Die Touristen auf dem Kreuzfahrtschiff hatten sich ihre Einfahrt in Venedig anders vorgestellt. Statt des bezaubernden Blicks auf den Markusplatz samt Tauben und schaukelnder Gondeln erwartete die Ankömmlinge eine schrille, aufgebrachte Meute zu Wasser. Dutzende Venezianer in kleinen Booten machten ihrem Unmut über die großen Schiffe Luft, die täglich am Kreuzfahrt-Terminal ab- und anlegen. Zum großen Ärger eines Teils der Bevölkerung.
Eine ganze Armada kleiner Boote schaukelte kürzlich auf dem Wasser bei der Einfahrt der „Thomson Celebration“. Die Demonstranten hatten sich teilweise als Piraten verkleidet. Viele von ihnen schwenkten Fahnen in der Hand mit der Aufschrift „No Grandi Navi“ – Nein zu großen Schiffen. Bengalische Feuer wurden abgebrannt, die Kapitäne der Kleinboote hupten. Und während am Ufer hunderte Aktivisten friedlich gegen die Ozeanriesen demonstrierten, reckten auf dem Wasser zahlreiche Demonstranten den Mittelfinger in Richtung der ahnungslosen Touristen.
Kreuzfahrtschiffe sind den Venezianern schon länger ein Dorn im Auge
Es ist nicht das erste Mal, dass die Venezianer gegen die Riesenschiffe protestieren. Vor Jahren kam es sogar zu gewalttätigen Auseinandersetzungen mit der Polizei und regelrechten Blockaden zu Wasser. Schon länger reiben sich die Venezianer am überbordenden Tourismus, der gleichzeitig die größte Einnahmequelle der Stadt ist. Die ungeliebten Kreuzfahrtschiffe sind so etwas wie das Symbol für die dramatische Entwicklung geworden. Sie bringen viele Besucher und damit schnellen Profit, sie richten aber auch Schaden an.
Silvio Testa, 68, ist einer der Väter der Protestbewegung. Zum einen, erklärt der ehemalige Journalist, verpesteten die Ozeanriesen die Luft in der Lagunenstadt. Bis zu sieben Kreuzfahrtschiffe legten gleichzeitig am Terminal an und ließen ihre Motoren rund um die Uhr laufen. Untersuchungen zufolge stoße jedes der Groß-Schiffe so viele Abgase wie 14000 Autos gleichzeitig aus, und das im Herzen der Stadt. „Sie sind die größte Quelle von Abgasen in Venedig“, sagt Testa.
Vor allem aber tragen die bis zu 70000 Tonnen schweren Kreuzfahrtschiffe mit ihrer Unterwasser-Verdrängung zur Erosion des Untergrunds der Stadt bei. Bis zu 5000 Groß-Schiffe passierten pro Jahr die Lagune, die auf diese Weise in den letzten Jahrzehnten um einen Meter tiefer geworden sei. Prognosen zufolge wird sich dieses Phänomen verstärken mit unkalkulierbaren Folgen für die Fundamente der Stadt. Die Lagune zählt seit 1987 zum Unesco-Weltkulturerbe. „Bevor wir dieses Erbe auslöschen, sollten wir zumindest darüber diskutieren“, sagt Testa polemisch.
Der Kreuzfahrt-Tourismus ist nur die Spitze von Venedigs Problem
Bürgermeister Luigi Brugnaro hat bereits verkündet, Venedig werde nicht auf den Kreuzfahrt-Tourismus verzichten, „er bringt Reichtum und Arbeitsplätze“. Diskutiert wird nun über eine neue, für die Touristen weniger spektakuläre Einfahrt, damit das San-Marco-Becken und der Giudecca-Kanal verschont bleiben. Testa und die Aktivisten vom Protest-Komitee wollen die Schiffe ganz aus der Lagune verbannen. In der Vergangenheit gab es außerdem Versuche, die Zufahrten spürbar zu reduzieren. All diese Regeln allerdings gelten heute nicht mehr.
Der Kreuzfahrt-Tourismus ist nur die Spitze eines generellen Problems der Stadt. Immer mehr Menschen kommen zu Besuch, bleiben aber immer kürzer und fördern damit auch eine weniger nachhaltige Art von Tourismus, sondern vor allem austauschbare Restaurants, Bars und Souvenirgeschäfte. Bis zu 30 Millionen Menschen im Jahr besuchen Venedig, das sind etwa 80000 Touristen am Tag. Ihnen stehen nur noch etwa 55000 Einwohner der Altstadt von Venedig gegenüber. Vor 60 Jahren lebten noch 150000 Menschen in der Stadt, sie stirbt langsam aus.
Schon vor Jahrzehnten gab es Vorschläge zur Regulierung des Touristen-Flusses, alle Initiativen verliefen bisher im Sand. Für Silvio Testa stehen die eigentlichen Verantwortlichen der Misere fest. Es sind nicht etwa der Bürgermeister, die Politiker allgemein oder irgendwelche spekulativen Interessen großer Konzerne. Schuld seien die Venezianer selbst, denn viele seien mit dem Status quo zufrieden, sagt Testa. Mit Billigangeboten, Schnäppchen-Läden und kaum noch voneinander zu unterscheidenden Schnellrestaurants trügen sie zum eigenen Untergang bei.