Es war vor 15 Jahren, als Roberto Saviano mit seinem Buch „Gomorrha“ ins Rampenlicht trat. In 52 Sprachen wurde der Essay übersetzt, der die damals noch kaum bekannten Geschäfte der Camorra offenlegte. Über zehn Millionen Exemplare wurden weltweit verkauft. Die Mafia aus dem Umland Neapels, der Heimat Savianos, hatte beste Verbindungen in die Politik und bereicherte sich nicht nur mit Drogenhandel, sondern auch mit Investitionen etwa im Baugeschäft. Vor Saviano wussten darüber Anti-Mafia-Staatsanwälte Bescheid, nach „Gomorrha“ wussten es alle, die wollten. Der damals erst 26 Jahre alte Autor klagte die Camorra in der Öffentlichkeit an. Es war ein ungleicher Kampf. Der junge Italiener bezahlte einen hohen Preis.
"Vielleicht wäre es besser gewesen, wenn sie mich umgebracht hätten"
Gomorrha war damals im März erschienen. Im September wagte es Saviano, die Bosse direkt herauszufordern. Auf einer Lesung rief der junge Mann die Namen der Clan-Oberhäupter aus und forderte die Bevölkerung auf, sich gegen die Mafia-Herrschaft zu erheben. Nie zuvor hatte es so etwas in Italien gegeben. Einen Monat später verfügte der Innenminister, der Autor müsse künftig mit drei Personenschützern unterwegs sein. Savianos Leben war bedroht. Über seine Existenz als leichte Beute auf der Flucht hat Saviano schon häufiger berichtet. Nun gab der 42-Jährige einen tiefen Einblick in sein Inneres. „Seit langer Zeit tue ich so, als sei ich resistent gegen Feuer, aber meine Seele ist völlig verbrannt“, schrieb Saviano im Corriere della Sera.
Der Schriftsteller war selbst Protagonist im „Spartakus“-Prozess, in dem 16 Camorra-Bosse zu lebenslanger Haft verurteilt wurden. 2008 beschuldigten die Mafiosi Saviano und seine Journalisten-Kollegin Rosaria Capacchione in einer öffentlichen Anhörung vor Gericht. „Die Strategie war, mich zum Schweigen zu bringen“, schreibt Saviano nun. Das Innenministerium stockte die Leibwächter des Schriftstellers auf fünf Personenschützer auf. Saviano ging ins Ausland und kam nur für Termine in seine Heimat. Ein „verstümmeltes Leben“, nennt der 42-Jährige seine Existenz seither. „Vielleicht wäre es besser gewesen, wenn sie mich umgebracht hätten. Ich habe das gedacht und denke es immer noch.“ Vor Wochen bestätigte ein Gericht in seiner Urteilsbegründung die objektive Lebensbedrohung Savianos und seiner Kollegin als Teil der Camorra-Strategie.
Die Abrechnung des Autors Roberto Saviano war radikal
Zugesetzt haben dem Neapolitaner offenbar nicht nur die ständige Flucht vor der Mafia, das ständige Wechseln von Wohnorten, erzwungene Auslandsaufenthalte und der Abbruch sozialer Beziehungen. Sondern auch der Misskredit, mit dem ihn ein Teil seiner Landsleute bedachte, vielleicht sogar als Folge der Mafia-Strategie. „Ich möchte alle anbrüllen, die mein Leben unter Personenschutz instrumentalisieren, die behaupten, ich würde das Bild Kampaniens und des Südens beschmutzen“, schrieb der Autor. Immer wieder äußern sich Personen in diese Richtung, auch öffentlich. Der Chef der rechten Lega, Matteo Salvini, hatte als Innenminister über die Notwendigkeit der Leibwächter für Saviano spekuliert. Saviano hatte zuvor die einst sezessionistische Lega beschuldigt, die Mafia zu unterschätzen, die zwar im Süden ihre Basis habe, aber in Norditalien ihre Geschäfte macht.
Savianos Abrechnung ist radikal. Als „Bastarde“ bezeichnete er seine Kritiker und er geht auch mit sich selbst und seinen Landsleuten hart ins Gericht. Es sei naiv gewesen, zu glauben, als Schriftsteller einen Wandel herbeiführen zu können. Je mehr vom Einfluss der Organisierten Kriminalität die Rede sei, „desto mehr schämt sich dieses Land“. Er sei kein Held, sondern verachte sich selbst. „Dafür, dass ich mein Leben nicht retten konnte, dass ich nicht geschwiegen, sondern weiter gekämpft habe.“