Startseite
Icon Pfeil nach unten
Panorama
Icon Pfeil nach unten

Miss Germany: Warum Miss Germany Anahita Rehbein ganz schön ernüchtert ist

Miss Germany

Warum Miss Germany Anahita Rehbein ganz schön ernüchtert ist

    • |
    "Nur weil du Miss Germany geworden bist, hast du nicht sonst was erreicht": Anahita Rehbein 2018 bei ihrer Wahl zur schönsten Frau Deutschlands.
    "Nur weil du Miss Germany geworden bist, hast du nicht sonst was erreicht": Anahita Rehbein 2018 bei ihrer Wahl zur schönsten Frau Deutschlands. Foto: Sebastian Gollnow, dpa

    Wenn sie diesen Titel gewinnt, dann hat sie es geschafft. Etwas wirklich Großes erreicht, sich einen Traum erfüllt. Was das für ein Leben sein muss. Dachte sie damals. Nur – so war es nicht.

    Anahita Rehbein aus Inzigkofen in Württemberg wird ihre Krone am Samstagabend wieder abgeben, an eine der 16 Kandidatinnen, die wie einst sie über den Laufsteg des Europa-Parks Rust bei Freiburg schreiten werden. Dann gibt es eine neue Miss Germany. Dieser Moment, auf der großen Bühne vor den Zuschauern, dieses Gefühl, diese Spannung – darum beneidet sie die Kolleginnen. Was würde sie dafür geben, das noch einmal zu erleben.

    Und trotzdem ist sie froh, dass ihr Jahr als schönste Frau Deutschlands zu Ende geht. „Klar war es eine tolle Erfahrung. Aber es ist nicht das, was dich im Leben weiterbringt.“

    Rehbein wurde im Februar 2018 gekrönt. Da war die Debatte, die in Hollywood ihren Anfang nahm und weltweit Wellen schlug, gerade auf dem Höhepunkt. Schauspielerinnen warfen dem Filmproduzenten Harvey Weinstein vor, sie sexuell belästigt, ja vergewaltigt zu haben. Der Fall landete vor Gericht. Unter dem Internet-Hashtag MeToo trauten sich immer mehr Frauen, offen über ihre Erfahrungen mit sexueller Gewalt zu sprechen, über Missbrauch, Übergriffe und Diskriminierung.

    Drei Männer, eine Familie und eine lange Geschichte der Miss-Germany-Wahlen: (von links) Ralf, Horst und Max Klemmer.
    Drei Männer, eine Familie und eine lange Geschichte der Miss-Germany-Wahlen: (von links) Ralf, Horst und Max Klemmer. Foto: Patrick Seeger, dpa

    Es entstand eine Bewegung, die größer und größer wurde. Und unangenehme Fragen stellte. Darüber, welches Frauenbild sich in der Gesellschaft festgesetzt hat. Wie es sein kann, dass viele Frauen noch immer auf ihr Äußeres reduziert werden. Ob es noch in unsere Zeit passt, wenn sie sich in Filmen, auf Werbeplakaten und Bühnen halbnackt zeigen. Und sich bei Schönheitswettbewerben in Highheels und Badeanzug sogar bewerten lassen.

    Anahita Rehbein, 24, weißes Oberteil, schwarze Leggins, Sportschuhe, dezentes Make-up, natürlich bildhübsch, sitzt entspannt auf einer Couch in einem Stuttgarter Fitnessstudio. Die langen braunen Haare fallen locker über ihre Schultern. Ziemlich unbefangen spricht sie über das vergangene Jahr. In dem sie fast nur unterwegs war, meist allein, im Zug, auf der Autobahn, im Hotelzimmer. Ihren Freund sah sie am Wochenende fast nie, zu Hause bei der Familie war sie nicht einmal.

    Der knappe Badeanzug ist Vergangenheit

    Wie sie erzählt, mal mit locker überkreuzten Beinen, mal leicht nach vorne gebeugt, wirkt sie ganz anders als damals auf der Bühne, an ihrem großen Tag. Im altrosafarbenen Kleid, oder im schwarzen Badeanzug, vorne wie hinten tief ausgeschnitten. Selbstbewusst, schwingende Hüften, strahlendes Lächeln. Und die Jury schaute genau hin. All das gehört nun der Vergangenheit an, den Bademoden-Auftritt gibt es nicht mehr. Am Samstag präsentieren sich die Frauen erstmals ausschließlich in Abendgarderobe.

    Eine längst überfällige Entscheidung, sagen die einen. Verena Mann aus Feldkirchen bei München etwa, 24, Medizinstudentin, Miss Bayern und zugleich Miss Augsburg. Es soll ja jetzt mehr um die Teilnehmerinnen gehen, ihre Persönlichkeit, das Gesamtpaket, „dafür braucht man den Bikini-Lauf nicht“.

    Ein Stück verlorene Tradition, sagen andere. Anahita Rehbein findet: „Beim Finale muss es einfach Bademode geben.“ Das habe nichts mit Sexismus oder Fleischbeschau zu tun. Es gehe ja nicht darum, wer den knappsten Bikini trägt. Was spreche gegen einen einheitlichen Badeanzug, ähnlich einem Body? Etwas, in dem die Kandidatinnen zeigen können, dass sie trainieren, sich gesund ernähren, auf sich achten. „Eine Miss Germany muss schon eine sportliche Figur mitbringen.“ Nicht 90-60-90 oder eine Körpergröße von mindestens 1,75. Das habe sie ja selbst nicht, fügt Rehbein hinzu. „Aber man muss sehen: Das Mädchen ist gesund.“

    So läuft die Miss-Germany-Wahl ab

    „Miss Germany“ ist den Veranstaltern zufolge der älteste und bedeutendste Schönheitswettbewerb in Deutschland. Es gibt ihn seit 1927.

    Zur Wahl antreten dürfen Frauen im Alter zwischen 18 und 29 Jahren.

    Sie müssen die deutsche Staatsangehörigkeit haben, von ihnen dürfen keine Nacktaufnahmen oder erotische Fotos im Umlauf sein.

    Tätowierungen, Piercings oder Schönheitsoperationen sind dagegen kein Problem.

    Auch dürfen die Frauen – das ist neu seit 2018 – Kinder haben sowie verheiratet sein.

    Frauen, die in diesem Jahr als Miss Germany kandidierten, mussten zuvor bei einer Schönheitswahl in einem Bundesland gesiegt haben.

    Prominenteste Teilnehmerin war die spätere TV-Moderatorin Petra Schürmann (1933-2010). Sie kam 1956 auf Platz drei und wurde im gleichen Jahr „Miss World“.

    1977 wurde Dagmar Wöhrl Miss Germany. Die CSU-Politikerin (heute 64) war zuletzt in der Vox-Sendung „Die Höhle der Löwen“ zu sehen.

    1993 holte die spätere Werbe-Ikone Verona Feldbusch (heute Pooth, 50) den Titel.

    Es gibt 16 Finalistinnen, aus jedem Bundesland eine.

    Zuvor haben schon die Organisatoren der Miss-America-Wahl entschieden, dass der Auftritt in Bademode wegfällt – wegen #MeToo. Sam Haskell, Chef des US-Schönheitswettbewerbs, hatte sich in E-Mails abfällig über frühere Gewinnerinnen geäußert, über ihr Gewicht und ihr Liebesleben. Die Gespräche gelangten an die Öffentlichkeit, Haskell musste gehen. Und bei der Wahl musste sich etwas ändern.

    Anders als in den USA sei in Deutschland die Diskussion um den Badeanzug nicht erst durch die #MeToo-Debatte aufgekommen. Das sagt jedenfalls Max Klemmer. „Wir haben bestimmt schon seit fünf Jahren darüber gesprochen.“ Mit 24 Jahren ist er der Sprössling der Miss Germany Corporation, die sein Großvater Horst

    Veranstalter Horst Klemmer ist ein Mann der alten Schule

    Große Fußstapfen, in die er da tritt. Niemand hat die Misswahlen im Land so geprägt wie der 82-Jährige. Er moderierte seine erste Wahl bereits 1960. Horst Klemmer ist ein Urgestein des Showgeschäfts, weiß, wie es sich anfühlt, auf der Bühne zu stehen, vor tausenden Leuten, mit zitternden Knien und schwitzenden Händen. Ein Mann der alten Schule. Trotzdem schreckt sein Enkel nicht davor zurück, das Familienunternehmen mit Vater Ralf umzukrempeln. Aber langsam, Schritt für Schritt, wie er sagt.

