Startseite
Icon Pfeil nach unten
Panorama
Icon Pfeil nach unten

Literatur-Nobelpreis: Wer ist Herta Müller?

Literatur-Nobelpreis

Wer ist Herta Müller?

    • |
    Herta Müller hat den Literatur-Nobelpreis gewonnen.
    Herta Müller hat den Literatur-Nobelpreis gewonnen. Foto: dpa

    Berlin (dpa) - Die diesjährige Literatur-Nobelpreisträgerin Herta Müller wird als Meisterin der lyrischen Prosa angesehen. Ihre Kindheit in Rumänien erlebte sie als Schule der Angst und legt davon in ihren Werken beredt und bedrückend Zeugnis ab. Auch ihr gerade erschienener Roman "Atemschaukel" (Hanser Verlag) rückt ihr persönliches Schicksal in den Mittelpunkt.

    Thema ist die in ihrer Heimat lange Zeit tabuisierte Deportation deutschstämmiger Rumänen am Ende des Zweiten Weltkriegs und in den Jahren danach in die damalige Sowjetunion. Auch Müllers Mutter war fünf Jahre im Arbeitslager. Müller ist mit dem Roman auch für den diesjährigen Deutschen Buchpreis nominiert, der in der kommenden Woche verliehen wird.

    Das Buch, das mit dem Satz "Alles, was ich habe, trage ich bei mir" beginnt, wurde von manchen Kritikern schon als "Meisterwerk" gepriesen. Der Erfolg stärkte diesmal die Favoritenrolle Müllers für den Nobelpreis, für den sie bisher eher nur als Außenseiterin gehandelt worden war.

    Der Roman basiert auf den Gesprächen Müllers mit ehemals Deportierten. Zweite wichtige Quelle sind die autobiografischen Texten des 2006 gestorbenen Büchner-Preisträgers Oskar Pastior, an denen die beiden Autoren gemeinsam gearbeitet hatten. Mit dem jetzigen Erfolg ihres Buches hatte sie nicht gerechnet. "Alle Welt spricht von 20 Jahren Mauerfall und dann komme ich mit einer alten Deportationsgeschichte", sagte sie der dpa einen Tag vor der Nobelpreisentscheidung in Berlin dazu.

    "Oskar Pastior hätte es natürlich sehr gefreut, vielleicht sogar mehr als mich. Ohne ihn und seine detaillierten Erzählungen aus dem Lageralltag hätte ich das Buch auch gar nicht schreiben können. Er wollte aber, dass es das Buch gibt. Es war meine Trauerarbeit, darüber darf man eigentlich auch kein schlechtes Buch schreiben."

    Und, wie sie es in ihrem jüngsten Roman dem 17-jährigen Protagonisten in den Mund legt: "Ich habe mich so tief und so lang in Schweigen gepackt, ich kann mich in Worten nie auspacken. Ich packe mich nur anders ein, wenn ich rede."

    Sie bewunderte Pastiors Haltung in einer aussichtslosen Lage, die er als "Nullpunkt der Existenz" empfand. "Er zog nicht den Kopf ein. Er ließ nicht einfach alles mit sich geschehen." Das galt auch für Schriftstellerkollegen wie den ungarischen Nobelpreisträger Imre Kertész und das gilt auch für Herta Müller. Es ist ihr Lebensthema.

    Seit Anfang der 90er Jahre und der Übersetzung ihrer Werke in mehr als 20 Sprachen gehört die Frau, die nie Schriftstellerin werden wollte, mit Büchern wie "Der Fuchs war damals schon ein Jäger", "Herztier" und "Heute wäre ich mir lieber nicht begegnet" zu den wichtigen Autoren im internationalen Literaturbetrieb. Und das, obwohl sie nach eigenen Worten eine Biografie hat, mit der man "hierzulande nicht so richtig umgehen kann".

    Dabei begegne einem mit Herta Müller "starke Literatur und ein starker Mensch", meinte einmal der frühere Chef der Stasi- Unterlagenbehörde Joachim Gauck bei der Auszeichnung Müllers mit dem Literaturpreis der Konrad-Adenauer-Stiftung. Die Autorin habe dem Dunkel des Ostens viele Melodien abgelauscht, nicht zuletzt jene, "die uns schwer auf die Seele fallen, weil sie an das Geräusch der Ketten erinnern". Immer protestierte Herta Müller gegen verordnetes Denken und entmündigtes Sprechen.

