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Kriminalität: Schwaben ist regionaler Mafia-Schwerpunkt

Kriminalität

Schwaben ist regionaler Mafia-Schwerpunkt

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    Die Festnahme von Camorra-Mitglied Mariano Abete in Neapel Ende November war ein Erfolg für die italienische Polizei. Ihren deutschen Kollegen sind hingegen oft die Hände gebunden.
    Die Festnahme von Camorra-Mitglied Mariano Abete in Neapel Ende November war ein Erfolg für die italienische Polizei. Ihren deutschen Kollegen sind hingegen oft die Hände gebunden. Foto: Ciro Fusco, dpa

    Sommer 1991. Drei der fünf Schüsse trafen Libero Grassi direkt in den Kopf. Die Cosa Nostra ermordete den sizilianischen Textilunternehmer auf offener Straße. Grassi hatte sich geweigert, pizzo – Schutzgeld – zu zahlen. Stattdessen zeigte er die Mafia an und ließ in der Zeitung Giornale di Sicilia einen Brief an die „lieben Erpresser“ mit einer klaren Botschaft abdrucken: „Ich bezahle euch nichts.“ Am Ende bezahlte Grassi – mit seinem Leben.

    Einen Teil der Jahreseinnahmen von 140 Milliarden macht die Mafia in Deutschland

    Palermo, gut 21 Jahre später. „In der Vergangenheit war die Cosa Nostra hier präsenter“, erzählt ein Sizilianer und nippt an seinem Nero d’Avola, „man hat ihre Anwesenheit gespürt.“ Andere Palermitaner am Tisch pflichten bei. Sie haben die vielen Mafia-Attentate der 80er und 90er Jahre im Kopf. Heute ist es ruhiger geworden um die Cosa Nostra und auch um die anderen großen italienischen Mafiasyndikate wie die ’Ndrangheta oder die Camorra – doch die Ruhe ist trügerisch, darin sind sich Experten einig. 140 Milliarden Euro nimmt die italienische Mafia Schätzungen zufolge jährlich ein. Und ein Teil des Umsatzes wird längst in Deutschland gemacht.

    Nördlich der Alpen ist man mittlerweile alarmiert. „Schutzgelderpressung ist deutsche und bayerische Realität“, sagt etwa Harald Schneider. Der SPD-Landtagsabgeordnete und ehemalige Polizist steht mit den „Kollegen“, wie er die Ermittler bis heute nennt, in engem Kontakt. Er ist sich sicher: „Wir haben in Bayern ein Problem mit Organisierter Kriminalität aus Italien.“

    Die Gastronomen verpflichten sich, kein Geld zu zahlen

    Laura Garavini, Mitglied der Antimafia-Kommission im italienischen Parlament, bestätigt Schneiders Einschätzung. Sowohl das Bundeskriminalamt als auch italienische Ermittler seien zu der Erkenntnis gelangt, dass Bayern ein Stützpunkt der IOK, wie die italienische Organisierte Kriminalität abgekürzt wird, sei. Deshalb wollen Schneider und Garavini nun die Initiative „Mafia? Nein danke!“ auch in München etablieren. Die 46-jährige Italienerin rief die Bewegung 2007 ins Leben. Die Idee dahinter: Die teilnehmenden Gastronomen und Unternehmer unterzeichnen eine Selbstverpflichtung, jeden Versuch von Schutzgelderpressung anzuzeigen.

    "Mafia? Nein danke!" nach sizilianischem Vorbild

    In den kommenden Monaten wollen Schneider und Garavini italienische Geschäftsleute in München zu einem ersten Vorbereitungsgespräch einladen. „Wir werden viel Überzeugungsarbeit leisten müssen“, glaubt Schneider. Einige Italiener hätten die Befürchtung, dass eine Teilnahme bei „Mafia? Nein danke!“ für die Öffentlichkeit einem Eingeständnis gleichkäme, dass alle Italiener in irgendeiner Form mit der Mafia in Verbindung stünden.

    Dabei hat „Mafia? Nein danke!“ ein sizilianisches Vorbild. Unweit des Hauptbahnhofs von Palermo hat die Organisation „Addiopizzo“ – zu Deutsch „Tschüs, Schutzgeld“ – ihren Sitz. Christine, eine Praktikantin aus Augsburg, öffnet die Tür und führt in Räume, die an ein Jugendzentrum erinnern. Auf nicht mehr ganz neuen Sofas sitzen freundliche Männer, Sizilianer um die 30. Einer von ihnen ist Daniele Marannano. Er gehörte einer Gruppe Studenten an, die 2004 Palermo über Nacht mit Aufklebern tapezierte. „Ein ganzes Volk, das pizzo bezahlt, ist ein Volk ohne Würde“, war auf ihnen zu lesen. Aus der Aufkleberaktion wurde die Bewegung „Addiopizzo“, der sich bis heute 754 Läden und Unternehmen in Palermo angeschlossen haben. Doch auch in der sizilianischen Heimat der Mafia mussten die Händler erst überzeugt werden, sich offen gegen die Mafia zu positionieren. „Schutzgeld ist in Italien ein Tabuthema“, sagt Daniele Marannano.

    Hauptaktivitätsfelder Drogenhandel und Geldwäsche

    Dass Italiener in Bayern um ihr Image fürchten, wenn sie sich „Mafia? Nein danke!“ anschließen, kann Marannano aber nicht nachvollziehen. „Wenn man einen Aufkleber an der Tür hat, der aussagt, dass man kein Schutzgeld zahlt, heißt das doch nicht automatisch, dass man jemals Kontakt zur Mafia hatte.“ Und „Addiopizzo“ gilt in Italien seit langem als erfolgreich: Wie Ex-Mafiosi, die nun mit der Polizei zusammenarbeiten, in Verhören angaben, würden Unternehmen, die auf der „Addiopizzo“-Liste stehen, von der Mafia in Ruhe gelassen.

    Allerdings: Genauso wenig wie die Mafia nicht nur in italienischen Städten ihr Unwesen treibt, sondern eben auch in weiten Teilen Westeuropas, genauso wenig ist auch das Schutzgeld nicht das einzige Geschäft der sogenannten ehrenwerten Gesellschaft. In einem aktuellen Bericht des BKA werden zu den „Hauptaktivitätsfeldern“ der italienischen Mafia in Deutschland Kokainhandel, Fälschungskriminalität und Geldwäsche gezählt.

    Schwaben ist regionaler Mafia-Schwerpunkt

    Dass sich das Mafiaproblem in Deutschland nicht auf die Metropolen der Republik beschränkt, zeigt ein Blick auf einen Bericht des bayerischen Innenministeriums. Etwa „65 mutmaßliche Mitglieder der IOK“, die im Freistaat amtlich gemeldet sind, seien den Sicherheitsbehörden bekannt. In diesem Zusammenhang wird auch der Regierungsbezirk Schwaben als ein „regionaler Schwerpunkt“ für Angehörige der ’Ndrangheta, Camorra und Sacra Corona Unita genannt.

    Insgesamt wurde laut dem Bericht in den vergangenen fünf Jahren in 25 Fällen gegen „italienische Tätergruppen“ in Bayern ermittelt. In 15 Verfahren konnten Bezüge zu italienischen Mafiasyndikaten nachgewiesen werden – namentlich zu ’Ndrangheta, Camorra und Cosa Nostra. „Die letzte Mafia-Verurteilung hier in der Region war im Jahr 2008“, sagt Christian Owsinski vom Polizeipräsidium Schwaben. Beim bayerischen Innenministerium sind für das Berichtsjahr 2011 die Polizeipräsidien Schwaben Nord und Schwaben Süd/West in jeweils einem Fall als „ermittlungsführende Dienststelle“ aufgeführt.

    Der Polizei sind oft die Hände gebunden

    „Könnten wir ordentlich ermitteln, wären die Zahlen viel höher“, kommentiert Harald Schneider die Statistik. Gleiches gelte für die 2,7 Millionen Euro, die das Innenministerium als „nachweisbare Erträge“ von IOK-Gruppierungen für das Jahr 2011 ausweist. In Ermittlerkreisen geht man laut Schneider von einem Vielfachen dessen aus. „Die Polizei weiß von vielen krummen Geschäften, aber den Kollegen sind oft die Hände gebunden.“

    Was Schneider meint, sind die Rahmenbedingungen der Zusammenarbeit zwischen deutschen und italienischen Behörden. „Deutsche und italienische Ermittler dürfen bisher nicht auf Arbeitsebene zusammenarbeiten“, erklärt er. Bei allen Rechtshilfeersuchen müsse der offizielle Dienstweg – über LKA, BKA und Generalstaatsanwaltschaften – eingehalten werden. Ein Prozedere, das oft lange dauert. Die Folge: Ermittlungen werden in die Länge gezogen, das Ermittlungsergebnis werde so gefährdet.

    Erneuerbare Energien sind ein besonders attraktives Feld

    Ein weiteres Problem der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit: In Deutschland gilt die Unschuldsvermutung für jeden – auch für Mafiosi. Italien dagegen hat für Mafia-Angehörige eine Beweislastumkehr eingeführt: So muss ein Verdächtiger gegebenenfalls beweisen, dass er seine Villa, sein Auto oder andere Besitztümer mit legalen Mitteln finanziert hat. Kann er das nicht, hat die Justiz die Möglichkeit, das Vermögen einzuziehen. Alleine 2011 haben die italienischen Mafiajäger Immobilien und Luxusgüter im Gesamtwert von über vier Milliarden Euro beschlagnahmt, teilte jüngst das Innenministerium in Rom mit.

    Mafia-Paradies Deutschland

    „Deutschland ist ein Paradies für die Mafia“, mahnt denn auch Mafiajägerin Laura Garavini. Es sei Geld zu holen und die Polizei sei in ihren Möglichkeiten eingeschränkt. Die Mafia habe sich globalisiert, die Ermittler aber nicht. Wie international die Mafia agiert, erklärt Garavini am Beispiel eines Windparks in Kalabrien. Den habe die ’Ndrangheta mithilfe von Scheinfirmen – die meisten als GmbHs in Deutschland gegründet – gebaut. Das System: Die Mafia pumpt Gelder aus illegalen Geschäften in die Tarnunternehmen, das diese dann in legale Geschäfte investieren. Die erneuerbaren Energien sind für die Mafia dabei ein besonders attraktives Feld, bringen doch Investitionen in nebenbei gleich Fördergelder aus öffentlicher Hand mit ein.

    Da die strafrechtliche Verfolgung einer juristischen Person, wie einer GmbH, in Deutschland nicht möglich sei, sei das Risiko für die Mafia minimal, so Garavini. Ein EU-Rahmenbeschluss von 2008, der genau das ändern soll, sei von Deutschland nicht umgesetzt worden. „So werden Gesetzeslücken genutzt, um Geld zu waschen und sich zu bereichern“, sagt Garavini. Deutschland habe das Mafiaproblem zwar erkannt, dennoch bleibe viel zu tun. „Man darf nicht auf ein zweites Duisburg warten.“ In Duisburg starben in den Morgenstunden des 15. August 2007 sechs Menschen im Kugelhagel. Hintergrund der Tat war die Fehde zweier verfeindeter ’Ndrangheta-Familien.

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