Startseite
Icon Pfeil nach unten
Panorama
Icon Pfeil nach unten

Kommentar: Katholische Kirche: Die Zeiten des „Nichts geahnt“ sind vorbei

Kommentar

Katholische Kirche: Die Zeiten des „Nichts geahnt“ sind vorbei

Daniel Wirsching
    • |
    Kardinal Reinhard Marx, Erzbischof von München und Freising, hatte am vierten Juni in einer Presseerklärung seine Bitte um Rücktritt bekannt gegeben.
    Kardinal Reinhard Marx, Erzbischof von München und Freising, hatte am vierten Juni in einer Presseerklärung seine Bitte um Rücktritt bekannt gegeben. Foto: Peter Kneffel

    Die Kirche bebt weiter: Papst Franziskus hat das Rücktrittsgesuch des Münchner Erzbischofs Reinhard Kardinal Marx nicht angenommen. Und nicht nur das: Er gibt ihm in einem Brief mit auf den Weg, er solle weitermachen, „so wie Du es vorschlägst“. Marx hatte vorgeschlagen, sich weiter als Seelsorger für eine geistliche Erneuerung der Kirche einsetzen zu wollen.

    Die Kirche, so der Papst, könne jetzt keinen Schritt nach vorn tun, ohne diese (Missbrauchs-)Krise anzunehmen. „Die Vogel-Strauß-Politik hilft nicht weiter.“ Und auch das noch: „Wir müssen für die Geschichte Verantwortung übernehmen, sowohl als einzelner als auch in Gemeinschaft.“

    Hehre Worte zählen in der katholischen Kirche nicht mehr

    Aber was heißt das nun? Richtet sich das gegen den Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki, der sich an sein Bischofsamt klammert? Der nicht bereit ist, sichtbar durch einen Amtsverzicht moralische Verantwortung zu übernehmen? Der darauf beharrt, er habe sich straf- und kirchenrechtlich nichts zuschulden kommen lassen? Oder wird Papst Franziskus auch ihn im Amt belassen und die Chance geben, die begonnene Missbrauchsaufarbeitung in seinem Erzbistum voranzutreiben? All das weiß allein der Papst.

    Aber eines kann man sagen und eines muss man fordern. Man kann sagen, dass jetzt jeder kirchliche Verantwortungsträger verstanden haben müsste, dass die Zeiten des „Nichts geahnt“ endgültig vorbei sind. Dass er verstanden haben müsste, dass hehre Worte nicht mehr zählen.

    „Man verlangt von uns eine Reform, die – in diesem Fall – nicht in Worten besteht, sondern in Verhaltensweisen, die den Mut haben, sich dieser Krise auszusetzen, die Realität anzunehmen, wohin auch immer das führen wird. Und jede Reform beginnt bei sich selbst“, schreibt der Papst an Marx.

    Die Bischofskonferenz muss ihren Rücktritt anbieten

    Was man angesichts dieses historischen Kirchenbebens fordern muss: Die Deutsche Bischofskonferenz muss geschlossen dem Papst ihren Rücktritt anbieten. Wen er im Amt lässt und wen nicht, unterliegt dann seiner genauen Prüfung. Sicher, damit ändern sich keine Strukturen. Aber es wäre ein Symbol dafür, dass die deutschen Bischöfe endlich verstanden hätten, dass sie Verantwortung zu übernehmen bereit sind. Mit allen Konsequenzen. Wer, wenn nicht sie, sollte auch sonst Verantwortung übernehmen für den Jahrhundert-Skandal des Missbrauchs in Reihen der katholischen Kirche? Nur so kann der Weg frei werden für einen echten Neuanfang.

    Der Münchner Kardinal Marx hatte, Alfred Delp zitierend, von einem „toten Punkt“ gesprochen, an dem die katholische Kirche angekommen sei. Nach dem Tod aber kommt die Auferstehung. Wenn, ja wenn die aktuellen Vorgänge nicht ein toter Punkt, sondern ein Wendepunkt sein sollten. Bis auf weiteres kann man darauf nur hoffen.

    Lesen Sie dazu auch:

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden