Im Fall des massenhaften sexuellen Missbrauchs von mindestens 23 Kindern auf einem Campingplatz in Nordrhein-Westfalen ermittelt die Staatsanwaltschaft Detmold jetzt auch gegen die Polizei des Kreises Lippe. Der Grund: Nach Auskunft von Oberstaatsanwalt Ralf Vetter gab es bereits 2016 Hinweise von zwei Zeugen zum möglichen sexuellen Missbrauch eines Pflegekindes durch den Hauptbeschuldigten. Die Polizei habe den Hinweis an das Jugendamt Lippe weitergeleitet. Polizeiliche Ermittlungen habe es aber nicht gegeben.
"Wir prüfen jetzt, ob die Polizei nicht weitere Schritte hätte einleiten müssen", sagt Vetter. Mehrere Medien hatten zuvor über die Hinweise von 2016 berichtet. "Ein Zeuge hatte sich im August 2016 telefonisch an die Polizei, das Jugendamt und den Kinderschutzbund gewandt", sagte Vetter am Donnerstag der Deutschen Presse-Agentur.
Im November 2016 erfolgte eine weitere Meldung durch eine Mitarbeiterin des Jobcenters Blomberg an die Polizei und das Jugendamt Lippe. Dabei ging es laut Vetter um Äußerungen des Pflegevaters, die auf sexuellen Missbrauch des Kindes hindeuten konnten. Auch in diesem Fall reichte die Polizei den Hinweis an das Jugendamt weiter. Weitere Ermittlungen oder ein Hinweis an die Staatsanwaltschaft erfolgten nicht.
Nach Missbrauch auf Campingplatz: Meldepflicht für Provider gefordert
Auch Internetanbieter stehen seit dem Fall im Fokus. Der zustndige Beauftrage der Bundesregierung hat seine Forderung nach einer Meldepflicht bekräftigt. Wenn diese auf kinderpornografisches Material stießen, sollten sie es dem Bundeskriminalamt (BKA) melden, sagte Johannes-Wilhelm Rörig dem Westfalen-Blatt.
Der Missbrauchsbeauftragte hatte schon im vergangenen Juni die Einführung einer Meldepflicht für Internet-Provider verlangt. Bisher kämen in Deutschland Meldungen zu Missbrauchsdarstellungen vor allem vom US-Zentrum für vermisste und ausgebeutete Kinder (National Center for Missing and Exploited Children, NCMEC), weil in den Vereinigten Staaten eine gesetzliche Meldepflicht gelte, erklärte er damals. Auch deutsche Anbieter sollten gesetzlich verpflichtet werden, Verdachtsfälle auf Kinder- und Jugendpornografie an eine zentrale Stelle - zum Beispiel beim BKA - zu melden, hatte Rörig gefordert.
Lügde: Kinder auf Campingplatz missbraucht und gefilmt
Im Fall Lügde gehen die Ermittler der neunköpfigen Ermittlungskommission "Camping" von weiteren möglichen Tätern aus. Zumindest sei es eher unwahrscheinlich, dass das Material nicht noch an weitere Personen weitergegeben wurde, erläuterten die Ermittler am Mittwoch. Der Hauptverdächtige war Anfang Dezember festgenommen worden, zwei weitere Tatverdächtige wurden am 10. und 11. Januar dingfest gemacht.
Die Staatsanwaltschaft wirft den drei Männern schweren sexuellen Missbrauch von Kindern vor. Zwei der Verdächtigen aus NRW im Alter von 56 und 33 Jahren sollen auf dem Campingplatz nahe der Landesgrenze zu Niedersachsen die Kinder im Wechsel gefilmt und missbraucht haben. Ein dritter Mann aus Stade in Niedersachsen soll als Auftraggeber aufgetreten sein. Der 46-Jährige war wohl selbst nie vor Ort in Lügde.
Mindestens 23 Missbrauchsopfer
Seit 2008 waren den bisherigen Erkenntnissen zufolge mindestens 23 Kinder im Alter von 4 bis 13 Jahren in mehr als 1000 Fällen zu Opfern geworden. Die Ermittler gehen davon aus, dass sich viele Betroffene noch nicht gemeldet haben. "Wie hoch die Dunkelziffer ist, können wir seriös derzeit nicht sagen", erklärte der Leiter der Ermittlungskommission, Gunnar Weiß.
"Dem Opferschutz und der Opfernachsorge räumen wir einen hohen Stellenwert ein", sagte Achim Tietz als Leiter des zuständigen Kriminalkommissariats. "Wir haben entsprechende Hilfen für die Kinder, für betroffene Angehörige, aber auch für unsere Kolleginnen und Kollegen der Ermittlungskommission "Camping" angeboten."
Neben dem Vorwurf des schweren sexuellen Missbrauchs verfolgen die Ermittler zwei weitere Stränge. Zum einen geht es um die Verbreitung von Kinderpornografie im Internet. Bei den Verdächtigen stellte die Polizei auf zahlreichen Datenträgern Beweismaterial mit einem Datenvolumen von 14 Terabyte sicher, wobei nur ein Teil der Fotos und Videos in Lügde entstand. Das Bundeskriminalamt hat Material aus anderen Fällen identifiziert.
Zum anderen schaut sich die Staatsanwaltschaft das Verhalten der Jugendämter im Kreis Lippe und im benachbarten niedersächsischen Landkreis Hameln-Pyrmont an. "Wir überprüfen, ob die Behörden Fehler gemacht haben", sagte der Detmolder Oberstaatsanwalt Ralf Vetter dazu am Mittwoch. (dpa/AZ)