    Das Lebenswerk der heute 56-jährigen deutsch-rumänischen Autorin ist von den Erfahrungen mit der Diktatur und dem Gefühl der Fremdheit in der eigenen Heimat geprägt. Für die Banater Schwäbin wurde es nie zum Heimatland. Ihre Bücher zeugen vom Schreiben gegen das Vergessen, die dunklen und schmerzhaften Erinnerungen an eine düstere Vergangenheit im totalitären System des Ceausescu-Regimes, dem die im seinerzeit deutschsprachigen

    Aber auch danach hat sie die Augen nicht verschlossen und Bedrohungen aufmerksam registriert. So gehörte sie in den 90er Jahren zu der Gruppe von Schriftstellern, die in Deutschland gegen Fremdenhass und Ausländerfeindlichkeit zu Lesungen in Asylbewerberheimen aufbrachen. "Ich kann mich nicht wegschleichen und will mich nicht täuschen, sondern das ertragen, was ich sehe", sagte sie einmal bei der Entgegennahme des Kleist-Preises. Das kennzeichnet auch das ganze Werk der Schriftstellerin mit dem messerscharfen Stil ihrer Texte.

    Herta Müller wurde am 17. August 1953 in Nitzkydorf im Kreis Temeschwar im lange Zeit deutschsprachigen Banat in Rumänien geboren. Weil sie eine Zusammenarbeit mit der rumänischen Geheimpolizei ablehnte, war sie jahrelang arbeitslos. Nach den Eingriffen der Zensur in ihr erstes Buch sowie nach Verhören und Wohnungsdurchsuchungen verließ sie 1987 schließlich ihre Heimat und siedelte in das damalige West-Berlin über. Schon 1984 war im Westen ihr Erzählband "Niederungen" erschienen, dessen Autorin Kritiker als literarische Entdeckung feierten. Gerühmt wurde ihre Mischung aus lyrischen Bildern, surrealen Szenen und lakonischen Mitteilungen.

    In "Niederungen" beschrieb Müller das Landleben der deutschsprachigen Banater Schwaben als "Anti-Idylle", aus der Perspektive des Kindes. Das für sie überraschend positive Echo auf das Buch in Deutschland irritierte sie: "Ich war überzeugt, verwechselt zu werden."

    Der später folgende Prosaband "Reisende auf einem Bein" entstand 1989 bereits in West-Berlin und spiegelt das Fremdsein in der neuen Heimat wider. Immer wieder muss sich Müller in ihren Werken den Schatten der Vergangenheit stellen. Der Alltag in einem totalitären System ist auch Thema ihres Romans "Der Fuchs war damals schon der Jäger" (1992). "Herztier" (1994) beschreibt das Leben der Oppositionellen in Rumänien.

    Als Fortsetzung ihrer "Chronik der Gewalt" bezeichneten Kritiker die 1997 erschienene Geschichte eines Verhörs "Heute wäre ich mir lieber nicht begegnet", ein Roman auch über Einsamkeit, Trunksucht, Angst und Verrat - nie verschwundene Alpträume der traumatisierten Schriftstellerin Herta Müller. Im Jahr 2000 erschienen die literarischen Collagen "Im Haarknoten wohnt eine Dame". 2003 veröffentlichte sie einen Essay-Band mit dem Titel "Der König verneigt sich und tötet" und 2005 die Text-Bild-Collagen "Die blassen Herren mit den Mokkatassen".

    Müller erhielt bereits zahlreiche Auszeichnungen, darunter den Kleist-Preis, den Ricarda-Huch-Preis der Stadt Darmstadt, den Marie- Luise-Fleißer-Preis der Stadt Ingolstadt, den Europäischen Literaturpreis Aristeon, den Franz-Kafka-Preis sowie den Joseph- Breitbach-Preis, den mit insgesamt 120.000 Euro höchst dotierten Literaturpreis für deutschsprachige Autoren. Seit 1995 ist Herta Müller Mitglied der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung. Wilfried Mommert

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden