifer Ausbruch gelungen – bei dem er sich unter einem Lieferanten-Lastwagen festgeklammert hatte und so unbemerkt nach draußen gelangte. Zuvor hatte er mit einer Attrappe aus Stoffresten und Toilettenpapier in der Zelle im Gefängnis Tegel seine Anwesenheit vorgetäuscht. Sieben Tage danach wurde er in Belgien gefasst.
Strafbar ist ein Gefängnisausbruch als solcher – im Unterschied zur „Gefangenenbefreiung“ – in Deutschland übrigens nicht. Allerdings dessen Begleiterscheinungen, etwa das Durchsägen von Gitterstäben. Das gilt als Sachbeschädigung. (mit dpa)
Wir wollen wissen, was Sie denken: Die Augsburger Allgemeine arbeitet daher mit dem Meinungsforschungsinstitut Civey zusammen. Was es mit den repräsentativen Umfragen auf sich hat und warum Sie sich registrieren sollten, lesen Sie hier.