Lebenslanger Kummer: Brechts Geliebte erinnert sich
Paula Banholzer, Geliebte von Bertolt Brecht, hat vor ihrem Tod Erinnerungen an ihr gemeinsames Kind Frank verfasst. Er ist eine der tragischsten Figuren aus Brechts engstem Umfeld. Von Jürgen Hillesheim
Er ist eine der tragischsten Figuren aus Brechts engstem Umfeld, sein und Paula Banholzers am 30. Juni 1919 geborener Sohn Frank. Brecht selbst äußerte sich über sein erstes Kind selten, und da auch Paula Banholzer stets zurückhaltend war, geriet Frank erst spät in das Blickfeld der Forschung.
Als sich um die Jahreswende 1918/1919 abzeichnete, dass Paula von Brecht schwanger war, wurde von deren Vater, dem Augsburger Arzt Dr. Carl Banholzer, verfügt, dass seine Tochter das Kind fern von Augsburg zur Welt bringen solle, um den gesellschaftlichen Skandal, der mit dieser unehelichen Schwangerschaft verbunden war, gering zu halten. So kam Paula im Frühjahr 1919 nach Kimratshofen im Allgäu, um hier ihre Schwangerschaft auszutragen.
Kurz nach Franks Geburt begann dessen Odyssee. Er wurde bei der Familie des Distriktwegmachers Xaver Stark aus Kimratshofen in Pflege gegeben. Brecht unternahm in den folgenden Jahren mehrere erfolglose Versuche, Frank bei seinem Vater und bei seiner neuen Geliebten, der Opernsängerin Marianne Zoff, für länger unterzubringen. Das Kind blieb bei Familie Stark.
Hin und her zwischen Augsburg und Wien
1922 ergaben sich für Frank mehrere Ortswechsel. Im Oktober 1922 war er doch kurz bei Brechts Vater in Augsburg in Pflege, dann war er eine Zeitlang bei Marianne Zoffs Eltern in Wien untergebracht. Hier sollte er später auch zur Schule gehen. Auch Brechts zweite Frau, Helene Weigel, kümmerte sich um den Jungen, ihr Vater unterstützte ihn finanziell, und bei einer der Schwestern der Weigel war er zeitweise bei Wien in Pflege. 1924 heiratete Paula Banholzer den Augsburger Kaufmann Hermann Gross. Dieser weigerte sich, Brechts Sohn aufzunehmen. 1926 wurde Brecht vom Amtsgericht Charlottenburg verurteilt, für Frank Unterhaltszahlungen von jährlich 480 Reichsmark zu leisten.
In Friedberg trat Frank 1935 eine Lehre im kaufmännischen Bereich an und wohnte zur Untermiete. Im Oktober 1939 wurde er zum Kriegsdienst eingezogen. Er starb am 13. November 1943 in Russland bei einem Sprengstoffanschlag auf ein Wehrmachtskino.
Von der Familie ihres Mannes wurde Paula Banholzer der "Fehltritt", den sie mit Brecht hatte, nie verziehen. Ihr Kind wurde zu dessen Lebzeiten ausgegrenzt und Paula selbst noch Jahrzehnte nach Franks Tod mit Verachtung gestraft. Das Thema Brecht galt zudem als tabu.
Ein Manuskript von neun Seiten
Möglicherweise ist es diese andauernde kränkende Situation, die Paula Gross, geborene Banholzer, dazu veranlasste, sich vor ihrem Tod im Jahre 1989 noch einmal ihren Erinnerungen und den Umgang der Familie mit ihr und ihrem Sohn zu stellen und dies unter dem schlichten Titel "Frank" schriftlich festzuhalten. So entstand ein neunseitiges Manuskript. Zeitliche Sprünge sind zu verzeichnen, manches ist redundant. Krankheit, vielleicht der nahende Tod machten weitere Aufzeichnungen unmöglich. So lautet der letzte Satz: "Leider kann ich nicht mehr richtig schreiben."
Die Erinnerungen enthalten neue Informationen: Anekdotisches, anrührende Einzelheiten wie den Umstand, dass Brecht einen "mühsamen Weg" kilometerweit von einer Bahnstation zu Fuß laufen musste, um bei Franks Geburt zugegen zu sein. Aber auch dessen Krankheitsgeschichte tritt nun klarer in den Vordergrund. Deutlich wird, dass zur Isolierung Franks wohl auch sein körperliches Gebrechen beigetragen hat.
Am beeindruckendsten erscheint die Authentizität, in der die Aufzeichnungen den über Jahrzehnte währenden Kummer auferstehen lassen, den Frank Banholzer als Heimatloser und allseits Verschmähter erlitten haben muss. Offensichtlich gab es noch mehr kurzfristige Stationen auf seinem Lebensweg, der an der Ostfront sein Ende finden sollte, als man bisher meinte. So war er als Kommunionkind, um 1928, wohl wieder in Kimratshofen.
"Ich konnte Frank nie besuchen", schreibt Paula Banholzer, "denn ich hatte ja kein Geld. Erst als Frank zur Kommunion kam, durfte ich hinfahren. Die Starks hatten Angst, ich würde Frank mit heimnehmen, denn sie hingen sehr an dem Kind. Einmal durfte Frank nach Augsburg kommen. Man musste ihn ja nun einkleiden. Er ging aber wieder gerne nach Kimratshofen."
Frank Banholzers Halbbruder Gerhard Gross hat die Aufzeichnungen aus dem Nachlass seiner Mutter zur Verfügung gestellt. Dafür gebührt ihm großer Dank.
Jürgen Hillesheim ist Leiter der Augsburger Brecht-Forschungsstätte
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