Das vergangene Jahr war ein Katastrophenjahr vor allem für die katholische Kirche in Deutschland. Und das drückt sich deutlich in der Zahl der Kirchenaustritte aus, die wieder massiv gestiegen sind. Allein der katholischen Kirche haben 216.078 Menschen den Rücken gekehrt – im Jahr 2017 waren es 167.504. Mit 12.981 Austritten im Bistum Augsburg gab es dort einen traurigen Rekord. Die Zahl war noch einmal höher als im Jahr der „Causa Mixa“ (12073). Der damalige Bischof Walter Mixa musste 2010 unter anderem wegen Prügelvorwürfen zurücktreten.
Die katholische Kirche leistet – wie die evangelische Kirche – zweifelsohne einen immens wichtigen Beitrag für die Gesellschaft. Aber ihr Ruf ist inzwischen derart ramponiert, dass in der öffentlichen Wahrnehmung ihre karitativen oder seelsorglichen Angebote völlig in den Hintergrund rücken. Manch einer bezweifelt bereits, dass sie in absehbarer Zeit wieder als „moralische Institution“ von einer breiten Öffentlichkeit wahrgenommen werden könnte.
Die Liste der Skandale wird nahezu täglich länger
Im Jahr 2018 vertieften Skandale wie der Finanzskandal im katholischen Bistum Eichstätt und der anhaltende Missbrauchsskandal in beiden Kirchen die Vertrauenskrise. Eine Vielzahl kleinerer Skandale und umstrittener Äußerungen von Geistlichen taten ihr Übriges. Die Liste wird nahezu täglich länger.
Die beiden Kirchen sind damit an einem Punkt angekommen, der für sie höchst gefährlich ist: Sie sind vielen schlicht egal geworden – selbst und gerade Gläubigen. Die sagen, sie könnten ihren Glauben ja gut ohne Kirche leben. Und sie tun das denn auch. Dass die Kirche egal geworden ist, ist dabei schlimmer noch für diese, als dass man sie aufs Heftigste für bestimmte Positionen – für ihre Sexualmoral etwa – kritisiert. Mit Kritikern lässt sich reden, die anderen lassen sich nicht mehr erreichen.
Was die Kirchenaustritte angeht: Der regelmäßig und jetzt wieder bemühte Hinweis auf demografische Entwicklungen oder einen allgemein schwindenden Bindungswillen etwa an Vereine führt nicht weiter. Zumal das die Kirchenverantwortlichen nicht in der Hand haben. Sie müssen schon vor der eigenen Türe kehren. 2018 war das fortgesetzte Versagen Einzelner wie das Versagen der gesamten Institution zu beobachten. Im Falle der katholischen Kirche ist dies eine Institution, die massiv blockiert wird von inneren Grabenkämpfen; die um einen Weg in die Zukunft ringt und zugleich mit dem Ballast der Vergangenheit nicht umzugehen weiß.
Neun Jahre nach Bekanntwerden der Missbrauchsfälle muss es endlich Verbesserungen geben
Dazu muss man nur die Diskussionen um den „synodalen Weg“ in der katholischen Kirche verfolgen. Dieser Weg, den Bischöfe wie engagierte Katholiken demnächst gemeinsam beschreiten wollen, soll eine Antwort auf den Missbrauchsskandal und dessen Ursachen darstellen. Es soll über Machtstrukturen sowie die Rolle der Frau in der katholischen geredet werden. Die Erwartungen sind hoch, doch weder werden am Ende echte Reformen wie die Freistellung des Zölibats oder die Priesterweihe für Frauen stehen noch wird der „synodale Weg“ zur Befriedung der zunehmend in ideologische Lager und (Klein-)Gruppen zerfallenden Kirche beitragen.
Neun Jahre nach Bekanntwerden der ersten Fälle massenhaften und systematischen sexuellen Missbrauchs hinter Kirchenmauern muss der „synodale Weg“ aber mindestens und endlich konkrete Verbesserungen für die Opfer bringen – etwa deutlich höhere „Entschädigungszahlungen“ an sie. Endet der „synodale Weg“ wie einst der „Dialogprozess“, der als vertrauensbildende Maßnahme von den deutschen Bischöfen 2010 angestoßen worden war, wäre das verheerend. Geredet wurde genug in den vergangenen Jahren, geändert hat sich immer noch zu wenig.
Es liegt also in hohem Maße an den Kirchenverantwortlichen, Lösungen auf die selbst verschuldeten Probleme zu finden und diese mit einer Stimme überzeugend vorzutragen. Und das nicht erst in ferner Zukunft. Darin liegt auch ein Mittel gegen die wachsende Zahl der Kirchenaustritte. Der katholischen und evangelischen Kirche in Deutschland laufen aus einer Vielzahl von Gründen die Mitglieder davon. Dies wird sich nicht ändern, wenn sie sich weiterhin als zerstritten und zerrissen, als zögernd und zaudernd präsentiert. Die Kirche ist keine Organisation wie jede andere, doch genau so erscheint sie.
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