    Anahita Rehbein hatte keine Ahnung davon, was es bedeutet, Miss Germany zu sein. Jetzt weiß sie es. Hier repräsentieren, da Hände schütteln, jede Menge Sponsoren-Termine. Und sie hat gelernt: „Man wächst über sich hinaus.“

    Eine Frau, die ein paar Meter weiter sitzt, horcht auf. Miss Germany? „Sind Sie das?“ – „Ja“, antwortet Rehbein und lächelt. Die Frau lächelt zurück. „Ach so.“

    In diesem Jahr, erzählt Rehbein weiter, habe sie wahrscheinlich so viel erlebt wie sonst in zehn Jahren. Habe sich persönlich weiterentwickelt, neue Seiten an sich entdeckt. Aber hat sie deswegen wirklich etwas erreicht? Jemand, der mit 24 schon seinen Master hat, sagt sie, verdiene doch viel mehr Anerkennung als sie. Oder ihr Bruder, 23, der einen guten Job gefunden hat und fest im Leben steht.

    Seit 2018 dürfen Mütter und Ehefrauen teilnehmen

    Seit 2018 dürfen sich auch Mütter und Ehefrauen bei den Miss-Wahlen bewerben, noch so eine Neuerung. Und statt in Bademode aufzutreten, bekommen die Kandidatinnen mehr Fragen gestellt. Um sie und ihre Geschichten besser kennenzulernen, sagt Max Klemmer. „Wir wollen nicht einfach eine schöne Frau finden, sondern jemanden, der für bestimmte Werte steht.“

    Wer sagt, die Wahl sei oberflächlich, verfolge die Arbeit der Miss Germany Corporation meist nicht, glaubt Anahita Rehbein. Jede Bewerberin muss sich vorstellen, ausführlich. Die Videos, die im Finale laufen, seien ja nur ein Teil. „Wir dürfen da wirklich so sein, wie wir sind.“ Und doch sei es halt immer noch ein Schönheits- und kein Persönlichkeitswettbewerb. Eine Miss Germany werde immer auch nach ihrem Aussehen bewertet.

    Das sind die 16 Kandidatinnen, die in diesem Jahr zur Wahl der Miss Germany 2019 antreten. Die Entscheidung fällt an diesem Samstag.
    Das sind die 16 Kandidatinnen, die in diesem Jahr zur Wahl der Miss Germany 2019 antreten. Die Entscheidung fällt an diesem Samstag. Foto: Patrick Seeger, dpa

    Aber ist das noch zeitgemäß? Dirk Schulz glaubt, dass #MeToo auf die Schönheitswettbewerbe abgefärbt hat, dass diese sich wegen des gesellschaftlichen Drucks wandeln, zumindest versuchen, zu kaschieren. Er widmet sich an der Universität Köln den Gender Studies, der Geschlechterforschung. Die #MeToo-Debatte, sagt Schulz, hat aufgerüttelt. „Das, was selbstverständlich zu sein schien, war es plötzlich nicht mehr.“

    Der Wunsch sei da, offener und moderner zu werden, auch bei den Miss-Wahlen. Trotzdem passten sie nicht in unsere Zeit, das werden sie auch nie, schickt Schulz hinterher. Trotz mehr Vielfalt, mehr Persönlichkeit. Das Problem fängt bereits beim Format an, sagt der Forscher. „Persönlichkeiten zu zeigen, ist eine tolle Sache. Aber warum sollten sie in Konkurrenz zueinander stehen?“

    Anahita Rehbein muss in fünf Minuten los. Nächster Termin. Ihr Freund ist gekommen, um sie daran zu erinnern. Ihm gehört das Fitnessstudio mitten in Stuttgart. Aber Rehbein bleibt sitzen, sie will noch mehr erzählen. Wie enttäuscht sie darüber war, dass eine Miss Germany kaum als Model auftritt. Stattdessen stand sie die meiste Zeit auf Hochzeitsmessen herum oder saß bei Städtewahlen in der Jury.

    Also, Herr Klemmer, was ist eine schöne Frau?

    Früher sei die Wahl ein „großer Treffpunkt für Models“ gewesen. Das erzählt Horst Klemmer, und er muss es wissen. Heute machen Ärztinnen, Polizistinnen und Fleischereifachverkäuferinnen mit. Sie müssten keinem Model-Ideal mehr entsprechen. 2019 misst die kleinste Kandidatin nicht einmal 1,60 Meter, auf dem Laufsteg einer Fashionshow undenkbar. Also keine Mindestmaße, keine Vorgaben mehr?

