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Missbrauchsstudie: Der Skandal um den Kölner Kardinal Woelki wird immer größer

Missbrauchsstudie

Der Skandal um den Kölner Kardinal Woelki wird immer größer

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    Im Zwielicht: Kardinal Rainer Maria Woelki ist derzeit der umstrittenste deutsche Kirchenmann. Kann er weiter als Kölner Erzbischof im Amt bleiben?
    Im Zwielicht: Kardinal Rainer Maria Woelki ist derzeit der umstrittenste deutsche Kirchenmann. Kann er weiter als Kölner Erzbischof im Amt bleiben? Foto: Andreas Arnold, dpa

    Die Sackgasse ist zu einem Leitmotiv geworden im Erzbistum Köln. Mit diesem Bild umschreibt der Kölner Pfarrer Franz Meurer, wegen seines sozialen Engagements ein Geistlicher mit Kultstatus, die Situation, in die sich Kardinal Rainer Maria Woelki gebracht habe. Da komme man nur wieder heraus, wenn man sich „rumdreht und in die Gegenrichtung geht“, sagt Meurer. Aber danach sieht es derzeit nicht aus. Im Gegenteil.

    Im Streit über die Aufklärung des Missbrauchsskandals im Erzbistum Köln und ein Gutachten der Münchner Kanzlei Westpfahl Spilker Wastl, das Woelki Ende Oktober nach einem halben Jahr Hängepartie unter Verschluss nehmen ließ, setzen der Kardinal und seine Umgebung auf „volle Kraft voraus“. Zum Befreiungsschlag soll die Vorlage eines Ersatzgutachtens durch die Kanzlei des Kölner Strafrechtlers Björn Gercke werden.

    Die Vorstellung dieser Arbeit ist auf den 18. März terminiert – fast auf den Tag genau ein Jahr, nachdem das Erzbistum eine bereits anberaumte Pressekonferenz zur Präsentation des Münchner Gutachtens Hals über Kopf abgesagt hatte. Presse- und äußerungsrechtliche Bedenken, hieß es damals offiziell, müssten ausgeräumt werden, ehe das Gutachten das Licht der Öffentlichkeit erblicken dürfe. Tatsächlich hatten sich namhafte Kölner Kleriker anwaltlichen Beistands versichert, um gegen die Darstellung ihrer Person und ihrer Rolle in dem Gutachten vorzugehen. Der frühere Generalvikar und heutige Kölner Weihbischof Dominikus Schwaderlapp soll dazugehören, ebenso dessen Nachfolger Stefan Heße (heute Erzbischof in Hamburg) sowie beider Vorgänger Norbert Feldhoff.

    Sie fürchten offensichtlich um ihren Ruf und um den der katholischen Kirche. In Auszügen aus dem Münchner Gutachten, die nicht zuletzt durch das Erzbistum Köln selbst bekannt wurden, ist von unentschuldbarem Versagen die Rede, von fehlender Fürsorge für die Opfer, Desinteresse, ja Ignoranz gegenüber den Belangen Schutzbedürftiger. Und von einem Agieren wie in einem „totalitären Herrschaftssystem“.

    Die Rechtsberater Woelkis dominieren inzwischen die Öffentlichkeitsarbeit des Erzbistums

    Damit ist der frühere skandalöse Umgang mit Missbrauchsfällen innerhalb der Kirche beschrieben. Der Umgang mit dem Münchner Gutachten ist ebenfalls ein Skandal – einer, der sich in den letzten Monaten beständig ausweitete. Er gipfelte vorläufig in Rücktrittsforderungen gegenüber Kardinal Woelki, doch vorbei ist er noch lange nicht.

    Im Oktober, zum endgültigen Stopp, stützten die von Woelki als Gutachter des Münchner Gutachtens bestellten Strafrechtsprofessoren Matthias Jahn und Franz Streng einen 22-seitigen Verriss mit dem Vorwurf durchgreifender methodischer Mängel unter anderem auf Bewertungen wie „totalitäres Herrschaftssystem“. Um keine juristischen Risiken einzugehen, müsse das Gutachten, das Woelki nicht im Wortlaut kenne, gerichtsfest sein, argumentieren die Rechtsberater des Kardinals.

