Wegen des Mordes am Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke müssen seit dem heutigen Dienstag zwei Männer vor dem Oberlandesgericht Frankfurt verantworten. Dem 46-jährigen Stephan E. aus Kassel wird vorgeworfen, den CDU-Politiker vor einem Jahr auf dessen Terrasse erschossen zu haben. Der 44-jährige Markus H. soll ihn bei der Vorbereitung der Tat unterstützt haben. H. ist daher wegen Beihilfe zum Mord angeklagt. Der Prozessauftakt vor dem Staatsschutzsenat fand am Dienstagvormittag unter hohen Sicherheitsvorkehrungen statt. Zudem ist die Zahl der Zuschauer aufgrund der Corona-Pandemie stark begrenzt.
Mordfall Lübcke: Verteidiger fordern Aussetzung von Prozess
Die Verteidiger von Stephan E. forderten am ersten Tag des Prozesses schon kurz nach Beginn der Verhandlung deren Aussetzung. Zudem stellten sie am Dienstag vor dem Oberlandesgericht Frankfurt einen Befangenheitsantrag gegen den Vorsitzenden Richter.
Anwalt Frank Hannig begründete den Antrag auf Aussetzung der Verhandlung unter anderem damit, dass der Gesundheitsschutz wegen der Corona-Pandemie nicht gewährleistet und der Zugang der Öffentlichkeit zu dem Prozess stark eingeschränkt sei. Die Anklage in dem Fall konnte daher zunächst noch nicht verlesen werden.
Rechtsextremistisches Motiv bei Mord an Walter Lübcke?
Der damals 65 Jahre alte Lübcke war in der Nacht zum 2. Juni 2019 mit einem Kopfschuss getötet worden. Die Bundesanwaltschaft sieht ein rechtsextremistisches Motiv. Lübcke hatte sich 2015 für die Aufnahme von Flüchtlingen ausgesprochen und war so zu einer Hassfigur der extremen Rechten geworden. Der CDU-Politiker wurde vor seinem Tod Opfer von Hass und Hetze im Netz, auch nach der Tat machten ihn Rechte zum Feindbild.
Die Bundesanwaltschaft sieht bei E. eine "von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit getragene völkisch-nationalistische Grundhaltung" als Motiv. Nach seiner Festnahme legte der 46-Jährige ein Geständnis ab, dass er aber später widerrief. E. wird zudem ein Angriff auf einen irakischen Asylbewerber im Januar 2016 vorgeworfen. Das Opfer wurde bei einem Messerangriff von hinten erheblich verletzt.
Ehefrau von Walter Lübcke ist Nebenklägerin im Prozess
Lübcke hatte als Regierungspräsident eine Art Mittelbehörde zwischen dem Land und den Kommunen geleitet. Ausgangspunkt für den späteren Mord soll eine Bürgerversammlung im nordhessischen Lohfelden 2015 gewesen sein, bei der E. anwesend war. Lübcke verteidigte dabei die Aufnahme von Flüchtlingen. Auf Schmährufe aus dem Publikum rief er: "Da muss man für Werte eintreten, und wer diese Werte nicht vertritt, der kann jederzeit dieses Land verlassen, wenn er nicht einverstanden ist, das ist die Freiheit eines jeden Deutschen." Dieser Satz verbreitete sich im Internet und machte Lübcke zur Hassfigur von Rechten.
Die Ehefrau und zwei Söhne des Ermordeten nehmen als Nebenkläger an dem Prozess teil. Der Sprecher der Familie, Dirk Metz, sagte vor Beginn der Verhandlung, dass die Witwe und die beiden Söhne von Lübcke einvernehmlich beschlossen hätten, zum Prozessauftakt zu kommen. "Die Familie hat das natürlich abgewogen, weil sie ja weiß, dass das für sie mit schwersten emotionalen Belastungen verbunden ist", sagte der Sprecher. Es sei den drei Hinterbliebenen aber auch darum gegangen, ein "klares Signal der Verbundenheit" zu ihrem Ehemann und Vater wie auch ein Signal gegen Hass und Gewalt zu setzen.
Coronavirus: Hohe Sicherheitsvorkehrungen bei Lübcke-Prozess
Der Prozessauftakt vor dem Staatsschutzsenat findet unter hohen Sicherheitsvorkehrungen statt. Zudem ist die Zahl der Zuschauer wegen der Corona-Pandemie stark begrenzt. Bereits Stunden vor Beginn der Verhandlung bildeten sich lange Warteschlangen. Zum Teil verbrachten Medienvertreter die gesamte Nacht vor dem Gerichtsgebäude, um einen Platz im Gerichtssaal zu bekommen. Das Gericht hatte es aus Sicherheitsgründen abgelehnt, einen größeren Verhandlungssaal außerhalb des Oberlandesgerichts zu suchen. Für die Berichterstattung ließen sich mehr als 200 Journalisten von 70 in- und ausländischen Medien beim Oberlandesgericht akkreditieren.
Es gelten im Zuschauersaal und auf der Pressetribüne 1,5 Meter Mindestabstand, das Tragen von Mund-Nase-Bedeckungen ist vorgeschrieben. Während auf der Pressetribüne normalerweise Platz für 60 Medienvertreter ist, können unter den Corona-Bedingungen nur 19 Journalisten dort Platz finden. Für 41 weitere gibt es eine Tonübertragung in einen Saal. Im Zuschauerraum finden 18 Besucher Platz.
Der Prozessauftakt wird von Kundgebungen begleitet. Unter anderem zeigte sich die nordhessische Initiative "Offen für Vielfalt" vor dem Gerichtsgebäude. "Demokratische Werte sind unsterblich" stand auf einem großen Transparent, das auf einem Fahrzeug angebracht war. (dpa)
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