Startseite
Icon Pfeil nach unten
Panorama
Icon Pfeil nach unten

Interview: Macht die Coronakrise uns alle zu Egoisten, Frau Prieß?

Interview

Macht die Coronakrise uns alle zu Egoisten, Frau Prieß?

    • |
    Psychotherapeutin Dr. Mirriam Prieß weiß, warum manche Menschen mit Egoismus auf die Coronakrise reagieren, während andere hilfsbereit sind.
    Psychotherapeutin Dr. Mirriam Prieß weiß, warum manche Menschen mit Egoismus auf die Coronakrise reagieren, während andere hilfsbereit sind. Foto: Benneochs

    Viele Menschen halten sich an die Corona-Schutzmaßnahmen, einige aber auch nicht. Manche horten sogar Klopapier oder Desinfektionsmittel, die andere dringend brauchen. Fördert diese Krise auch den Egoismus in der Gesellschaft?

    Dr. Mirriam Prieß: Was die Coronakrise am Ende mit uns macht, hängt von uns selbst und unseren Entscheidungen ab. Wir haben es in der Hand, ob wir auf diese Krise mit einem starken Miteinander reagieren oder ob wir zu ängstlichen Einzelkämpfern werden. Ein Wir ist aber immer stärker als ein einzelnes Ich.

    Kann man schon vorher abschätzen, wie eine Person auf eine Krise reagiert?

    Prieß: Das hängt davon ab, wie resilient jemand ist. Die Resilienz, die psychische Widerstandskraft, macht die Krisenfestigkeit aus. Mit ihr kann man Krisen auf Augenhöhe begegnen, ohne sich in ihnen zu verlieren, und kann das Bestmögliche daraus machen. Je weniger resilient ein Mensch ist, desto ängstlicher ist er. Und die, die Angst haben, kümmern sich in einem Schutz- und Verteidigungsreflex nur um sich selbst, um sich zu retten. Wer krisensicher ist, hat auch den anderen im Blick.

    Kann unsere Regierung das fördern?

    Prieß: Ja, das ist ganz wichtig. Und zwar unter anderem dadurch, dass sie den Dialog fördert und selbst verkörpert: Dass sie offen und interessiert für die Angst der Menschen ist und sich in deren Lage einfühlt und mitfühlt. Ohne Empathie gibt es kein echtes Verstehen und Solidarität bleibt ein Lippenbekenntnis. Augenhöhe ist ein zentraler Aspekt, um Krisen zu meistern, um die Situationen realistisch zu beschreiben, ohne sie besser oder schlechter zu machen. Dazu gehört auch Transparenz, Dinge deutlich anzusprechen und klare Vorgaben zu machen.

    Und was kann jeder Einzelne tun, um gemeinsam gut durch die Krise zu kommen?

    Prieß: Dasselbe, den Dialog suchen. Dazu gehört auch Mitgefühl und Offenheit gegenüber den eigenen Ängsten. Nicht in Panik geraten, sondern die Augenhöhe bewahren. Ganz realistisch abschätzen, was die Fakten sind und was wir gemeinsam jetzt tun können. Mitgefühl und Interesse für diejenigen zeigen, die besonders gefährdet sind. Wir müssen uns fragen: Wie kann Unterstützung aussehen? Wie geht es den Erkrankten und denjenigen, die in Quarantäne sind, die alleine sind? Auch dort kommen häufig Ängste hoch. Was ist mit all denen, die um ihre Existenz fürchten? Wir müssen all diejenigen wertschätzen, die in dieser Zeit an vorderster Front kämpfen. Wir müssen aktiv miteinander das Wir gestalten. Da können wir ganz viel tun.

    Haben Sie sich in den vergangenen Tagen und Wochen über eine Reaktion der Menschen auf die Krise besonders gefreut?

    Prieß: Mir ging das Herz auf, als ich las, wie die Italiener auf ihren Balkonen gemeinsam gesungen haben und als es in der Nacht einen Applaus gab für all diejenigen, die in dieser schwierigen Situation helfen. Aber ich freue mich auch über Kleinigkeiten wie über den Post mit der Bahnangestellten, die in dieser schwierigen Zeit trotzdem dabei bleibt. Es wird noch viel zu wenig über solche Dinge berichtet. Es sind gerade solche Momente der Begegnung, die wir brauchen, um gemeinsam eine Krise zu überstehen.

    Hat die Krise auf Ihre Patienten einen besonderen Einfluss?

    Prieß: Ja. Die Krisenstimmung berührt vergangene Krisen. Verdrängte Gefühle brechen auf und Unsicherheiten treten zum Vorschein. Die Menschen kommen an ihre verdrängten Erlebnisse, bei denen sie keine Kontrolle hatten, an ihre verdrängten Ängste. Dies können auch Situationen aus der Kindheit sein, frühere Verluste oder unverarbeitete Trennungen. Die Narbe, die sich langsam über die Wunde gebildet hat, wegen der sie zu mir gekommen sind, fängt an zu schmerzen. Die Situation einer möglichen Lebensbedrohung lässt viele vorherigen Konflikte aber auch plötzlich in einem anderen Licht erscheinen. Die Betroffenen werden weicher, sehen stattgefundene Kränkungen in einem anderen Licht und eine andere Wertigkeit tritt in ihrem Leben ein. Das sind dann die Momente, wo aus leidvollen Situationen heilsame Veränderungen entstehen.

    Zur Person: Dr. Mirriam Prieß ist Ärztin, Unternehmensberaterin und Buchautorin aus Hamburg. Sie berät Führungskräfte und Unternehmen im Umgang mit Krisen und Konflikten und hält Vorträge und Seminare für erfolgreiches Stress- und Gesundheitsmanagement.

    Über alle Entwicklungen informieren wir Sie auch immer in unserem Live-Blog.

    Lesen Sie zu diesem Thema auch:

    Wie verändert sich die Arbeit von Journalisten in Zeiten des Coronavirus? In einer neuen Folge unseres Podcasts geben wir einen Einblick.

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden