Eigentlich ist es traurig. Seit 60 Jahren gibt es die Pille. Und immer noch müssen sich Frauen rechtfertigen, wenn sie sie nehmen. Natürlich ist die Diskussion heute eine andere als in den 60er Jahren. Frauen, die die Pille nehmen, gelten nicht mehr als liederlich. Verhütungsmittel nicht mehr als Teufelszeug. Immerhin. Dennoch werden Frauen komisch angeschaut. Der Vorwurf hat sich aber gewandelt.
Obwohl es die Pille seit 60 Jahren gibt klafft bei vielen eine Wissenslücke
Er dreht sich jetzt darum, die Gesundheit nicht zu achten. „Ehrlich, du nimmst die Pille? Da sind doch total viele Hormone drin.“ Ähnliche Sätze haben viele Frauen zumindest im Freundinnenkreis schon gehört. Zu hinterfragen, wie Frau verhütet, ist nichts Schlechtes. Es ist sogar sinnvoll. Problematisch wird es, wenn Annahmen über die Gesundheit Moralvorstellungen ersetzen, die früher die Religion vorgab. Wenn Wissen keine Rolle spielt. Das ist schnell der Fall. Denn obwohl es die Pille seit 60 Jahren gibt, klaffen riesige Wissenslücken.
Ein paar Beispiele: Viele Frauen – auch solche, die die Pille seit Jahren nehmen – wissen nicht, dass es keinen biologischen Grund gibt, einmal im Monat eine Pillenpause einzulegen. Absolut keinen. Sie könnten die Pille einfach durchgehend nehmen. Sie hätten keine Blutungen mehr und keine Regelschmerzen. Für viele Frauen wäre dieses Wissen eine Erleichterung. Aber offenbar fühlt sich niemand dafür zuständig, die Frauen aufzuklären. Zudem kommt die Pille nun mal im 21er-Pack und die Erkenntnis nicht bei den Nutzerinnen an.
Pille ist nicht gleich Pille - die Präparate unterschieden sich
Oder dieser Fakt: Pille ist nicht gleich Pille. Es gibt zig verschiedene Präparate. Sie alle verhüten – aber mit unterschiedlichen Wirkstoffen. Das heißt: Ihre Nebenwirkungen unterscheiden sich. Wer seine Pille nicht verträgt, kann eine andere nehmen.
Überhaupt die Nebenwirkungen. Wer sich näher mit ihnen befasst merkt schnell, viel ist nicht sicher. Lässt die Pille die Lust auf Sex verschwinden? Es könnte sein – oder nicht. Macht sie depressiv? Eine kanadische Forscherin etwa kommt zu dem Ergebnis, dass bei Frauen, die schon in jungen Jahren, die Pille nehmen, mit höherer Wahrscheinlichkeit eine Depression auftritt. Doch nicht einmal sie selbst ist sich sicher, ob ein ursächlicher Zusammenhang besteht. Ob es also wirklich an der Pille liegt.
Frauen tragen immer das Risiko einer ungewollten Schwangerschaft
Ähnlich ist es bei vielen Fragen rund um die Pille und ihre (Neben-)Wirkungen. Häufig fehlen verlässliche Daten. Dabei hätte die Wissenschaft 60 Jahre Zeit gehabt, das herauszufinden. Zum Vergleich: Im gleichen Zeitraum ist die Menschheit zum Mond geflogen, hat das Internet entwickelt, die DNA entschlüsselt und das AIDS-Virus quasi besiegt. Aber die Pille hat immer noch Nebenwirkungen. Obwohl sie das am häufigsten verwendete Verhütungsmittel ist – also wahnsinnig viele Frauen betroffen sind. Doch das Thema scheint nicht interessant genug, um Forschung zu finanzieren.
Seit 60 Jahren nehmen Frauen also Hormone, ohne wirklich viel über sie zu wissen. Immerhin beginnen sie inzwischen zu hinterfragen, was sie schlucken. Aber eigentlich haben sie keine andere Wahl. Denn das Risiko einer ungewollten Schwangerschaft liegt immer bei den Frauen. Dass die Pille ihnen die Kontrolle über ihre Fruchtbarkeit gegeben hat, ist eine Revolution. Vielleicht eine der größten. Denn mit der Fruchtbarkeit ist die Selbstbestimmung verknüpft. Ein Mann kann im Zweifel gehen. Die Frau bleibt mit dem ungeborenen Kind und der Frage „und jetzt?“ zurück. Ihr ganzes Leben wird sich ändern. Egal wie sie sich entscheidet.
Seit 60 Jahren gibt es also die Pille. Und seit 60 Jahren gibt es jede Menge Meinungen zu dem Medikament. Dabei wäre es längst an der Zeit, dass die Moral die Schlafzimmer verlässt und Informationen einziehen. Denn Verhütung ist eine höchst individuelle Entscheidung. Keine Frau sollte die Pille nehmen, wenn sie sich damit unwohl fühlt. Aber jede Frau sollte wissen, was sie tut. Und warum.
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