Eigentlich ist ein Schiff ein Ort, um zu vergessen. Ein Ort, wo man sich von der klaren, weichen Meeresluft die Seele durchpusten lassen kann, trübe Gedanken über Bord wirft und mit jeder Seemeile mehr und mehr eins wird mit dem allgegenwärtigen Blau des Ozeans, in dem sich alles aufzulösen scheint. All das kann man auf der Queen Elizabeth. Abends auf dem eigenen Balkon den rosa Wolken zusehen, wie sie langsam im Dunkel verschwinden, warmen Wind im Gesicht spüren, Salz auf den Lippen schmecken, sich wegträumen, vergessen.
Doch das Schiff der Cunard-Reederei ist auch, oder vielleicht sogar vor allem, ein Ort, um sich zu erinnern und in eine vergangene Welt einzutauchen. Es ist eine Reminiszenz an die großen Ocean-Liner der 20er und 30er Jahre, in deren Inneren goldene Art-déco-Wendeltreppen die betuchten Gäste in eine Luxusauszeit auf dem Meer geleiteten. Bei der Queen Elizabeth ist das auch Teil der eigenen Geschichte: 1938 wurde das erste Schiff mit diesem Namen getauft, 1967 das zweite. Die erste Königin brannte 1972 im Hafen von Hongkong aus, die zweite soll künftig als Hotelschiff in Dubai dienen.
Ein bisschen stellt sich ein Titanic-Gefühl ein
Eine Reise an Bord der Queen Elizabeth führt einen nicht nur von Hafen zu Hafen, sondern auch in die Vergangenheit. Eine, die an Bord der dritten Queen Elizabeth, dem zweitgrößten jemals gebauten Cunard-Liner, gekommen ist, um sich zu erinnern, ist Philis Leightman. 89 Jahre ist sie alt, fuhr schon auf der Queen Elizabeth 2 zur See. Philis Leightman trägt eine rote Seidenbluse mit beigefarbenen Punkten, in ihrem weißen Haar glitzert eine silberfarbene Haarspange, ihren Gehstock hat sie an das Tischbein gelehnt. Sie sitzt im Queen’s Room des Schiffs, dem Ballsaal mit funkelnden Kronleuchtern, Parkettfußboden und Bildern der königlichen Schlösser an den Wänden. Jeden Nachmittag findet hier ein Stück britische Tradition statt: Der High-Tea. Kellner mit weißen Handschuhen bringen Gurkensandwiches, Muffins und Scones an den Tisch, mit einer goldenen Zange drapieren sie das Gebäck auf die Teller der Gäste. Dieser Tag, an dem das Schiff im Hafen von Salerno liegt, ist ein besonderer Tag für Philis Leightman. Heute wäre sie 64 Jahre verheiratet – vergangenes Jahr aber starb ihr Mann. „Er liebte das Meer, die Seefahrt. Wir haben gemeinsam viele Kreuzfahrten unternommen“, erzählt sie. In Erinnerung an ihren Mann ist sie nun an ihrem Hochzeitstag an Bord der Queen Elizabeth, nippt an ihrem Earl Grey und erzählt über die Reisen, die sie in ihrem Leben unternommen hat.
Nicht nur, wenn man mit Philis Leightman über ihre Vergangenheit spricht, sondern überall auf dem Schiff ist Nostalgie zu spüren: im Grand Foyer mit den geschwungenen Treppen, auf denen sich Paare gerne in Abendrobe fotografieren lassen, fürs Familienalbum. Im Restaurant Britannia, dessen Stil und Einrichtung einen sympathischen Hauch Angestaubtheit tragen. In einer Glasvitrine, in der alte Schiffstickets und gelbstichige Zeitungsberichte ausgestellt sind. Auf Aufnahmen der Taufe der ersten Queen Elizabeth, anlässlich derer 1938 die erste Liveübertragung der BBC stattfand. Beim Fechtunterricht im Tanzsaal. In der Bibliothek auf zwei Etagen, in der in schweren, dunklen Regalen 6000 Bücher stehen. In den Fluren und Treppenhäusern, in denen Schwarz-Weiß Fotografien das Interieur alter Kreuzfahrtschiffe zeigen, feine Damen mit Hut und Hund auf dem Promenadendeck oder Passagiere, die winkend an der Reling stehen – ein bisschen Titanic-Gefühl eben.
An Bord der Queen Elizabeth: Ein Ort zum Erinnern
Ein Teil dieses Gestrigen ist auch Roger Laurich. Der 72-Jährige ist Gentleman-Dance-Host, also einer, der sich bei den Ballabenden um allein reisende Damen kümmert – oder um Frauen, deren Ehemänner mürrisch neben der Tanzfläche hocken und lieber Scotch trinken anstatt mit der Gattin Fox zu tanzen. Roger Laurich war früher Lehrer für schwer erziehbare Kinder, seit über 40 Jahre tanzt er, seit 10 Jahren auf Schiffen als Gentleman-Dance-Host. Eine deutsche Übersetzung ist schwer zu finden, der Begriff Eintänzer gehe zu sehr in die Gigolo-Richtung – und damit habe sein Job an Bord nun wirklich nichts zu tun, sagt Laurich, obwohl es schon mehrere eindeutige Angebote gegeben habe. Seit er in Pension ist, fährt er nun zur See, Geld bekommt er keines, dafür isst und wohnt er umsonst. Die Gentleman-Dance-Hosts sind Teil der Cunard-Tradition. 1972 wurden sie eingeführt und bis heute beibehalten.
Die Reise führt die Queen Elizabeth vom westlichen ins östliche Mittelmeer, von Rom über Salerno, Messina, Santorin, Rhodos, Kusadasi, Athen, Korfu, Dubrovnik und Ravenna nach Venedig – und aus der Vergangenheit, die einen beim ersten Betreten des Schiffs vereinnahmt, auch langsam wieder in die moderne Welt, die man erkennt, wenn man einen Blick hinter die Kulissen wirft. Denn bei aller Nostalgie, bei allen Erinnerungen, die auf diesem Schiff aufleben und denen man sich gerne hingibt, ist der Liner auch eines: ein hochmodernes, schwimmendes Hotel, auf dem rund 2000 Gäste Urlaub machen. Ein Mikrokosmos auf dem Meer mit Wellness-Bereich, Theater, Spielcasino, einem englischen Pub und einem Golfsimulator. Es ist eine eigene Welt, mit der man neue Welten entdecken kann, zugleich eine Komfortzone, ein Rückzugsort, der einen, wenn man das möchte, vor allzu viel Fremdem, was an Land wartet, beschützt. Was man erleben kann, sind allenfalls Einblicke, Schlaglichter fremder Kulturen. Wer ein Land intensiv erfahren möchte, ist hier falsch. Das System funktioniert: Jährlich machen etwa 15 Millionen Menschen weltweit auf einem Kreuzfahrtschiff Urlaub. Massentourismus.
Täglich werden 11000 Gerichte in der Küche zubereitet
Mit Massen haben auch Küchenchef Trevor Connolly und seine Mannschaft zu kämpfen. „In der Küche wird rund um die Uhr gearbeitet. Jeden Tag in der Woche“, berichtet Connolly. 70 000 Teller und Gläser werden pro Tag in der mehrere Meter langen Geschirrspülmaschine gewaschen. Auf einer 14-tägigen Kreuzfahrt werden rund 70 Tonnen Obst und Gemüse verbraucht, 30 Tonnen Fleisch, 20 Tonnen Fisch und Meeresfrüchte und 56 000 Eier. Jeden Tag werden in der Großküche 11 000 Gerichte zubereitet und – very britisch – 3000 Tassen Tee serviert. Im Britannia, dem Hauptrestaurant des schwimmenden Riesen, tafeln pro Sitzung 880 Kreuzfahrer. Die Gästeschar besteht aus 42 verschiedenen Nationen, die meisten kommen aus Großbritannien, den USA und Japan. Rund 120 Deutsche sind an Bord – diese Zahl möchte Cunard im kommenden Jahr nach oben schrauben, die Menge der deutschen Urlauber soll verdoppelt werden. Zusätzliches deutsches Personal, deutsche Ausflüge und deutsches Fernsehen auf der Kabine sollen die Kunden anziehen. Sie sollen eintauchen in diese Symbiose aus alten und neuen Welten, aus Erinnern und Vergessen.