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Medien: Zwei Journalisten erklären die Macht der Bild

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Zwei Journalisten erklären die Macht der Bild

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    Trotz massiver Auflagenverluste hat die Zeitung noch immer Millionen Leserinnen und Leser.
    Trotz massiver Auflagenverluste hat die Zeitung noch immer Millionen Leserinnen und Leser. Foto: Christoph Soeder, dpa (Symbolbild)

    Die Bild ist eine Macht. So sieht sich das Springer-Boulevardblatt selbst. Es ist auch das Bild, das die Amazon-Doku „Bild. Macht. Deutschland?“ vermittelt: Ein Medium und sein umstrittener Chefredakteur Julian Reichelt mischen mit in der großen Politik, entscheiden über Karrieren. Wer mit ihr im Aufzug nach oben fahre, der fahre auch mit ihr nach unten, lautet das vielfach zitierte Bild-Prinzip.

    Kritik: Die Bild schüre Ängste und vergifte gesellschaftliche Debatten

    In der Tat ist die reichweitenstarke Boulevardzeitung wirkmächtig, drastischen Auflagenverlusten zum Trotz. Alleine deswegen, weil sie von anderen Medien, häufig ungeprüft, zitiert und von Millionen – darunter einflussreichen Personen – gelesen und gefürchtet wird. Mit welchen Methoden die Bild arbeitet, ist bekannt und seit Jahrzehnten Gegenstand journalistischer und wissenschaftlicher Medienkritik. Doch auch die Bild durchläuft Phasen. Unter Reichelt ist sie in einer besonders krawalligen.

    Julian Reichelt ist für viele eine Hassfigur.
    Julian Reichelt ist für viele eine Hassfigur. Foto: Bernd von Jutrczenka, dpa

    Die Journalisten Mats Schönauer und Moritz Tschermak zeigen das in ihrem Buch „Ohne Rücksicht auf Verluste“ anhand zahlreicher Beispiele auf. Die Bild sei „wieder brutaler geworden“, „verbohrter, tendenziöser, menschenverachtender“. Damit knüpfe sie an ihre „dunkelsten Zeiten“ (ein Zitat aus einem Brief des Moderators Günther Jauch an Reichelt) an, befinden sie. Und gehen noch weiter: Die Bild schüre Ängste, spiele Ausländerfeinden in die Karten, torpediere gezielt demokratische Institutionen und vergifte gesellschaftliche Debatten.

    Besonders abstoßend an der Bild finden die Autoren das sogenannte "Witwenschütteln"

    Schönauer und Tschermak befassen sich seit einem Jahrzehnt mit der Bild-Berichterstattung – auf der Internetseite Bildblog. Es ist eine verdienstvolle und bitter nötige Aufgabe. Das wird überdeutlich, wenn man ihr Buch liest, in dem sie jüngere und ältere Fehler, Verdrehungen, Verzerrungen, Falschbehauptungen, Skandalisierungen, Vorverurteilungen, Kampagnen und Grenzüberschreitungen der Bild akribisch und unter Anführung von 1344 Fußnoten zusammentragen. Ihre Kritik ist massiv und das mag man bisweilen für überzogen halten, nicht immer überzeugen auch Argumentationen und Behauptungen („Heute ist Bild Reichelt“). Andererseits: Was Bild tut, war und ist ebenfalls massiv. Die Beispiele, die Schönauer und Tschermak zu einem Gesamtbild der Bild zusammensetzen, sprechen für sich.

    Besonders abstoßend ist die Praxis des „Witwenschüttelns“, dass sich Reporter also Informationen oder Fotos über Opfer besorgen, etwa, indem sie deren Familien bedrängen. Um diese Praxis geht es in zwei der 14 Kapitel, ein Betroffener kommt in einem Interview zu Wort. Er sei „einfach nur angeekelt und schockiert“, sagt der Bruder eines 32-Jährigen, der 2018 beim Skifahren in Österreich von einer Lawine verschüttet wurde und starb.

    Kevin Kühnert: "Das Problem ist, dass einige bei Bild dem Größenwahn verfallen sind"

    Kevin Kühnert, stellvertretender SPD-Bundesvorsitzender, schreibt in einem bemerkenswerten Nachwort über seine Erfahrungen mit der Bild, in dem er auch Auszüge aus Mails von deren Mitarbeitern an ihn öffentlich macht: „Das Problem ist (...), dass einige bei Bild dem Größenwahn verfallen sind, Schicksal spielen zu können. Und dass sie zu oft damit durchkommen, weil wir sie gewähren lassen.“ Er habe 2018 seine Lektion gelernt und verstanden, „dass unmissverständlich Abstand gehalten werden muss“.

    Kevin Kühnert, Vizevorsitzender der SPD.
    Kevin Kühnert, Vizevorsitzender der SPD. Foto: Michael Kappeler, dpa

    Wie wichtig ein Korrektiv wie der Bildblog ist, lässt ein Blick auf die Rügen-Statistik des Deutschen Presserats erahnen.Von 53 Rügen im Jahr 2020 entfielen allein 22 auf Bild. Im laufenden Jahr waren es bislang sechs von 15. Die öffentliche Rüge ist die härteste Sanktion des Selbstkontrollorgans, ihre Veröffentlichung im gerügten Medium sollte dessen Machern peinlich sein. Der Bild ist offensichtlich wenig peinlich; manche Rügen veröffentlicht sie erst gar nicht.

    Worin genau liegt die Macht der Bild?

    Seit 2004 befasst sich der Bildblog mit den „kleinen Merkwürdigkeiten“ und dem „großen Schlimmen“ in der Bild. Dass sie ein Korrektiv braucht, beweist die Bild fast täglich. Schönauers und Tschermaks Buch ist daher ein wichtiges Buch – und das Gegenstück zur weitgehend unkritischen Selbstbespiegelungs-Doku „Bild. Macht. Deutschland?“.

    Was Bild macht? Stimmungsmache. Worin genau ihre Macht liegt? „Die Realität in Versatzstücke zu zerlegen und neu arrangiert zu einer gefühlten Wahrheit werden zu lassen, die kleben bleibt“, schreiben Schönauer und Tschermak.

    Ohne Rücksicht auf Verluste. Wie Bild mit Angst und Hass die Gesellschaft spaltet. Kiepenheuer & Witsch, 336 Seiten, 18 Euro

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