Was vor 150 Jahren der Gipfel der Erotik war, lässt heute nur noch müde lächeln. Während die zierliche Dame aus bürgerlichen Hause sich im 19. Jahrhundert umbarmherzig ins Korsett pressen lassen musste, hat frau heute - nach langem modischen Auf und Ab - die freie Wahl. Und sie wählt auch für ihren Mann häufig das Drunter gleich mit aus, wie der Direktor des LVR-Industriemuseums, Detlef Stender, im rheinischen Euskirchen erklärt.
Bei der Ausstellung "Dessous - 150 Jahre Kulturgeschichte der Unterwäsche" geht es auch um den Wandel im Zeitgeist, wie sich das Frauenbild veränderte und die Frauen sich emanzipierten. 250 Originalstücke etwa seit 1800 hat das Museum zusammengetragen, auch Leihgaben und private Stücke werden bis Sommer 2010 gezeigt. Damals wie heute hatten nur die wenigsten Frauen Idealmaße. Da sei es oft wichtige Aufgabe der Wäsche, ein wenig nachzuhelfen, sagt Stender. "Die Unterwäsche sollte modellieren, straffen und raffen."
Das Drunter kann funktional oder hygienisch sein, erotisch wirken oder altbacken, verführerisch oder sexy, wie die Schau vor Augen führt. Im 19. Jahrhundert musste ER nur ein Hemd und eine Unterhose anlegen, SIE hatte es deutlich schwerer: Ein üppig rüschenbesetztes Leibchen, ein langes Hemd, Strumpfband, lange Unterhose, Anstandsunterrock, Korsett, oft auch Korsettschoner und mehrere Unterröcke gehörten zur Ausstattung.
Das weibliche Geschlecht wurde in Metallstab-gestützte Korsetts gezwängt, da es als schwach und weich galt und Halt brauchte, erklärt die Ausstellung die damals gängige Sichtweise. Zugleich wirkte das Korsett auf Männer hocherotisch, wurden doch mit der Wespentaille zugleich Po und Busen betont. Schon kleine Mädchen mussten sich an den unbequemen Begleiter gewöhnen, den Mediziner verantwortlich machten für Verstopfungen, Gallensteine, Rückenschmerzen, Atemnot oder Schwindsucht.
Nach dem Ersten Weltkrieg setzte sich allmählich der Büstenhalter durch, der Körper wurde nicht mehr so eingezwängt. Weiche Stoffe wie Seide lösten das steife Leinen ab. Nicht opulent, sondern schlicht und die schlanke Linie betonend musste das Drunter jetzt sein. Im Wirtschaftswunder waren dann "Spitzentüten"-BHs gefragt. Mit der Emanzipation der Frau und der Studentenbewegung wurde einengende Wäsche als spießig empfunden: Wenn schon BH, dann klein und transparent, der Mini-Slip kam in Mode. Seit dem 80er Jahren ist frau anspruchsvoll, wählt gerne aus, ob Wonderbra, spitzenbesetzter Body, rotes Neglige, sportliches Wäsche-Set oder verführerisches Nichts in Pink.
Beim Mann geht es in Sachen Unterwäsche simpler zu. Wenn Unterhosen auch lange reine Männersache waren, hat das nicht zu kreativen Höhenflügen geführt. Die Schau zeigt die Klassiker: Doppelfeinripp, bei dem der Bierbauch so schön betont wird, oder auch die lange Frottee-Unterhose. "Männer legen weniger Wert auf Unterwäsche", meint der Museumsdirektor und verweist etwa auf Modell "Detlef" (eine Boxershorts) oder den Liebestöter "Walter". Zwar gebe es heute Erotisches für den Mann: "Aber das ist ein unbedeutendes Nischenprodukt, das meiste wird heimlich gehandelt."
Weitere Infos zur Ausstellung: www.industriemuseum.lvr.de/ausstellungen/dessous.htm