Aber der unumstrittene Star des glanzvollen Showfinales war die Siegerin Loreen aus Schweden mit dem mystischen Dancepop-Song "Euphoria". Die 28-Jährige, die am Rande des ESC auch Menschenrechtler besuchte, meinte, dass sie die Aserbaidschaner weiter unterstützen wolle. "Wie? Auf jede Weise, die Ihr wollt."
Die Bürgerrechtlerin Lejla Junus lobte, dass Loreen sich als einzige Künstlerin im Gegensatz auch zu den Organisatoren von der Europäischen Rundfunkunion (European Broadcasting Union, EBU) mit dem Besuch bei der Opposition klar zu demokratischen Grundwerten bekannt habe. Junus kritisierte am Montag, dass die Halb-Marokkanerin von regierungstreuen Medien in Baku als "Drogenabhängige" und "Prostituierte" verunglimpft werde.
Viele westliche Fans in der von Deutschen gebauten Crystal Hall am Kaspischen Meer atmeten auf, dass 2013 mit Schweden ein demokratischer Staat den ESC ausrichtet. "Gott sei Dank, ein vernünftiges Land", sagte der 46 Jahre alte Fan Josef aus München nach der Show. Und auch die EBU, die immer wieder den unpolitischen Charakter des Wettbewerbs betont hatte und für ihr demonstratives Schweigen in Sachen Menschenrechte kritisiert wurde, dürfte erleichtert sein.
Die schwarzhaarige Schwedin Loreen vermied freilich mit Rücksicht auf den Gastgeber allzu offensichtliche politische Aussagen. Ihr Tanz symbolisiere Freiheit, sagte sie etwa. Die übrigen Teilnehmer gingen diesem großen Thema des östlichsten, orientalischsten und politischsten Grand Prix aller Zeiten aus dem Weg. Nur noch Anke Engelke erinnerte als deutsche ESC-Juryvorsitzende bei der Punktevergabe daran, dass es gut sei, "eine Wahl zu haben", und sprach so die Unfreiheiten in Aserbaidschan an.
Die islamisch geprägte Südkaukasusrepublik an der Grenze zum Iran nutzte ihren ersten ESC und das größte internationale Ereignis der Landesgeschichte reichlich zur Eigenwerbung. Die Fernsehbilder zeigten den schillerndsten und kleinsten Teil des öl- und gasreichen Landes. Die Show fuhr berühmte Volkstanz- und Musikensembles Aserbaidschans auf, zeigte das glitzernde Baku, das Touristen als Mix zwischen Dubai und Paris beschreiben, und blühende Landschaften.
Dass ungeachtet der Petrodollars die meisten der neun Millionen Aserbaidschaner in bitterer Armut leben, dass Hunderttausende Arbeitslose das Land verlassen, um etwa in Russland ihren Lebensunterhalt zu bestreiten - davon erfuhren die Zuschauer naturgemäß nichts. Aserbaidschan gilt als eines der korruptesten Länder, wo der Reichtum nur Wenigen zu Gute kommt.
Die autoritäre Führung in Baku hatte den Song Contest nach dem Sieg von Ell & Nikki in Düsseldorf 2011 von Anfang an als große Imagekampagne angelegt. Der staatstreue Sender Ictimai inszenierte das Finale mit überbordendem Nationalstolz, was auch nicht jedem bei der EBU passte. Doch bestimme nun einmal das austragende Land die Show, sagte ein Mitglied des EBU-Expertenkomitees der Nachrichtenagentur dpa.
Aserbaidschan stellte den wohl teuersten ESC in der mehr als 50-jährigen Geschichte des Grand Prix auf die Beine: mit 50 Millionen Euro nach offiziellen Angaben. Experten gehen aber von Gesamtausgaben von über einer halben Milliarde Euro aus. Die Crystal Hall funkelte wie ein Juwel unter dem Nachthimmel, erstrahlte in den Nationalfarben der 26 Finalisten. Über der Arena mit den mehr als 17 000 Plätzen wirbelte ein riesiger Lichtkegel im Dunkeln.
Doch auch Lichterglanz und Musik, die aus dem üblichen Mix von Pop, Folklore, Rock und Balladen bestand, konnten die vielen kritischen politischen Stimmen und Bilder nicht überdecken. Die von Menschenrechtlern als "mafiöser Clan" kritisierte Regierung hatte am Rande des ESC immer wieder Demonstranten mit brutaler Polizeigewalt festnehmen lassen. Die Menschen hatten für das Recht auf freie Meinungsäußerung und für Versammlungsfreiheit demonstriert.
Zu diesen demokratischen Grundsätzen hat sich die Ex-Sowjetrepublik als Europaratsmitglied verpflichtet. Gleichwohl befürchtet die aserbaidschanische Opposition, dass die Repressalien nach dem Ende des Grand Prix nun eher zunehmen werden. Der mit harter Hand regierende Präsident Ilcham Alijew will sich 2013 zum dritten Mal zum Staatschef wählen lassen. Bei der Show ließ Alijew auch seinen Schwiegersohn Emin Agalarow als Popsänger auftreten. (dpa)