    „Wir schreiben die Kilos nicht vor“, sagt Horst Klemmer.

    Aber?

    „Man kann da kein Mädchen hinstellen, das 90 Kilo wiegt und 1,60 Meter groß ist.“

    Warum? Kann eine Frau, die kräftig ist, nicht auch schön sein?

    „Sarina Nowak beispielsweise“, sagt Anahita Rehbein, weit weg von Horst Klemmer, sowohl räumlich als auch gedanklich. „80 Kilo, macht viel Sport, hat eine Bombenausstrahlung, die kann doch genauso Miss Germany werden.“

    Also doch eine Miss Germany mit Konfektionsgröße 44?

    „Unsere Miss Germany soll für einen gesunden Lebensstil stehen“, entgegnet Klemmer.

    Dann eben eine gesunde Größe 44?

    „Wir haben auch Kandidatinnen, die größere Kleidergrößen als 38 haben“, räumt er schließlich ein. Und doch „ziehe ich den Hut“ vor jenen Frauen, die bei der Miss 50 plus antreten und Maße für eine 38 oder weniger mitbringen.

    Während er über seine Vorstellung von Schönheit spricht, redet sich der Mann fast in Rage. In einer Art, die irgendwie an die Kunstfigur Horst Schlämmer erinnert, geschaffen vom Komiker Hape Kerkeling. Tatsächlich hält sich im Showbusiness seit Jahren das hartnäckige Gerücht, Klemmer sei das heimliche Vorbild für Schlämmer gewesen. Kerkeling hat das nie bestätigt.

    Und das mit #MeToo, den sexistischen Sprüchen, Belästigungen? Rehbein sagt, sie habe das noch nie erlebt, sei aber auch immer sehr vorsichtig. Als sie mit dem Modeln begann, ließ sie Fotoaufnahmen im Bikini oder in Unterwäsche nur von Frauen machen. „Das war für mich einfach viel angenehmer.“ Doch sie hat gelernt, dass es bei professionellen Fotografen keinen Unterschied mache, ob sie männlich oder weiblich sind. „Die gucken dich so neutral an wie ein Frauenarzt.“

    Eingepackt in eine rote Puscheljacke macht sie sich nun auf den Weg zum Auto. Die Sonne hat sich verzogen, es ist kühl geworden. Jedes Mal, wenn sie zu einem Termin reiste, erzählt sie noch, stand sie unter Druck. Die Leute wussten ja, da kommt die schönste Frau Deutschlands. „Und du willst diesem Ideal entsprechen. Das ist so hart.“

    Der Forscher sagt: In einem Wettbewerb unterwerfen sich Frauen den Idealen

    Es bleibt die Frage: Was macht eine Frau schön? Lange Haare, lange Beine, Oberweite, schmale Taille? Unser klassisches Schönheitsideal, bestimmt seit über 100 Jahren, sagt Forscher Dirk Schulz. „Schönheitswettbewerbe sind ein Anreiz, sich genau diesen Idealen zu unterwerfen.“ Und für die Frau, „das schöne Geschlecht“, war der gesellschaftliche Druck, zu gefallen, nun mal immer größer, als intelligent oder erfolgreich im Beruf zu sein.

    Sie hat jetzt angefangen, ihre Bachelor-Arbeit zu schreiben, erzählt Rehbein, als sie in ihren Smart steigt. Bildungswissenschaften, letztes Semester. Zum Glück habe sie ihr Studium in diesem Jahr nicht auf Eis gelegt, so wie erst geplant, sondern das Pensum nur halbiert. „Man bewegt sich in dieser Zeit in einer irrealen Welt.“ Die Menschen himmeln einen an, vor allem die jungen Mädchen. Wie sie strahlten, wenn sie auf eine Veranstaltung kam, zu ihr aufschauten, das waren mit die schönsten Momente.

    Nun ist alles vorbei, die Nächste ist dran. „Man muss aufpassen, dass man nicht in ein Loch fällt.“ Immer wieder liest sie Fragen junger Frauen wie: „Soll ich die Prüfung im Studium für die Miss-Wahl ausfallen lassen?“ Nein, denkt sie sich dann.

    Denn was Anahita Rehbein in diesem Jahr gelernt hat und was sie immer wieder betont: „Nur weil du Miss Germany geworden bist, hast du nicht sonst was erreicht.“

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden