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Kriminalität: Er hatte keine Angst: Peter de Vries erliegt Verletzungen

Kriminalität

Er hatte keine Angst: Peter de Vries erliegt Verletzungen

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    Vor zwei Tagen haben sich Kelly und Royce de Vries im Fernsehen an das niederländische Volk gewandt. Die Geschwister bedankten sich für die Anteilnahme am Schicksal ihres Vaters, für die vielen Blumen, Karten und Kerzen. Es schien, als gebe es noch Hoffnung für Peter de Vries, den Star-Reporter, den das ganze Land wegen seines unermüdlichen Einsatzes für Verbrechensopfer und Gerechtigkeit kannte. Kelly de Vries sprach von „viel Unsicherheit“, was seinen Zustand betrifft.

    Jetzt herrscht schreckliche Gewissheit. Peter de Vries ist tot. „Peter hat gekämpft bis zum Ende, aber er konnte den Kampf nicht gewinnen“, heißt es in einer Erklärung der Familie. Zehn Tage kämpfte der 64-jährige Journalist auf der Intensivstation um sein Leben, nachdem er mitten in Amsterdam niedergeschossen worden war. De Vries hatte da gerade ein Fernsehstudio verlassen. Zwei Männer, ein 35-jähriger Pole mit Wohnsitz im Ort Maurik im Südosten des Landes, sowie ein 21 Jahre alter Mann aus Rotterdam waren kurz nach der Tat festgenommen worden. Einer von ihnen soll der Schütze gewesen sein.

    Mord an Peter R. de Vries: Polizei hat sich noch nicht zu Hintergründen geäußert

    Die Polizei hat sich bisher nicht zu den Hintergründen der Tat geäußert. Alles weist aber darauf hin, dass der Anschlag mit einem Prozess im „Bunker“ zu tun hat. So nennen die Menschen in Amsterdam das schmucklose Gebäude im Viertel Osdorp. Ein Bürogebäude im Stil der 1990er Jahre, zwei Stockwerke, kleine Fenster. Kaum vorstellbar, dass hier den größten Auftragskillern, Drogenbossen und Waffenhändlern der Niederlande der Prozess gemacht wird.

    Peter R. de Vries kam oft hierher. Erst vor wenigen Wochen hatte der Reporter den „Bunker“ betreten, mit Rosinenbrötchen in einer Plastiktüte für die Mittagspause. Er besuchte den großen Prozess gegen eine Drogenbande. Denn de Vries war Vertrauensperson des Kronzeugen. 17 Personen sind in diesem sogenannten Marengo-Prozess angeklagt, es ist eines der größten Verfahren der Justizgeschichte der Niederlande. Die Drogenbande soll auch verantwortlich sein für mehrere Auftragsmorde.

    Polizei steht vor dem »De Bunker« genannten Hochsicherheitsgericht im Viertel Osdorp, in dem der Marengo-Prozess stattfindet.
    Polizei steht vor dem »De Bunker« genannten Hochsicherheitsgericht im Viertel Osdorp, in dem der Marengo-Prozess stattfindet. Foto: Robin Utrecht, dpa/ANP (Archivbild)

    Hauptangeklagter ist der Unterweltboss Ridouan Taghi. 43 Jahre lang stand er auf der „Most Wanted“-Liste von Europol, bis er im Dezember 2019 in Dubai festgenommen und an die niederländische Justiz überstellt wurde. Die Staatsanwaltschaft beschuldigt Taghi, die kriminelle Vereinigung wie eine „gut geölte Tötungsmaschine“ geführt zu haben.

    Taghi, Niederländer marokkanischer Herkunft, gilt als einer der größten Drogenbosse. Seine Bande war in den „Mocro-Krieg“ verwickelt. Seit 2012 hatten sich Bandenmitglieder blutig befehdet wegen einer am Rotterdamer Hafen verschwundenen Ladung von 200 Kilogramm Kokain. Jahrelang wurde das Land aufgeschreckt von mehr als 30 Liquidierungen, Schießereien und Verfolgungsjagden. Längst ist dieser Mocro-Krieg verfilmt – als erfolgreiche TV-Serie „Mocro Maffia“. Killer sind leicht zu finden, sagen Ermittler. Für ein paar tausend Euro gebe es genug junge Männer in sozial prekären Vierteln, die jemanden umlegen würden.

    Marengo-Prozess: Bruder und Anwalt des Kronzeugen erschossen

    2017 fand der Bandenkrieg ein vorläufiges Ende. Nabil B., ein Komplize von Taghi, schloss einen Deal mit der Justiz. Für eine neue Identität und vermutlich auch eine Stange Geld war er bereit auszupacken. Kurze Zeit später aber wurde sein Bruder Reduan B., der eine Werbeagentur besaß und nichts mit den Geschäften von Nabil zu tun hatte, getötet. Der Mörder hatte sich zu einem Bewerbungsgespräch angemeldet und Reduan erschossen, von hinten, mit sechs Kugeln.

    Und im September 2019 wurde der Anwalt Derk Wiersum vor seinem Haus in Amstelveen ermordet. Wiersum war der Verteidiger des Kronzeugen Nabil B. Für Justizminister Ferd Grapperhaus war damit die Grenze erreicht. „Dies ist ein Angriff auf den Rechtsstaat“, sagte er und erklärte dem Organisierten Verbrechen den Krieg. Eine Sondereinheit wurde gebildet, 150 Millionen Euro wurden investiert. Doch viel hat es nicht gebracht, stellt das Nachbarland nun fest nach dem Mordanschlag auf seinen berühmtesten Kriminalreporter.

    „Die Niederlande sind ein Narco-Staat, in dem Drogenkriminelle zu viel Macht erlangt haben“, kommentierte die Zeitung de Volkskrant jüngst ernüchtert. Schon länger warnen Experten davor, dass die Unterwelt das legale Leben infiltriert und untergräbt – die Wirtschaft, die Verwaltung. „Es ist inzwischen schon normal geworden, dass Journalisten, Politiker und Bürgermeister bedroht werden“, sagte der Chef der Polizeigewerkschaft, Jan Struijs, dem TV-Nachrichtenmagazin Nieuwsuur.

    Ermordeter Starjournalist: Peter de Vries lehnte Personenschutz ab

    Peter de Vries erging es ständig so. Erst recht in seinem letzten „Fall“. Aber er lehnte Personenschutz ab. Schon in jungen Jahren, mit 22, nach Schule und Militärdienst, hatte er bei der Boulevard-Zeitung De Telegraaf als Reporter begonnen, wurde ein Jahr später nach Amsterdam versetzt und begegnete dort dem kriminellen Milieu, dem er nicht mehr entkommen konnte – und wollte.

    Als er 1987 die Wochenzeitung Aktueel als Chefredakteur übernahm, machte er daraus ein Kriminalmagazin, das 100.000 Gulden auf Hinweise im Fall eines verschwundenen Mädchens aussetzte. Es war der erste von vielen Grenzüberschreitungen, die de Vries in seinem Leben als Journalist, Fahnder und Autor bewusst beging, weil ihn das Ergebnis mehr interessierte als die Zuständigkeiten von Polizei und anderen staatlichen Stellen.

    Als de Vries 1991 seine Festanstellung aufgab und von da an frei für das Algemeen Dagblatt und die Wochenzeitung Panorama zu schreiben begann, war er bereits bekannt. Das Übrige tat seine TV-Sendung „Peter R. de Vries, Kriminalreporter“, die 1995 begann und bis zu ihrer Einstellung 2012 in mehr als 470 Folgen ausgestrahlt wurde. Sie wird zwar gerne mit dem deutschen Pendant „Aktenzeichen XY ...ungelöst“ verglichen, aber das ist falsch. De Vries gab sich nicht mit Spielszenen von Verbrechen zufrieden, er begab sich mit versteckter Kamera auf die Spur von mutmaßlichen Tätern in realen Fällen.

    „Die einzige Voraussetzung für den Triumph des Bösen ist, dass gute Menschen nichts tun“, zitierte de Vries dazu etwas pathetisch den Schriftsteller Edmund Burke. Er ergänzte: Wenn er nichts tue, könne er nicht mehr in den Spiegel sehen. Klar war aber da schon: Das organisierte Verbrechen war längst viel mächtiger, als viele Peter de Vries leisten konnten. Längst sind die Niederlande bei der Produktion von synthetischen Drogen und beim Handel mit Kokain eine der wichtigsten Drehscheiben Europas, sagt Sascha Strupp, Drogenexperte bei Europol in Den Haag. „Ein Grund ist die ausgezeichnete Logistik.“ In dem Handelsland profitiert eben auch das Organisierte Verbrechen vom gut ausgebauten Straßennetz und vom Rotterdamer Hafen – dem größten Europas.

    Kokain: Drogendealer haben in den Niederlanden Infrastruktur aufgebaut

    Kokain wird oft in Containern versteckt zwischen Bananen oder Autoteilen geschmuggelt. Korrupte Hafenbeamte verschaffen den Kriminellen Zugang zu den Containern. Die schnappen sich die gefüllten Sporttaschen und verschwinden, wie Strupp erklärt. Und jedes Jahr wird es mehr. 2020 entdeckten die Fahnder 40.000 Kilogramm Drogen am Hafen. Die Banden haben eine komplette Infrastruktur aufgebaut für Produktion und Vertrieb.

    Im vergangenen Jahr etwa wurde im Dorf Nijeveen im Osten des Landes die bisher größte Kokain-Wäscherei entdeckt. In einer umgebauten Pferdemanege hatten Kriminelle täglich bis zu 200 Kilogramm Kokain „gewaschen“. Es war eines von 108 Drogenlabors, die 2020 aufgerollt worden waren.

    Werden die Niederlande den Krieg gegen die Drogenkriminalität verlieren? Jan Struijs, der Polizeigewerkschaftler, ist pessimistisch. Nur zehn Prozent der Drogenkriminellen würden geschnappt, der Rest nicht. „Weil wir die Zeit, die Leute und die Mittel nicht haben.“ Und nun auch nicht mehr Peter de Vries. (mit dpa)

    Hören Sie sich dazu auch unsere Podcastfolge über spannende Kriminalfälle in Augsburg an:

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