Das Muster erscheint ermüdend gleichförmig. Die Heftigkeit aber flaut nicht ab. Die nächste Runde also – hin und her. Vergangene Woche ernteten Rammstein reichlich Empörung, weil sie sich in einem vorab veröffentlichten Ausschnitt aus ihrem neuen Video als Holocaust-Opfer stilisierten – und der Empörung folgte Gegen-Empörung.
Zuvor erntete reichlich Empörung, dass ausgerechnet Andreas Gabalier den Karl-Valentin-Orden erhielt, weil er mindestens reaktionär, wenn nicht rechts sei – und der Empörung folgte Gegen-Empörung. Und nun sind also mal wieder Frei.Wild dran.
Frei.Wild will notfalls anderswo in Flensburg spielen
Reichlich Empörung diesmal, weil die Südtiroler doch mit ihrem Wagenburg-Patriotismus für den neuen Nationalismus anschlussfähig seien und ausgerechnet an Hitlers Geburtstag in Flensburg ein Konzert geben wollten – wo das doch 1945 die letzte NS-Reichshauptstadt war. Ergebnis jedenfalls: Die Empörten unter der Führung von SPD-Bürgermeisterin Simone Lange verhinderten den Abend in der Flens-Arena, weil es nach der Verlegung aus einer kleineren Halle dort noch keinen unterschriebenen Mietvertrag gab.
Frei.Wild hat freilich Widerspruch gegen das Urteil des Landgerichts eingelegt, will notfalls halt anderswo in der Stadt spielen – und freilich hagelt es dazu nun, wie in den Fällen von Rammstein und Gabalier, reichlich Empörung aus der Gegenrichtung.
Man muss nicht über jedes Provokationsstöckchen springen
Jetzt kann man ja fragen: Sind die alle noch ganz dicht? Denn zum einen: Was sollte es denn sonst sein als eine Provokation genau jener Reflexe, wenn Rammstein gerade diesen Schnipsel vorab veröffentlicht haben – und also schlicht Werbung mit dem Holocaust-Effekt in eigener Sache machten, um sich dann sicherlich mit einem Grinsen als ach so viel umfassendere Reflektierer der deutschen Geschichte im gesamten Video präsentieren zu können?
Das kann man schon billig und ungehörig finden – selbst wenn man dadurch das Spiel mitspielt, das die Herren um Sänger Lindemann ja auch schon mit Leni-Riefenstahl-Ästethik betrieben haben.
Man muss zwar wirklich nicht über jedes Provokationsstöckchen springen – was bei der durch die „Sozialen Medien“ befeuerten Empörungsgesellschaft zwar immer schwieriger wird. Aber unempfindlich für gewisse substanzielle Brüche darf man darüber eben auch nicht werden.
Das Schwert gegen "die Rechten" wird immer stumpfer
Und darum zum anderen: Das Schwert gegen „die Rechten“ wird auch immer stumpfer, je öfter man es einsetzt – weil das, anders als beim irgendwie immer noch okay wirkenden Linken, ja immer den Vorwurf des Radikalen impliziert. Ja, Andreas Gabalier hat sich mal mit FPÖ-Mann Strache solidarisiert und zweifelt auf eine durchaus AfD-nahe Art in Songs wie „A Meinung haben“ die herrschende Regierungsform der repräsentativen Mehrheitsdemokratie an.
Und ja, Philipp Burger hat vor seiner Zeit als Frei.Wild-Sänger in der Jugend mal wirklich Neonazi-Musik gemacht, und das selbstbewusst trotzige „Wir“ in seinen Texten mag kein ethnisch buntes Völkchen zum Pogo anlocken. Aber weder der Steirer noch die Südtiroler sind doch deshalb Rechte, Radikale, Demokratiegefährder!
Wir sollten uns unsere Empörung für die wirklich wichtigen Dinge aufsparen
Und durch deren Musik und Identitätskonzepte wird auch keiner in diesem Sinne zum Rechten. Und überhaupt: Warum empört sich eigentlich keiner, dass in Augsburg an Hitlers Geburtstag die Wagner-Oper „Walküre“ Premiere feiert?
Es geht hier auf vielen Seiten um eine Art Rammstein-Effekt. Die Verantwortlichen beim Valentin-Orden wussten genau, dass ihre Wahl ihnen Aufmerksamkeit bescheren würde. Und Flensburgs Bürgermeisterin wusste, dass sie sich gegen Frei.Wild bei ihrer Klientel profilieren kann. Skandal verkauft sich. Dabei würden wir alle gut daran tun, uns unsere Empörung für die wirklich wichtigen Dinge aufzusparen – und uns dann auch zu engagieren, nicht nur zu blöken, in die eine oder die andere Richtung. Sonst sind wir bald wirklich alle nicht mehr ganz dicht.