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Kommentar: Daniel Küblböck: Wer ist an seinem Schicksal schuld?

Kommentar

Daniel Küblböck: Wer ist an seinem Schicksal schuld?

Margit Hufnagel
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    Popsänger, Castingshow-Star und ein Mensch, der an seinem Leben wohl verzweifelt ist: Daniel Küblböck suchte das Licht der Scheinwerfer ganz bewusst.
    Popsänger, Castingshow-Star und ein Mensch, der an seinem Leben wohl verzweifelt ist: Daniel Küblböck suchte das Licht der Scheinwerfer ganz bewusst. Foto: Rolf Vennenbernd, dpa

    Der Boulevard hat ihn berühmt gemacht, nun kreist er wie ein Geier über dem eisigen Meer, in dem wohl die Leiche des Sängers ihre letzte Ruhe finden sollte. Bilder von ihm in Frauenkleidern kursieren im Internet, Freund und Feind werden zu Bekenntnissen gedrängt, aus der Ferne werden Diagnosen gestellt, die Blicke in seine Seele versprechen. Keine Frage: Daniel Küblböck ist eine öffentliche Person, sein Schicksal interessiert viele, für so manchen gehört er zur Pop- und Fernsehkultur, weil er als Paradiesvogel sogar jenen bekannt war, die sich nicht für die schnellen Promi-Meldungen interessieren.

    Nach seinem mutmaßlichen Selbstmord – Küblböck sprang wohl vor Neufundland vom Kreuzfahrtschiff Aidaluna – muss neben all der Betroffenheitslyrik aber auch eine Frage diskutiert werden: Tragen die Castingshows mit ihren gezielten Grenzüberschreitungen dazu bei, labile junge Menschen zu destabilisieren? Ausgerechnet Chef-Zyniker Oliver Kalkofe greift die Verantwortlichen hart an. „Hier sehen wir auf tragische Weise die Auswirkungen der Castingshows und des immer seelenloser werdenden Fernsehens“, schreibt er auf Facebook.

    15 Millionen Zuschauer sahen die erste DSDS-Staffel, in der Daniel Küblböck zum Star wurde

    „Deutschland sucht das Suppenhuhn“ titelte die Süddeutsche Zeitung Anfang der 2000er Jahre, als das Format „Deutschland sucht den Superstar“ (DSDS) ins Fernsehen kam. Die Alten rümpften die Nase, die Jungen hingen bald vor den Fernsehapparaten. 15 Millionen schalteten die Folgen der ersten Staffel ein. Vom Vorabend schaffte es das Format auf die Plätze mit der besten Sendezeit.

    Die Gewinne waren hoch, die Produktionskosten waren niedrig. Schon bald wimmelte es im Fernsehen von vermeintlichen Karriere-Helfern: Die einen suchten Sänger, die anderen suchten Models, Bräute oder eben gleich Superstars ohne nähere Tätigkeitsbeschreibung. Dass den meisten dieser Shows das Bäh-Etikett angeheftet wurde, konnte den Machern egal sein – vielleicht war es ihnen sogar ganz recht. Immerhin blieben ihre Sendungen so im Gespräch und brachten den flauen Werbemarkt auf Touren. Bei DSDS schaltete die Industrie im ersten Jahr bis zu 64.000 Euro teure Spots. Hinzu kommen Zeitschriften, CDs und natürlich die so wichtige Zweitverwertung in den B- und C-Promi-Shows der Privatsender. Cross-Promotion nennt sich das Phänomen, in das schnell auch die Bild-Zeitung integriert wurde: Wer ist drogensüchtig? Wer hat eine gescheiterte Ehe hinter sich? Sexfantasien? Schwierige Kindheit? Die Absurditäten des Lebens interessierten bald mehr als Gesangstalent oder Modell-Potenzial.

    Natürlich befriedigten die Fernseh-Macher ein Bedürfnis: Die Zuschauer wollen möglichst drastisch unterhalten werden, junge Menschen wie Daniel Küblböck drängen in die Show-Branche, in der sie sich die Erfüllung ihrer Träume erhoffen. Mit den Mechanismen des Geschäfts sind sie nicht vertraut, die Wucht der öffentlichen Reaktion lässt sich leicht unterschätzen.

    Forscherin: Jugendliche versprechen sich ein besseres Leben, wenn sie bei Casting-Shows gewinnen

    Wo Erwachsene den Kopf schütteln, da hofft die Jugend: „Sie kennen diese Shows aus dem Fernsehen und wissen, wenn sie etwas falsch machen, werden sie hemmungslos und minutenlang vor laufender Kamera bloßgestellt und lächerlich gemacht“, sagt Ute Frevert, Historikerin am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung in Berlin. „Trotzdem malen sich die Jugendlichen aus, dass ihr Leben besser und toller wird, wenn sie dort gewinnen.“

    „Ich bin der Sohn der Nation“, meinte Daniel Küblböck im Jahr 2014, „alle wollen wissen, was ich mach’.“ Ein Trugschluss! Denn echtes Interesse ist es nicht, da täuschte sich der junge Mann auf fatale Weise. Im Gegenteil: Es ist die Polarisierung, die gerade Menschen wie ihn immer und immer wieder ins Scheinwerferlicht beförderte: für die einen der lustige Clown, für die anderen die Hassfigur. Die Castingshows im Fernsehen haben einen Lynch-Mob herangezüchtet, der nicht mit Fackeln und Mistgabeln bewaffnet ist, sondern seine Häme im Internet gleich hektoliterweise herabregnen lässt.

    Den anderen kleinmachen, um selbst größer zu erscheinen – darin unterscheidet sich Kritik von Demütigung. „Die Würde hat, anders als Immanuel Kant das vor mehr als 200 Jahren behauptet hat, offenbar doch einen Preis, und wenn der hoch genug ist, drückt man zwei Augen zu“, sagt Ute Frevert. Anders drückte es Erich Kästner aus, der zwar noch keine Castingshows kannte, aber wohl die Menschen gut einschätzen konnte: „An allem Unfug, der passiert, sind nicht etwa nur die schuld, die ihn tun, sondern auch die, die ihn nicht verhindern.“ Sein Satz gilt bis heute.

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