    Sie dominieren die Öffentlichkeitsarbeit des Erzbistums. Zu den heiklen Themen Missbrauch und Missbrauchsgutachten verlasse keine Auskunft, kein Statement, keine Pressemitteilung die Büros im Erzbischöflichen Generalvikariat, die nicht von den eigens engagierten Presseanwälten geschrieben oder gegengelesen wurden, heißt es. Es sei nur mehr ein sehr kleiner, quasi verschworener Kreis von Ratgeberinnen und Ratgebern, den Woelki an sich heranlasse. Unter Insidern kursiert dafür das Wort „Bunker“.

    Erzbistum Köln: Drei Mediendirektoren verloren während Woelkis Amtszeit bereits ihren Job

    In der sechsjährigen Amtszeit des Kardinals verloren bereits drei seiner Mediendirektoren ihren Posten. Erste Anläufe des neuen, kommissarisch agierenden Mediendirektors Hermann-Josef Johanns und des ebenfalls vorläufig engagierten Pressesprechers Oliver Schillings für eine andere, transparentere Form der Öffentlichkeitsarbeit endeten kürzlich nach übereinstimmender Meinung aller Beobachter mit einer Bauchlandung, weil erneut die Anwälte das Sagen hatten.

    Für ein Hintergrundgespräch am Dienstag vor dem Dreikönigstag, in dem ausgewählte Journalisten Einblick in das Münchner Gutachten erhalten sollten, wurde zu Beginn die Unterschrift unter eine Verschwiegenheitsverpflichtung verlangt. „Gang und gäbe“ sei das, argumentiert Rechtsanwalt Carsten Brennecke von der Kölner Kanzlei Höcker, die durch Mandate für die AfD und den türkischen Präsidenten Erdogan bekannt wurde. „Mit ‚Zuckerbrot und Peitsche‘ vermeiden wir negative Berichterstattung schon im Vorfeld. Sollten wir sie nicht ganz verhindern können, mildern wir sie zumindest ab“, heißt es auf der Homepage der Kanzlei.

    Dass es Regeln für vertraulich geführte Gespräche zu brisanten Inhalten gibt, wissen Journalisten. Eine Verschwiegenheitsverpflichtung, die für die Unterzeichner leicht zum juristischen Bumerang hätte werden können und eine unabhängige Berichterstattung so gut wie unmöglich machen würde, wollte aber keiner der Anwesenden unterschreiben. Nachrichtenagenturen berichteten über diese jüngste Episode des Kölner Kirchenskandals, sogar der britische Independent und der kanadische Nachrichtensender CBC. Die Kommentare fielen verheerend aus für Woelki.

    Zuvor musste der sich bereits von der Kirchenbasis schwere Vorwürfe und Misstrauensbekundungen anhören, als er in mehreren Videokonferenzen mit Vertretern von Kirchenvorständen und Pfarrgemeinderäten um Verständnis für seinen Umgang mit dem Gutachten warb.

    Andere Bischöfe distanzieren sich von Woelki und sprechen von einem "Desaster"

    Ungewöhnlich heftig fallen inzwischen die Reaktionen von Mitbrüdern aus: Der Münchner Kardinal Reinhard Marx bezeichnete Woelkis Handeln als „verheerend“ für die ganze Kirche. Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Bischof Georg Bätzing aus Limburg, sprach von einem „Desaster“, das „auf uns alle abfärbt“. Der Hildesheimer Oberhirte Heiner Wilmer brachte indirekt einen Rücktritt Woelkis ins Spiel.

    Der Limburger Bischof Georg Bätzing ist seit März Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz. Er kritisierte Woelkis Handeln als "Desaster".
    Der Limburger Bischof Georg Bätzing ist seit März Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz. Er kritisierte Woelkis Handeln als "Desaster". Foto: Thomas Frey, dpa

    Am schärfsten gehen jedoch Missbrauchsopfer mit dem Kardinal ins Gericht. Drei der neun Mitglieder des 2018 von ihm selbst installierten Betroffenenbeirats erklärten im November ihren Rücktritt aus dem Gremium, unter ihnen die beiden bisherigen Sprecher Patrick Bauer und Karl Haucke. Sie hätten sich von Woelki und seinem Generalvikar Markus Hofmann überrumpelt und instrumentalisiert gefühlt, als diese sich ihren – längst gefassten – Entschluss für ein weiteres, neues Missbrauchsgutachten vom Betroffenenbeirat absegnen ließen und so taten, als hätte das Votum der Betroffenen den Ausschlag gegeben. Zum Umgang mit dem Betroffenenbeirat gibt es, soweit bislang bekannt, kein Wort des Bedauerns vom Kardinal. Unbeirrt steht die Bistumsspitze auf dem Standpunkt, die Veröffentlichung des Münchner Gutachtens hätte letztlich den Interessen der Betroffenen geschadet. Es wäre, so Woelki, „in kürzester Zeit aus der Welt geklagt worden“.

    Die renommierte Münchner Kanzlei Westpfahl Spilker Wastl, die Woelki beauftragt hatte, kann sich gegen solche Behauptungen kaum wehren. „Aufgrund unseres anwaltlichen Selbstverständnisses wollen wir uns derzeit nicht zum Inhalt unseres Gutachtens äußern. Nach wie vor liegt uns keine Entbindung von der Verschwiegenheitsverpflichtung seitens des Erzbistums Köln vor“, sagt Rechtsanwalt Ulrich Wastl lediglich. Dass die ständig wiederholten Vorwürfe gegen seine Kanzlei potenziell rufschädigend sind, liegt auf der Hand.

    Wastl, ein Fachmann für Bank- und Kapitalmarktrecht, und seine Kanzlei wurden in den vergangenen Jahren von mehreren katholischen (Erz-)Bistümern mit unabhängigen Missbrauchsgutachten betraut. Für das Bistum Eichstätt befasste er sich mit dessen Finanzskandal um dubiose Immobilienprojekte in den USA. Wer ihn und seine Arbeit etwas näher kennenlernte, kann sich gut vorstellen, wie sehr es gerade in ihm brodeln muss.

    Wastl ist mit Kirchenakten vertraut, die vom schändlichen Versagen dieser moralischen Institution im Umgang mit Missbrauchsfällen zeugen. Er hat Stellungnahmen von hochrangigen Kirchenverantwortlichen gelesen, sie befragt und mit Vorwürfen konfrontiert. Er weiß, wie vertuscht und Druck ausgeübt wurde. Nun bekommt er Druck zu spüren. Und der Eindruck, der sich aufdrängt, ist: Seine Kanzlei soll diskreditiert werden. Denkbar, dass sie unter Inkaufnahme juristischer Auseinandersetzungen ihr Gutachten selbst publiziert, falls sie sich vom Erzbistum Köln und dessen Anwälten weiter in die Defensive gedrängt sehen sollte.

    Schon was bisher über das unter Verschluss gehaltene Münchner Gutachten bekannt ist, birgt einigen Sprengstoff

    Klar ist: Ein vergleichbares Gutachten, das sie für das Bistum Aachen erstellte, ist im November erschienen – und immer noch in der Welt. Während der Präsentation hörte Aachens Bischof Helmut Dieser sich an, was seine Vorgänger im Umgang mit Missbrauchstätern und deren Opfern getan oder eben nicht getan hatten. Helmut Dieser hörte, wie die Münchner Anwälte von „systemischer Verantwortungslosigkeit“ sprachen und empfahlen, die Kirche müsse sich „in einer anderen als negativen Weise mit dem Thema Sexualität“ auseinandersetzen, männerbündische Strukturen überwinden und Frauen in kirchlichen Leitungsämtern stärken.

    Schwer vorstellbar, dass sich der Kölner Kardinal Woelki so etwas antun möchte. Schließlich ist er, der katholisch-konservative Hardliner, einer der lautesten Kritiker des innerkirchlichen Reformprozesses Synodaler Weg, in dem es um das Priesterbild oder die Rolle der Frauen in der katholischen Kirche geht.

    Das Kölner Gutachten dürfte dem Aachener in seinem Aufbau sehr ähnlich sein: Nach einem Teil zu rechtlichen Grundlagen und bisherigen Befunden folgen ausgewählte Fallbeispiele mit anschließender Bewertung samt Empfehlungen. Sind es genau diese, die man in Köln derart fürchtet? „Aachen ist Aachen, und Köln ist Köln“, lautet stereotyp die Kölner Entgegnung auf eine solche Frage. Und: Das neue Gutachten werde am 18. März doch alles an den Tag bringen.

    Von einem Fall ist durch Recherchen des Kölner Stadt-Anzeigers schon bekannt, dass Woelki selbst involviert ist: Kurz nach seinem Amtsantritt 2014 ließ er sich die Akte des mit ihm befreundeten Düsseldorfer Pfarrers Johannes O. kommen, der 2010 eines schweren Sexualverbrechens an einem Kindergartenkind Ende der 70er Jahre bezichtigt wurde. 2011, damals noch Weihbischof in Köln, erfuhr Woelki in – wie er sagt – „allgemeiner Form“ vom Vorwurf gegen O. 2015 unterließ er es, wie vier Jahre zuvor sein Vorgänger Joachim Kardinal Meisner, den Fall zu untersuchen und das Ergebnis nach Rom zu melden – nach Ansicht von Kirchenrechtlern ein Verstoß gegen päpstliche Normen und die Vorgaben der Bischofskonferenz.

    Woelki argumentiert, eine schwere Erkrankung des mutmaßlichen Täters habe dessen Befragung unmöglich gemacht. Außerdem verwies er auf das Opfer, das an einer Aufklärung ausdrücklich nicht habe mitwirken wollen. Als sich der Betroffene öffentlich gegen diese Darstellung wehrte, machte Woelki die damalige Opferbeauftragte für sein Nicht-Handeln verantwortlich, was diese „bestürzt und fassungslos“ bestritt und anhand der Abläufe detailliert begründete. Es sei für sie „schwer erträglich, wie der Kardinal und die Bistumsleitung jetzt die Verantwortung von sich wegschieben und an andere weitergeben. Es kommt mir vor wie ein verzweifelter Rettungsversuch auf dem Rücken des Betroffenen und zu Lasten Dritter“, sagte sie.

    Kardinal Woelki wandte sich an Papst Franziskus.
    Kardinal Woelki wandte sich an Papst Franziskus. Foto: Andrew Medichini/afp, Getty Images (Archiv-Foto)

    Mittlerweile ist der Fall in Rom anhängig. Woelki wandte sich an den Papst, dass dieser sein Verhalten beurteilen möge. Der formell für die Aufklärung etwaiger Pflichtverletzungen des Kardinals zuständige Münsteraner Bischof Felix Genn erwartet in diesen Tagen Post aus Rom, die Entscheidung des Vatikans über ein Verfahren gegen Woelki steht wohl unmittelbar bevor.

    Die Entscheidung des Vatikans über ein Verfahren gegen Woelki steht unmittelbar bevor

    Ein eigener Versuch des Kardinals, in die Offensive zu gehen, war an Weihnachten gescheitert. „Woelki bittet um Verzeihung“, titelte sein Bistumssender Domradio. Es folgte der Inhalt eines „persönlichen Worts“ Woelkis an die Gläubigen in der Christmette.

    „Was die von sexueller Gewalt Betroffenen und Sie in den letzten Tagen und Wochen vor Weihnachten im Zusammenhang mit dem Umgang des Gutachtens zur Aufarbeitung von sexualisierter Gewalt in unserem Erzbistum, was Sie an der Kritik darüber und insbesondere auch an der Kritik an meiner Person ertragen mussten – für all das bitte ich Sie um Verzeihung“, hatte Woelki gesagt. Doch damit räumte er keine eigenen Fehler ein, sondern bedauerte nur Kritik an sich. Was zur ersten Rücktrittsforderung an ihn aus dem Kreis seiner leitenden Pfarrer führte. Ehrlichkeit im Umgang mit persönlicher Schuld oder den Willen zur Umkehr beim Kardinal könne er nicht erkennen, schrieb der Geistliche Klaus Koltermann aus Dormagen. Woelki habe „nun noch restlich vorhandene Glaubwürdigkeit verspielt“. Das Erzbistum drohte umgehend mit dienstrechtlichen Konsequenzen wegen Illoyalität und Ungehorsam, drehte dann aber Anfang dieser Woche überraschend bei. Der Vorgang sei „erledigt“, teilte Woelkis Personalchef dem Pfarrer mit.

    Ob Koltermanns Mitbruder Franz Meurer so etwas meinte, als er dem Kardinal einen Ausweg aus der Sackgasse wies? Bei Woelkis Verbleib im Amt stehe es „Spitz auf Knopf“, meint Meurer jedenfalls.

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